150 IV 1
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Chapeau

150 IV 1


1. Auszug aus dem Urteil der I. strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_953/2023 vom 15. Dezember 2023

Regeste

Art. 61 CP; mesures pour jeunes adultes, interdiction de sanctions trop clémentes ("Untermassverbot").
L'interdiction de sanctions trop clémentes ("Untermassverbot"), qui découle du principe de proportionnalité, selon laquelle la durée de la mesure et l'intensité de l'atteinte qui en résulte ne doivent pas être trop faibles au regard de la peine dont l'exécution a été suspendue, doit être prise en compte en relation avec les mesures pour jeunes adultes (consid. 2.3.1 et 2.4.2). L'exécution des longues peines privatives de liberté, pour lesquelles la durée maximale de la mesure ne représente même pas les deux tiers de la durée de la peine, ne doit être suspendue en vue d'un traitement qu'exceptionnellement, lorsque les perspectives de succès sont particulièrement favorables ou si l'on peut attendre de la mesure le succès d'une resocialisation qui ne pourrait manifestement pas être obtenue par un traitement ambulatoire pendant l'exécution de la peine (consid. 2.3.1).

Faits à partir de page 2

BGE 150 IV 1 S. 2

A.

A.a Das Bezirksgericht Zürich stellte mit Urteil vom 5. Juni 2020 das Verfahren gegen A. bezüglich Drohung, Hausfriedensbruchs, unrechtmässiger Aneignung und mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes ein und sprach ihn von den Vorwürfen der geringfügigen Sachentziehung und des Fahrens ohne Berechtigung frei. Es verurteilte ihn wegen mehrfacher qualifizierter sexueller Nötigung, mehrfacher, teilweise qualifizierter Vergewaltigung, Gefährdung des Lebens, mehrfacher einfacher Körperverletzung, mehrfacher Nötigung, mehrfachen Raubes, Schändung, Diebstahls, Hausfriedensbruchs, mehrfacher Urkundenfälschung, mehrfacher Fälschung von Ausweisen, Fahrens in fahrunfähigem Zustand, mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung, mehrfachen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Übertretung desselben, Entwendung zum Gebrauch, fahrlässiger Verletzung der Verkehrsregeln, pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall, Nichtanzeigens eines Fundes, mehrfacher falscher Anschuldigung und mehrfacher vorsätzlicher Übertretung des Personenbeförderungsgesetzes zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren, einer Geldstrafe von 170 Tagessätzen zu Fr. 10.- sowie einer Busse von Fr. 1'600.- als teilweise Zusatzstrafe zu den Strafbefehlen der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 3. Oktober 2017 und der Staatsanwaltschaft See/Oberland vom 23. Juli 2014. Es
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ordnete eine ambulante Behandlung an, wobei es den Vollzug der Freiheitsstrafe nicht aufschob. Ferner verwies es A. für 10 Jahre des Landes, beurteilte die Zivilklagen, erliess die notwendigen Verfügungen und regelte die Kosten- sowie Entschädigungsfolgen.

A.b Das Obergericht des Kantons Zürich stellte am 22. September 2021 fest, dass das erstinstanzliche Urteil teilweise in Rechtskraft erwachsen ist. Es erklärte A. der mehrfachen qualifizierten sexuellen Nötigung, der mehrfachen, teilweise qualifizierten Vergewaltigung, der Schändung, der Gefährdung des Lebens, der mehrfachen einfachen Körperverletzung, der mehrfachen Nötigung, des mehrfachen Raubes, des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall und der falschen Anschuldigung schuldig und sprach ihn von den Vorwürfen der geringfügigen Sachentziehung und des Nichtanzeigens eines Fundes frei. In Berücksichtigung der rechtskräftigen erstinstanzlichen Schuldsprüche verurteilte es ihn zu einer Freiheitsstrafe von 14 ½ Jahren und einer Busse von Fr. 1'500.-, diese teilweise als Zusatzstrafe zu den vorgenannten Strafbefehlen. Es ordnete eine vollzugsbegleitende ambulante Behandlung an und verwies A. für 13 Jahre des Landes. Es beurteilte die Zivilklagen und regelte die Kosten- sowie Entschädigungsfolgen.

A.c Das Bundesgericht hiess die von A. erhobene Beschwerde in Strafsachen mit Urteil vom 23. Mai 2022 teilweise gut, hob das obergerichtliche Urteil auf und wies die Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Verfahren 6B_200/2022).

B. Das Obergericht stellte in seinem neuen Urteil vom 6. Juni 2023 wiederum die teilweise Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils fest und erklärte A. der mehrfachen qualifizierten sexuellen Nötigung, der mehrfachen, teilweise qualifizierten Vergewaltigung, der Schändung, der Gefährdung des Lebens, der mehrfachen einfachen Körperverletzung, der mehrfachen Nötigung, des mehrfachen Raubes, des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall und der falschen Anschuldigung schuldig (Dispositiv-Ziff. 1). Von den Vorwürfen der geringfügigen Sachentziehung und des Nichtanzeigens eines Fundes sprach es ihn frei (Dispositiv-Ziff. 2). Es bestrafte A. in Berücksichtigung der rechtskräftigen erstinstanzlichen Schuldsprüche mit einer Freiheitsstrafe von 14 ½ Jahren und einer Busse von Fr. 1'500.-, diese teilweise als Zusatzstrafe zu den vorgenannten Strafbefehlen (Dispositiv-Ziff. 3). Ferner ordnete es eine vollzugsbegleitende ambulante Behandlung an (Dispositiv-Ziff. 6), verwies A. für 13 Jahre
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des Landes (Dispositiv-Ziff. 7), beurteilte die Zivilklagen (Dispositiv-Ziff. 8 ff.) und regelte die Kosten- sowie Entschädigungsfolgen (Dispositiv-Ziff. 13 ff.).

C. A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, die Dispositiv-Ziff. 3, 6 und 15 f. des obergerichtlichen Urteils seien aufzuheben und er sei mit einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sieben Monaten sowie einer Busse von Fr. 1'500.- zu bestrafen. Es sei eine Massnahme für junge Erwachsene anzuordnen und die Verfahrenskosten seien ihm lediglich im Umfang von zwei Dritteln aufzuerlegen. Eventualiter sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen. Ferner ersucht A. um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Considérants

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anordnung der (vollzugsbegleitenden) ambulanten Behandlung und beantragt, es sei stattdessen eine Massnahme für junge Erwachsene anzuordnen. Das forensisch-psychiatrische Gutachten spreche sich klar für eine solche Massnahme aus, die gegenüber einer vollzugsbegleitenden ambulanten Massnahme zu bevorzugen sei. Das Untermassgebot sei in Zusammenhang mit einer Massnahme für junge Erwachsene nicht anwendbar.
(...)

2.3

2.3.1 Nach dem aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip abgeleiteten Untermassverbot dürfen Dauer und Eingriffsintensität der Massnahme im Verhältnis zur aufgeschobenen Strafe nicht zu geringfügig sein (Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [...] und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 2071 Ziff. 213.411). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind deshalb längere Freiheitsstrafen, bei denen die maximale Dauer der Massnahme nicht einmal zwei Dritteln der Strafzeit gleichkommt, nur ausnahmsweise zwecks stationärer Behandlung auszusetzen. Ein Aufschub des Strafvollzugs kommt in diesen Fällen daher nur in Betracht, wenn die Erfolgsaussichten besonders günstig sind bzw.
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ein Resozialisierungserfolg erwartet werden darf, der sich durch den Vollzug der Freiheitsstrafe mit ambulanter Behandlung von vornherein nicht erreichen lässt (BGE 107 IV 20 E. 5b; Urteil 6B_737/2009 vom 28. Januar 2010 E. 2; siehe auch BGE 118 IV 351).

2.3.2 Der Entscheid über die adäquate Massnahme stellt eine Rechtsfrage dar. Bei der Beurteilung der für diese Rechtsfrage massgebenden Sachumstände wie der Legalprognose und der Frage des therapeutischen Nutzens einer Massnahme handelt es sich hingegen um Tatfragen, welche das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür überprüft (Urteile 6B_387/2023 / 6B_421/2023 vom 21. Juni 2023 E. 4.3.2; 6B_1068/2022 vom 8. Februar 2023 E. 2.3.3; 6B_1093/2021 vom 17. März 2022 E. 2.4; je mit Hinweisen; zum Willkürbegriff: BGE 148 IV 39 E. 2.3.5).

2.3.3 Das Gericht stützt sich bei seinem Entscheid über die Anordnung einer Massnahme auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters, die Art und Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten und die Möglichkeit des Vollzugs der Massnahme (Art. 56 Abs. 3 StGB, Art. 182 StPO; BGE 146 IV 1 E. 3.1).
Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei (Art. 10 Abs. 2 StPO). In Fachfragen darf es davon indessen nicht ohne triftige Gründe abweichen und Abweichungen müssen begründet werden. Auf der anderen Seite kann das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen (BGE 146 IV 114 E. 2.1; BGE 142 IV 49 E. 2.1.3; BGE 141 IV 369 E. 6.1; Urteil 6B_387/2023 / 6B_421/2023 vom 21. Juni 2023 E. 4.3.2; je mit Hinweisen). Erscheint dem Gericht die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat es nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben (BGE 142 IV 49 E. 2.1.3; BGE 141 IV 369 E. 6.1).

2.4

2.4.1 Soweit der Beschwerdeführer seine Rüge mit der von ihm beantragten Strafe begründet, ist darauf nicht weiter einzugehen. Unzutreffend ist sein Vorbringen, selbst bei Bestätigung der von der Vorinstanz ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 14 ½ Jahren läge die Dauer des Freiheitsentzugs bei erfolgreicher Absolvierung einer Massnahme für junge Erwachsene lediglich viereinhalb Monate unter der "Zweidrittelgrenze". Hier scheint der Beschwerdeführer
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einem Rechenfehler zu unterliegen, da selbst bei den von ihm angenommenen Zahlen (noch zu vollziehende Strafe bis "Zweidrittelgrenze" von viereindrittel Jahren und Dauer der Massnahme für junge Erwachsene von zweieinhalb Jahren) keine Differenz von viereinhalb Monaten resultiert. Demgegenüber zeigt die Vorinstanz schlüssig auf, dass der mit einer Massnahme für junge Erwachsene verbundene Freiheitsentzug knapp zwei Jahre unter der "Zweidrittelgrenze" liegen würde.

2.4.2 Der Beschwerdeführer vertritt den Standpunkt, das Untermassverbot komme in Zusammenhang mit Massnahmen für junge Erwachsene nicht zur Anwendung. Zur Begründung bringt er zutreffend vor, dass sich der Gesetzgeber ausdrücklich gegen eine Sperrklausel entschied. Allerdings ist der von ihm zitierten sowie weiteren Passagen in der bundesrätlichen Botschaft zu entnehmen, dass auf eine Sperrklausel neben weiteren Gründen (die Klausel widerspräche dem Grundsatz der Erforderlichkeit und Subsidiarität und führte zu unflexiblen Lösungen, die der Praxis zu wenig Spielraum gäben) deshalb verzichtet wurde, weil bereits der Grundsatz der Subsidiarität nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine Sperrwirkung entfaltet (BBl 1999 2070 f. Ziff. 213.411, 2081 Ziff. 213.423). Zu Art. 62b Abs. 3 (E-)StGB führte der Bundesrat aus, das Dilemma, dass ein massnahmebedürftiger Täter durch die Massnahme begünstigt werden könnte, wenn er zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt wird und die Massnahme nach verhältnismässig kurzer Zeit erfolgreich beendet ist, müsse im Interesse der Verhütung künftiger Delikte in gewissen Grenzen hingenommen werden. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass durch die Sperrwirkung des Grundsatzes der Subsidiarität der Massnahmen solche Begünstigungen die Ausnahme bleiben werden (BBl 1999 2086 Ziff. 213.433). Aus der Botschaft ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Massnahmen für junge Erwachsene nicht von der Anwendung des Untermassverbots gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausnehmen wollte. Dabei wird in der Botschaft auch ausdrücklich auf den vom Beschwerdeführer angeführten BGE 118 IV 351, der in Zusammenhang mit der altrechtlichen Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt (aArt. 100 bis StGB) erging, Bezug genommen (vgl. BBl 1999 2070 f. Ziff. 213.411, 2081 Ziff. 213.423 insbesondere Fn. 253). Soweit der Beschwerdeführer argumentiert, in besagtem Entscheid werde explizit festgehalten, dass sich die Frage, inwieweit die Dauer der Arbeitserziehung hinter einer schuldangemessenen Strafe zurückbleiben kann, in dieser
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Form gar nicht stelle, und daraus schliesst, das Untermassverbot könne infolgedessen nicht unbesehen gegen die Einweisung in ein Massnahmezentrum für junge Erwachsene angewandt werden, kann ihm nicht gefolgt werden. Aus dem bundesgerichtlichen Entscheid ergibt sich, dass sich die Frage, inwieweit die Dauer der Arbeitserziehung hinter einer schuldangemessenen Strafe zurückbleiben kann, deshalb nicht stelle, weil die Massnahme der Arbeitserziehung monistisch ausgestaltet war, d.h., dass neben der Massnahme keine Strafe ausgesprochen wurde. Das Bundesgericht ergänzte, die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt setze voraus, dass der Betroffene sozialtherapeutischen und sozialpädagogischen Einwirkungen zugänglich erscheine. An das Erfordernis einer in diesem Sinn günstigen Prognose seien um so höhere Anforderungen zu stellen, je länger die Strafe zu bemessen wäre, wenn keine Arbeitserziehung angeordnet würde (BGE 118 IV 351 E. 2d). Folglich fand die Dauer der (hypothetischen) schuldangemessenen Strafe auch im Rahmen der Prüfung der altrechtlichen Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt Berücksichtigung. Kommt hinzu, dass die Rechtsprechung zu der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt nicht unbesehen auf die Massnahme für junge Erwachsene übernommen werden kann. Anders als die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt ist die Massnahme für junge Erwachsene nicht mehr monistisch, sondern - wie die übrigen therapeutischen Massnahmen - dualistisch-vikariierend ausgestaltet (vgl. BBl 1999 2081 Ziff. 213.423). Zudem ist der Gesetzgeber - wie bereits aufgezeigt - davon ausgegangen, dass das Untermassverbot bzw. die diesbezügliche bundesgerichtliche Rechtsprechung auch bei der Massnahme für junge Erwachsene zur Anwendung gelangt. Gegenteiliges ist denn auch der Lehre - soweit das Untermassverbot überhaupt thematisiert wird - soweit ersichtlich nicht zu entnehmen (vgl. URWYLER/ENDRASS/HACHTEL/GRAF, Handuch Strafrecht Psychiatrie Psychologie, 2022, Rz. 1765 ff. und THIERRY URWYLER, Untermassverbot bei therapeutischen Massnahmen nach Art. 59-61 und 63 StGB, AJP 2018 S. 1478 ff., 1481 f., 1484, die davon ausgehen, dass bei einer Massnahme für junge Erwachsene regelmässig jene guten Behandlungsaussichten vorliegen dürften, die eine Durchbrechung der "Zweidrittelgrenze" erlauben; LUDWICZAK GLASSEY/ROTH/THALMANN, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2. Aufl. 2021, N. 27 zu Art. 56 StGB; TRECHSEL/PAUEN BORER, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N. 8 zu Art. 56 StGB;
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MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 14 ff. und 83 zu Art. 61 StGB; STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II: Strafen und Massnahmen, 3. Aufl. 2020, S. 308 f. § 8), wobei anzumerken ist, dass gewisse Teile der Literatur bereits das Untermassverbot an sich kritisch betrachten (so wohl HEER, a.a.O., N. 37 zu Art. 56 StGB; STRATENWERTH/BOMMER, a.a.O., S. 308 f. § 8). Zusammenfassend erweist sich die Rüge, wonach das Untermassverbot bei Massnahmen für junge Erwachsene generell nicht zur Anwendung gelangt, als unbegründet.

