1B_555/2021 01.09.2022
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_555/2021  
 
 
Urteil vom 1. September 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jametti, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, Müller, 
Gerichtsschreiber Mattle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Bischofszell, 
Poststrasse 5b, 9220 Bischofszell. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Verfahrenskosten, Widerruf der amtlichen Verteidigung (Entschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 7. September 2021 des Obergerichts des Kantons Thurgau (SW.2021.99). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Strafbefehlen vom 27. Januar 2021 bestrafte die Staatsanwaltschaft Bischofszell B.________ und C.________ wegen Widerhandlung gegen das Planungs- und Baugesetz des Kantons Thurgau mit einer Busse von je Fr. 2'000.--. B.________ und C.________ erhoben dagegen Einsprache, worauf die Staatsanwaltschaft die Sache an das Bezirksgericht Weinfelden überwies und die Verurteilung der beschuldigten Personen im Sinne der Strafbefehle beantragte. 
Der vorsitzende Richter des Bezirksgerichts hiess ein von B.________ und C.________ gestelltes Gesuch um amtliche Verteidigung am 12. April 2021 gut und setzte Rechtsanwalt A.________ als amtlichen Verteidiger ein. Mit Urteil vom 22. Juni bzw. 26. Juli 2021 sprach das Bezirksgericht B.________ und C.________ der Widerhandlung gegen das Planungs- und Baugesetz schuldig und bestrafte sie mit je einer Busse von Fr. 500.-- (Dispositiv-Ziffer 1-4). Das Bezirksgericht auferlegte B.________ und C.________ die Verfahrenskosten im Umfang von je Fr. 1'300.-- (Dispositiv-Ziffer 5-7). Gleichzeitig entzog es ihnen die am 12. April 2021 bewilligte amtliche Verteidigung rückwirkend (Dispositiv-Ziffer 8). 
 
B.  
A.________ erhob gegen das Urteil des Bezirksgerichts vom 22. Juni bzw. 26. Juli 2021 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Thurgau. Er beantragte die Aufhebung der Dispositiv-Ziffern 5-8 und es sei ihm eine Entschädigung gemäss kantonalem Anwaltstarif, mindestens in Höhe von Fr. 4'000.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer), zuzusprechen. Mit einzelrichterlichem Entscheid vom 7. September 2021 trat das Obergericht auf die Beschwerde von A.________ nicht ein. 
 
C.  
Gegen den Entscheid des Obergerichts vom 7. September 2021 hat A.________ am 6. Oktober 2021 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Angelegenheit zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Eventualiter seien der angefochtene Entscheid und die Dispositiv-Ziffern 5-8 des Urteils des Bezirksgerichts vom 22. Juni bzw. 26. Juli 2021 aufzuheben und ihm eine Entschädigung gemäss kantonalem Anwaltstarif, mindestens in Höhe von Fr. 4'000.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer), zuzusprechen. Die Vorinstanz und die Generalstaatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassung verzichtet und beantragen die Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der angefochtene Entscheid des Obergerichts ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer Strafsache (vgl. Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 und 2 sowie Art. 90 BGG). Mit dem angefochtenen Entscheid ist die Vorinstanz auf die Beschwerde des Beschwerdeführers nicht eingetreten. Zur Anfechtung des vorinstanzlichen Entscheids ist der Beschwerdeführer nach Art. 81 Abs. 1 BGG unabhängig von seiner Legitimation in der Sache berechtigt, wobei sich der Streitgegenstand auch vor Bundesgericht auf die Eintretensfrage beschränkt. Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde in Strafsachen vorbehältlich zulässiger und genügend begründeter Rügen (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 95 und Art. 97 Abs. 1 BGG) einzutreten. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz hätte auf seine Beschwerde gegen den rückwirkenden Entzug der zuvor gewährten amtlichen Verteidigung eintreten müssen. Er rügt eine Verletzung von Art. 382 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 81 Abs. 1 BGG
 
2.1. Art. 382 StPO regelt die Legitimation der Parteien - ausser der Staatsanwaltschaft - zur Ergreifung von Rechtsmitteln nach der StPO (zur Legitimation der Staatsanwaltschaft vgl. Art. 381 StPO). Nach Art. 382 Abs. 1 StPO kann jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat, ein Rechtsmittel ergreifen. Die Voraussetzung des rechtlich geschützten Interesses gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO entspricht derjenigen von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG für die Beschwerde an das Bundesgericht (vgl. auch Art. 111 Abs. 1 BGG).  
 
2.2. Der Beschwerdeführer ist als amtlicher Verteidiger der beschuldigten Personen eingesetzt und tätig geworden. Zwischen ihm und dem Kanton hat ein öffentlich-rechtliches Verhältnis mit entsprechenden Rechten und Pflichten bestanden (vgl. BGE 139 IV 261 E. 2.2.1). Der Beschwerdeführer hat ein rechtlich geschütztes Interesse, sich gegen den rückwirkenden Widerruf seines Mandats zur Wehr zu setzen (vgl. Urteil 1B_632/2012 vom 19. Dezember 2012 E. 1). Zwar kann der Anwalt, der im Namen der von ihm vertretenen Person erfolglos ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt hat, dagegen nicht in eigenem Namen vorgehen (vgl. Urteil 1B_705/2011 vom 9. Mai 2012 E. 2.2 mit Hinweisen). Davon unterscheidet sich jedoch die vorliegende Situation, in welcher der Beschwerdeführer als amtlicher Verteidiger zunächst eingesetzt und anschliessend rückwirkend wieder abgesetzt worden ist, wodurch er an der Anfechtung des Entscheids des Bezirksgerichts nicht nur ein faktisches, sondern ein persönliches und unmittelbares und damit ein rechtlich geschütztes Interesse hat. Der Nichteintretensentscheid der Vorinstanz verletzt Art. 382 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 81 Abs. 1 lit. b und Art. 111 Abs. 1 BGG.  
 
3.  
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG). Für das bundesgerichtliche Verfahren ist keine Parteientschädigung zuzusprechen, zumal der Beschwerdeführer als Anwalt in eigenem Namen Beschwerde führt und kein besonderer Aufwand im Sinne der Rechtsprechung entstanden ist (vgl. Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 129 II 297 E. 5 mit Hinweisen). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid der Vorinstanz vom 7. September 2021 wird aufgehoben und die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Bischofszell und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. September 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Jametti 
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle