7B_707/2023 13.10.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_707/2023  
 
 
Urteil vom 13. Oktober 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Sauthier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Cao, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, Schwere Gewaltkriminalität, 
Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich. 
 
Gegenstand 
Haftentlassung / Verlängerung Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des 
Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, 
vom 7. September 2023 (UB230129-O/U/HEI>GRO). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen versuchter schwerer Körperverletzung. Sie wirft ihm vor, am 6. Juni 2023 mit B.________ in eine verbale Auseinandersetzung geraten zu sein. In der Folge soll er B.________ verfolgt, mit einer Eisenstange attackiert und diesem auf den Hinterkopf geschlagen haben. Selbst als B.________ am Boden gelegen sei, soll A.________ noch mit der Eisenstange auf ihn eingeschlagen haben, wodurch dieser eine Hirnerschütterung mit einer Rissquetschwunde am Hinterkopf sowie eine Verstauchung der Halswirbelsäule und eine Schürfwunde am Knie erlitten haben soll. 
 
B.  
A.________ wurde am 8. Juni 2023 verhaftet und mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Bezirks Zürich am 10. Juni 2023 in Untersuchungshaft versetzt. Das Zwangsmassnahmengericht wies mit Verfügungen vom 22. Juli 2023 und vom 15. August 2023 die von A.________ gestellten Haftentlassungsgesuche ab. Mit Verfügung vom 22. August 2023 verlängerte es die Untersuchungshaft bis zum 22. November 2023. A.________ erhob sowohl gegen die Verfügung vom 15. August 2023 als auch gegen die Verfügung vom 22. August 2023 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Zürich. Dieses schrieb die Beschwerde gegen die Verfügung vom 15. August 2023 (Haftentlassungsgesuch) mit Beschluss vom 7. September 2023 als gegenstandslos geworden ab und wies die Beschwerde gegen die Verfügung vom 22. August 2023 (Verlängerung der Untersuchungshaft) ab. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 5. Oktober 2023 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, der Beschluss des Obergerichts vom 7. September 2023 sei aufzuheben und er sei unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen, eventualiter unter Anordnung von Ersatzmassnahmen. Subeventualiter sei die Sache zur Festlegung der Art und Modalitäten der Ersatzmassnahmen an das Zwangsmassnahmengericht zurückzuweisen. 
Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Verlängerung von Untersuchungshaft. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich, soweit ersichtlich, nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht vor Bundesgericht grundsätzlich nicht. Er bringt vor, er habe die Verletzungen, die der Geschädigte dadurch erlitten habe, dass er diesem eine Eisenstange an- bzw. zurückgeworfen habe, nie abgestritten. Er habe jedoch in Notwehr gehandelt, da ihm der Geschädigte die Eisenstange zuerst angeworfen habe. 
Wie es sich damit verhält, mithin, ob tatsächlich eine Notwehrsituation vorlag, wird das Sachgericht zu entscheiden haben. Vorliegend ist der dringende Tatverdacht hinsichtlich der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen versuchten schweren Körperverletzung jedenfalls als erfüllt zu betrachten. 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer bestreitet den von der Vorinstanz bejahten besonderen Haftgrund der Fluchtgefahr. Er macht geltend, er lebe seit 15 Jahren in der Schweiz, verfüge über eine Niederlassungsbewilligung C, seine vier minderjährigen Kinder würden hier leben und zudem werde er vom Sozialamt unterstützt. Er habe ausser in der Schweiz nirgends eine Existenzmöglichkeit bzw. eine Flucht würde diese zunichtemachen. Anderswo würde ihm unweigerlich die Verelendung und Vereinsamung drohen. Chancen habe er im freien Arbeitsmarkt realistisch gesehen kaum, da er keine Lehre habe, weshalb er auf die Sozialhilfe in der Schweiz angewiesen sei. Es treffe zwar zu, dass seine Mutter noch in Somalia lebe. Dort herrsche aber Bürgerkrieg und eine weitverbreitete Armut. Es sei daher falsch, bei ihm eine Fluchtneigung anzunehmen. Er hoffe überdies auf eine bedingte Freiheitsstrafe und dass er als Härtefall nicht des Landes verwiesen werde.  
 
3.2. Nach Art. 221 StPO ist Untersuchungshaft unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Fluchtgefahr; Abs. 1 lit. a). Fluchtgefahr als besonderer Haftgrund setzt ernsthafte Anhaltspunkte dafür voraus, dass die beschuldigte Person sich dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion durch Flucht entziehen könnte. Sie darf nicht schon angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Es braucht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die beschuldigte Person, wenn sie in Freiheit wäre, dem Vollzug der zu erwartenden Strafe durch Flucht entziehen würde. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland, denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Ob Fluchtgefahr besteht, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände zu beurteilen. Zu berücksichtigen sind insbesondere der Charakter der beschuldigten Person, ihre moralische Integrität, ihre finanziellen Mittel, ihre Verbindungen zur Schweiz, ihre Beziehungen zum Ausland und die Höhe der ihr drohenden Strafe. Selbst bei einer befürchteten Reise in ein Land, welches die beschuldigte Person grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnte, ist die Annahme von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen. Die Schwere der drohenden Strafe darf als Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden, genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen (BGE 145 IV 503 E. 2.2; 143 IV 160 E. 4.3; je mit Hinweisen).  
Die Wahrscheinlichkeit einer Flucht nimmt in der Regel mit zunehmender Verfahrens- bzw. Haftdauer ab, da sich auch die Länge des allenfalls noch zu absolvierenden Strafvollzugs mit der bereits erstandenen prozessualen Haft, die auf die mutmassliche Freiheitsstrafe anzurechnen wäre (vgl. Art. 51 StGB), kontinuierlich verringert (BGE 143 IV 160 E. 4.3 mit Hinweis). Anklageerhebungen oder gerichtliche Verurteilungen können allerdings, je nach den Umständen des Einzelfalls, im Verlaufe des Verfahrens auch neue Fluchtanreize auslösen (vgl. BGE 145 IV 503 E. 2.2; 143 IV 160 E. 4.1; Urteile 7B_650/2023 vom 6. Oktober 2023 E. 2.1.1; 1B_5/2023 vom 23. März 2023 E. 2.4; je mit Hinweisen). 
 
3.3. Die Vorinstanz bejaht eine Fluchtgefahr. Zur Begründung führt sie aus, der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger von Somalia und verfüge über eine Niederlassungsbewilligung C. Zwar würden seine Kinder, von deren Mutter er jedoch getrennt lebe, in der Schweiz wohnen. Darüber hinaus sei er aber weder sozial noch beruflich in der Schweiz integriert. Er verfüge über keine Ausbildung und gehe keiner Arbeit nach. Es fehle ihm an eigenen finanziellen Mitteln und er müsse vom Sozialamt unterstützt werden. Zudem habe er auch keine geregelten Wohnverhältnisse. Mit seiner Mutter, die in Somalia lebe, verfüge er hingegen über einen familiären Kontaktpunkt zu seinem Heimatland. Diese Umstände sprächen für Fluchtgefahr. Der Beschwerdeführer könne alsdann aus seinem Verweis auf das Urteil Urteil 1B_364/2017 vom 12. September 2017 nichts zu seinen Gunsten ableiten. Anders als in jenem Fall sei er einschlägig vorbestraft. Er müsse angesichts des ihm vorgeworfenen Delikts bei einer Verurteilung mit einer empfindlichen Strafe rechnen. Dies stelle ebenfalls ein Indiz dar, dass er sich der drohenden Strafe durch Flucht entziehen könnte. Daran ändere auch nichts, dass er bei einer Flucht wohl die Sozialhilfeunterstützung verlieren würde. Schliesslich sei im Falle einer Verurteilung mit einer Landesverweisung zu rechnen, wobei, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, die Chance für die Anerkennung eines Härtefalls eher gering sei.  
 
3.4. Wenn die Vorinstanz aufgrund der persönlichen Verbindung des Beschwerdeführers zu seinem Heimatland Somalia, wo seine Mutter immer noch wohnt sowie seiner düsteren finanziellen und beruflichen Zukunftsaussichten und der fehlenden sozialen Integration in der Schweiz konkrete Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr annimmt, kann darin keine Bundesrechtsverletzung erkannt werden. Was dieser dagegen einwendet (vgl. E. 3.1 hiervor), insbesondere, dass seine Kinder hier leben und er von der Sozialhilfe abhängig sei, ändert daran jedenfalls nichts.  
Nach dem Gesagten braucht nicht zusätzlich geprüft zu werden, ob neben dem besonderen Haftgrund der Fluchtgefahr noch weitere alternative Haftgründe erfüllt sein könnten, etwa Kollusionsgefahr (Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO). 
 
3.5. Zwar macht der Beschwerdeführer noch beiläufig geltend, es seien Ersatzmassnahmen für Haft anzuordnen. Er legt jedoch nicht dar, inwiefern mit einem Kontakt- bzw. Rayonverbot der dargelegten Fluchtgefahr wirksam begegnet werden könnte. Dies gilt weiter auch für die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Möglichkeit einer Ausweis- und Schriftensperre sowie die Auflage, sich regelmässig bei einer Amtsstelle zu melden. Nach der einschlägigen Praxis des Bundesgerichtes zu Art. 237 Abs. 2 StPO vermögen eine Pass- und Schriftensperre (lit. b), die Auflage, sich nur (oder sich nicht) an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Haus aufzuhalten (lit. c), und die Verpflichtung, sich regelmässig bei der Polizei zu melden (lit. d), eine ausgeprägte Fluchtgefahr in der Regel nicht ausreichend zu bannen (vgl. BGE 145 IV 503 E. 3.2-3.3; Urteil 1B_120/2023 vom 21. März 2023 E. 3.1; je mit Hinweisen). Die Ansicht der kantonalen Instanzen, blosse Ersatzmassnahmen für Haft reichten nicht aus, um die Haftzwecke ausreichend zu gewährleisten, hält demnach vor dem Bundesrecht stand.  
 
3.6. Mit Blick auf die ihm im Falle einer Verurteilung wegen versuchter schwerer Körperverletzung drohende Freiheitsstrafe (vgl. Art. 122 i.V.m. Art. 22 StGB) besteht aktuell beim Beschwerdeführer, der bisher rund vier Monate Haft erstanden hat, auch noch keine Gefahr von Überhaft (Art. 212 Abs. 3 StPO; BGE 145 IV 179 E. 3.1).  
 
4.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der unterliegende Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er stellt jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (vgl. Art. 64 BGG). Damit sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten zu erheben und ist der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers aus der Bundesgerichtskasse angemessen zu entschädigen. Der Beschwerdeführer wird allerdings darauf hingewiesen, dass er der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er aufgrund einer Verbesserung seiner finanziellen Situation dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, 
 
2.1. Rechtsanwalt Rainer Cao wird für das bundesgerichtliche Verfahren als unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der Gerichtskasse entschädigt.  
 
2.2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier