6B_1477/2021 02.11.2022
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1477/2021  
 
 
Urteil vom 2. November 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Felix Hollinger, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Einstellung; Einziehung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 6. Oktober 2021 (AK.2021.386-AK [ST.2020.28130]). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Bei A.________ wurden am 4. März 2020 anlässlich einer verwaltungsrechtlichen Zollkontrolle am Grenzübergang U.________ 10'000 Euro in grösseren Noten (80 x 100.-- und 10 x 200.--) festgestellt. Die Untersuchung einzelner Noten auf Drogenspuren ergab eine starke Kontamination. Kokainspuren wurden auch an ihrer Stirn, ihren Händen und in ihrem Personenwagen festgestellt. Im Zuge der Abklärungen durch das Grenzwachkorps und das Kantonale Untersuchungsamt erklärte A.________ den Ursprung des Geldes damit, dass sie mit 5'000 Franken für einen Autokauf nach V.________ gereist sei, dieses Geld dort bei einem Verwandten in Euro gewechselt und zusätzlich durch diesen ausgeliehenes Geld erhalten habe, beides zusammen 10'000 Euro. Sie wollte ihre Aussage aber nicht mit genaueren Angaben oder durch Nennung von Zeugen belegen. 
 
Das Kantonale Untersuchungsamt stellte das gegen sie wegen Geldwäscherei geführte Strafverfahren mit Verfügung vom 22. Juli 2021 ein, da sich der subjektive Tatbestand nicht rechtsgenüglich nachweisen liess. Es verfügte die Einziehung der sichergestellten 10'000 Euro. 
 
B.  
Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen wies die von A.________ erhobene Beschwerde am 6. Oktober 2021 ab. 
 
C.  
A.________ beantragt beim Bundesgericht mit Beschwerde in Strafsachen, den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben, Ziff. 2 der Einstellungs- und Einziehungsverfügung des Kantonalen Untersuchungsamts aufzuheben, ihr das sichergestellte Bargeld herauszugeben sowie eventualiter die Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung (Aufhebung der Verfügung) zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen, die das Verfahren abschliessen (Art. 80 Abs. 1 und Art. 90 BGG). Auf das Rechtsbegehren, die erstinstanzliche Verfügung vom 22. Juli 2021 aufzuheben, ist nicht einzutreten. 
 
2.  
In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, "inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt" (Art. 42 Abs. 2 BGG). Eine qualifizierte Begründungspflicht obliegt, soweit die Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür behauptet wird (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 148 IV 39 E. 2.3.5). Für das Bundesgericht ist unter Vorbehalt der Regelungsmaterie von Art. 97 Abs. 1 BGG der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt massgebend (Art. 105 Abs. 1 BGG). 
 
Eine Sachverhaltsfeststellung gilt als "offensichtlich unrichtig" im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 9 BV, wenn sie sich als schlechterdings unhaltbar und damit als willkürlich erweist (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). Das ist der Fall, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3). Das Bundesgericht ist kein Sachgericht (BGE 145 IV 137 E. 2.8) und keine Appellationsinstanz, vor welcher die Tatsachen erneut frei diskutiert werden könnten (BGE 146 IV 297 E. 1.2; Urteile 6B_295/2022 vom 15. September 2022 E. 1.1). Es hat nicht in den Akten nach der Begründetheit von nur schwer einzuordnenden Beschwerdevorbringen zu forschen (Urteile 6B_960/2021 vom 26. Januar 2022 E. 2.1; 6B_377/2020 vom 21. Juli 2021 E. 3.5.3). Auf appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 114 E. 2.1, 88 E. 1.3.1). 
 
3.  
 
3.1. Gemäss Art. 70 Abs. 2 StGB ist die Einziehung ausgeschlossen, wenn ein Dritter die Vermögenswerte in Unkenntnis der Einziehungsgründe erworben hat und soweit er für sie eine gleichwertige Gegenleistung erbracht hat oder die Einziehung ihm gegenüber sonst eine unverhältnismässige Härte darstellen würde. Daraus folgt e contrario, dass deliktisch erlangte Vermögenswerte grundsätzlich bei jedem Dritten eingezogen werden können, der diese in Kenntnis der Einziehungsgründe oder ohne gleichwertige Gegenleistung erwirbt. Dritte, die behaupten, eine gleichwertige Gegenleistung im Sinne von Art. 70 Abs. 2 StGB erbracht zu haben, müssen bei der Beweiserhebung in zumutbarer Weise mitwirken (ausführlich Urteile 6B_1390/2020 vom 8. Juni 2022 E. 2.2.3, 2.2.4; 6B_502/2020 vom 6. Mai 2021 E. 1.2.1).  
Die blosse Kokain-Kontamination genügt für den Nachweis der deliktischen Herkunft von Bargeld aus dem Drogenhandel in der Regel nicht. 
Dazu bedarf es vielmehr weiterer Indizien wie das Fehlen einer plausiblen Erklärung für einen legalen Erwerb der Gelder, die Stückelung eines grossen Geldbetrags in kleine Einheiten und verschiedene Währungen oder die Art des Geldtransports. Nicht verlangt wird hingegen, dass die Behörde auch detaillierte Kenntnis der Tatumstände und des Täters hat, inklusive Ort und Zeit der einzelnen Tathandlungen; ein strikter Beweis der (Vor-) Tat ist nicht erforderlich (ausführlich Urteil 6B_1390/2020 vom 8. Juni 2022 E. 2.2.5). 
 
3.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, es seien fünf Geldnoten positiv auf Kokain und Metamphetamin getestet worden. An Händen, Stirn und Hosentaschen seien sechs Substanzen festgestellt worden, doch sei keine dieser Substanzen identisch mit den zwei Substanzen an den Geldnoten, von denen bei korrekter Messung "zwangslogisch" auch eine auf ihren Händen hätte festgestellt werden müssen. Der Messbericht sei zu beanstanden, weil er nicht plausibel und die Akten nicht vollständig seien, sodass darauf nicht abgestellt werden könne. Die Annahme einer Kontaminierung sei damit eine aktenwidrige und willkürliche Beweiswürdigung (Beschwerde Ziff. 8).  
 
Da nur fünf der 90 Noten geprüft wurden, sei diese Auswahl nicht geeignet, die Kontamination aller 90 Noten zu behaupten und diese als Drogengeld einzuziehen. Die fünf geprüften Noten hätten kein identisches Messergebnis ergeben, da nur zwei Noten Paracetamol aufwiesen. Der Sachverhalt sei nicht umfassend abgeklärt worden, indem beispielsweise nicht die Frage gestellt worden sei, ob denn eine Drittperson einem Eigenkonsum nachgehe. Mangels anderweitiger Angaben sei davon auszugehen, dass die Kokainspuren auf dem Geldbündel von einem Eigenkonsum des Vorbesitzers stamme.  
 
Das Aussageverweigerungsrecht sei ihr zwingend zuzugestehen betreffend die angeblich mangelnde Mitwirkung beim Ersuchen des Untersuchungsamts um die genauen Kontaktdaten des Cousins im W.________, um diesen einzuvernehmen. Dieser sei ein städtischer Angestellter. Die Involvierung in ein Strafverfahren hätte ihm potentielle Nachteile bescheren können. Da habe die Beschwerdeführerin eine bewusste Grenze gezogen. Dies habe das Untersuchungsamt als "vollumfängliche Verweigerung" behauptet. Das sei eine tendenziöse, teilweise sogar willkürliche und damit klar fehlerhafte Untersuchungsführung. Wenigstens habe das Untersuchungsamt erkannt, dass ihr das Recht auf Verweigerung der Mitwirkung zustehe. Es halte fest, dass nicht habe ermittelt werden können, wie die Beschwerdeführerin zu dem kontaminierten Geld gelangt sei, und stelle sich demnach auf den Standpunkt, dass sie "insgesamt äusserst unglaubwürdig wirkte ", was aber ein subjektives Empfinden darstelle und keinen Platz in der Begründung einer Einziehungsverfügung einnehmen dürfe. Das hätte es mindestens rudimentär begründen müssen.  
 
Indem die Vorinstanz trotz Fehlens der Voraussetzungen von Art. 70 Abs. 2 StGB eine auf einen blossen Verdacht gestützte Einziehung unter der Auslegung des zu Recht ausgeübten Aussageverweigerungsrechts zum Nachteil der Beschwerdeführerin bestätige, habe sie unter anderem das Willkürverbot verletzt und damit gegen Bundesrecht verstossen (Beschwerde Ziff. 24). 
 
3.3. Die Vorinstanz legt die Voraussetzungen der Einziehung gemäss Art. 70 Abs. 2 StGB zutreffend dar und geht davon aus, dass der Staat sämtliche Voraussetzungen der Einziehung beweisen müsse. Sie nimmt zwar an, die Darstellung der Beschwerdeführerin, wonach sie das Geld für einen Autokauf mitgeführt und einen Teil der Summe von einem Bekannten habe, bewege sich durchaus im Rahmen des Möglichen. Die Kontamination der Geldscheine, des Autos und einzelner ihrer Körperteile werfe aber Fragen auf. Da sie einen Eigenkonsum verneine, habe das Untersuchungsamt den Sachverhalt durch Fragen zu klären versucht, wozu sie nicht bereit gewesen sei.  
 
Wenngleich die Beweislast beim Staat liege und die Stichprobengrösse bei der Untersuchung des Geldes Fragen aufwerfen könne, bestünden vorliegend gesamthaft gleichwohl klare Hinweise auf eine deliktische Herkunft des Geldes. Diese habe die Beschwerdeführerin nicht auszuräumen vermocht, obschon ihr das ohne triftige Nachteile möglich gewesen wäre. Dass ihr Cousin als W.________-Beamter bei einer rechtshilfeweisen Einvernahme in seiner Heimat beruflichen Nachteilen ausgesetzt sein könnte, sei eine blosse und bei einer Einvernahme als Zeuge auch nicht überzeugende Behauptung für die Verweigerung der Preisgabe der Identität. Auch zum Autokauf in V.________ habe die Beschwerdeführerin keine konkreten und nachprüfbaren Angaben zu machen vermocht, weshalb auch diese vorgeschoben wirkten. In Würdigung all dieser Umstände habe das Untersuchungsamt richtigerweise auf eine deliktische Herkunft geschlossen. 
 
3.4. Somit thematisiert die Vorinstanz die Untersuchungsmethode angesichts der geringen Stichprobengrösse von fünf Noten auch unter Berücksichtigung des von der Beschwerdeführerin bereits vor der Vorinstanz vorgebrachten Urteils 6B_1042/2019 vom 2. April 2020 (Entscheid E. 5). Die Beschwerdeführerin kritisiert vor Bundesgericht erneut die Untersuchung von nur fünf Noten und macht eine fehlende Stückelung eines grossen Geldbetrags in kleine Einheiten und verschiedene Währungen geltend. Dieses Argument schlägt für sich genommen nicht schon durch. Dass die Beschwerdeführerin das sichergestellte Geld nicht in kleiner Stückelung etc. mit sich führte, wie es etwa bei Endverkäufen anfällt, beweist nicht e contrario, dass es nicht aus dem Drogenhandel stammt. Indem sich die Beschwerdeführerin lediglich auf das Urteil 6B_1042/2019 vom 2. April 2020 bezieht und die beweisrechtliche Würdigung ihrer Angaben, der Umstände und der Indizien, worauf die Einziehung in ihrem Fall basiert, nicht qualifiziert als unhaltbar und damit als willkürlich rügt (vgl. oben E. 2), kann sie nicht durchdringen. Es fehlt vollständig an einer plausiblen Erklärung für einen legalen Erwerb der kontaminierten 10'000 Euro (vgl. Urteil 6B_1390/2020 vom 8. Juni 2022 E. 2.4.3).  
 
3.5. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin erweisen sich als rein appellatorisch und sind entsprechend untauglich, eine Willkür sowie eine Verletzung der Untersuchungsführung, der Aktenerstellung oder des Aussageverweigerunsrechts aufzuzeigen. Die Beschwerdeführerin wirft dem Untersuchungsamt ein fehlerhaftes Vorgehen vor und kritisiert die Begründung der Verfügung. Sie übergeht, dass Beschwerdegegenstand einzig der vorinstanzliche Endentscheid darstellen kann. Sie legt nirgends dar, dass und inwiefern sie diese Rügen vor der Vorinstanz überhaupt erhoben hätte und inwiefern die Vorinstanz diese Rügen bundesrechtswidrig beurteilt oder nicht beurteilt hätte. Verfahrensrechtliche Einwände, die im kantonalen Verfahren hätten geltend gemacht werden können, können nach dem Grundsatz der materiellen Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs vor Bundesgericht nicht mehr vorgebracht werden (BGE 135 I 91 E. 2.1; Urteile 6B_1188/2021 vom 14. September 2022 E. 3.2; 6B_149/2022 vom 25. August 2022 E. 5.4.2; 6B_637/2021 vom 21. Januar 2022 E. 3.2). Tatsache ist, dass an den untersuchten Noten, der Beschwerdeführerin selber sowie im Personenwagen zahlreiche Substanzen festgestellt wurden. Inwiefern eine Kontaminierung aktenwidrig sein sollte, erschliesst sich daher nicht. Eine weitere Tatsache ist, dass die Beschwerdeführerin die Kontaktdaten des "Cousins im W.________" nicht in der Weise angab, dass das Untersuchungsamt ihn hätte kontaktieren können. Sie war auch nicht bereit, Personen anzugeben, die ihre Darstellung zum Autokauf in V.________ hätten bestätigen oder belegen können. Weder der "Cousin im W.________" noch der beabsichtigte Autokauf in V.________ sind irgendwie plausibilisiert.  
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 2. November 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Briw