2.4.3 Würde eine Massnahme für junge Erwachsene angeordnet, müsste sie im Februar 2026, wenn der Beschwerdeführer sein 30. Altersjahr vollendet hat, aufgehoben werden (vgl. Art. 61 Abs. 4 StGB). Wäre die Massnahme erfolgreich, wäre die Reststrafe nicht mehr zu vollziehen (vgl. Art. 62 und 62b StGB) und der vom Beschwerdeführer ausgestandene Freiheitsentzug läge knapp zwei Jahre unter der "Zweidrittelgrenze" (vgl. E. 2.4.1). Damit prüft die Vorinstanz zu Recht, ob vorliegend die Erfolgsaussichten besonders günstig sind bzw. ein Resozialisierungserfolg erwartet werden darf, der sich durch den Vollzug der Freiheitsstrafe mit ambulanter Behandlung von vornherein nicht erreichen lässt (vgl. E. 2.3.1). Der Sachverständige hält fest, die beim Beschwerdeführer diagnostizierte dissoziale Persönlichkeitsstörung reihe sich aus gutachterlicher Sicht in einen Grenzbereich zwischen einer schweren psychischen Störung und einer Störung in der Persönlichkeitsentwicklung ein, wobei die abschliessende Einordnung vom weiteren Verlauf abhängen werde. Unabhängig davon wie die diesbezügliche juristische Entscheidung ausfalle, benötige der Beschwerdeführer umfassende therapeutische Unterstützung bei der Bearbeitung der deliktsrelevanten Problembereiche und zur Entwicklung eines tragfähigen sozialen Empfangsraums. Aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht seien handlungsorientierte Interventionen zur Verbesserung der langfristigen Kriminalprognose angezeigt, wobei aufgrund der Unreife des Beschwerdeführers aktuell (noch) mehrere Optionen offenstünden. Aufgrund der Unreife, der mangelnden beruflichen bzw. sozialen Perspektive des Beschwerdeführers und der positiven Entwicklung in der Untersuchungshaft sei aus gutachterlicher Sicht eine Massnahme für junge Erwachsene möglich. Eine Aussichtslosigkeit wäre nicht von vornherein gegeben. Würde man sich für diese Massnahme entscheiden, könnte man eng an den Vorstellungen des
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Beschwerdeführers bleiben und so seine Motivation aufrechterhalten, weshalb eine Massnahme für junge Erwachsene gegenüber einer vollzugsbegleiteten ambulanten Massnahme zu bevorzugen wäre. Jedoch benötige der Beschwerdeführer zur Verbesserung seiner Legalprognose neben einer beruflichen und sozialpädagogischen Förderung intensive psychotherapeutische Interventionen. Sollte eine Massnahme für junge Erwachsene nicht in Frage kommen, wäre eine vollzugsbegleitende deliktpräventive ambulante Behandlung zu empfehlen. Die Frage, ob der Art der Behandlung auch bei gleichzeitigem oder vorherigem Strafvollzug Rechnung getragen werden kann, bejaht der Sachverständige.
Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz aus diesen gutachterlichen Ausführungen schliesst, dass die Massnahme für junge Erwachsene zwar im Vordergrund steht, jedoch das Ziel der Behandlung auch mittels einer ambulanten Behandlung während dem Strafvollzug erreicht werden kann. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, überzeugt nicht. Es reicht nach dem Ausgeführten nicht aus, dass eine Massnahme für junge Erwachsene zu favorisieren ist, vielmehr müssen die Erfolgsaussichten besonders günstig sein bzw. es muss ein Resozialisierungserfolg erwartet werden dürfen, der sich durch den Vollzug der Freiheitsstrafe mit ambulanter Behandlung von vornherein nicht erreichen lässt. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Dass - wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht - vorliegend "beste Behandlungsaussichten" attestiert werden, ist den gutachterlichen Ausführungen nicht zu entnehmen. Auch ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz neben den gutachterlichen Ausführungen die Einschätzung der Therapeutin des Beschwerdeführers berücksichtigt, welche dessen therapeutische Erreichbarkeit insgesamt als fraglich bewertet und feststellt, dass sein hoher Psychopathiewert in Kombination mit seinem Narzissmus den therapeutischen Zugang erschwerten. Auch daraus ergibt sich, dass die Erfolgsaussichten einer Massnahme für junge Erwachsene nicht besonders günstig sind. Damit wird weder der Zweck einer Massnahme für junge Erwachsene verkannt noch die gutachterlich diagnostizierte Unreife des Beschwerdeführers in Abrede gestellt. Schliesslich berücksichtigt die Vorinstanz zutreffend, dass eine berufliche Ausbildung auch im Strafvollzug möglich ist und vom Beschwerdeführer bereits begonnen wurde. Da die Frage der Erfolgsaussichten bereits anhand der Einschätzung des Sachverständigen und der Therapeutin beurteilt werden kann, braucht nicht geprüft zu werden, ob die
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Vorinstanz unzulässigerweise vom forensisch-psychiatrischen Gutachten abweicht, indem sie das fortgeschrittene Alter des Beschwerdeführers und dessen Uneinsichtigkeit als Indizien dafür wertet, dass dieser der im Massnahmenvollzug für junge Erwachsene anvisierten Erziehung wenig zugänglich sei.

2.4.4 Insgesamt gelangt die Vorinstanz ohne Rechtsverletzung zum Schluss, dass das Untermassverbot vorliegend zu berücksichtigen ist und die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, um den Strafvollzug zugunsten einer Massnahme für junge Erwachsene aufzuschieben.

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Etat de fait

Considérants 2

références

ATF: 118 IV 351, 142 IV 49, 141 IV 369, 107 IV 20 suite...

Article: Art. 56 StGB, Art. 61 CP, Art. 56 Abs. 3 StGB, Art. 182 StPO suite...