6B_1071/2022 20.09.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1071/2022  
 
 
Urteil vom 20. September 2023  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiberin Pasquini. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin 
Dr. Carol Wiedmer-Scheidegger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
2. B.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Versuchte vorsätzliche Tötung, Strafzumessung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 31. Mai 2022 (SB210590-O/U/nm-cs). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich wirft A.________ zusammengefasst vor, er habe am frühen Morgen des 23. Juni 2019 den offensichtlich stark betrunkenen B.________ so kräftig gestossen, dass dieser unkontrolliert auf das Trottoir gefallen sei. Sodann habe er zweimal mit Ausholbewegung und voller Wucht gegen den Kopf des am Boden Liegenden getreten, diesen aber nicht getroffen. Anschliessend habe er erneut zweimal in gleicher Weise gegen den Kopf des weiterhin am Boden liegenden B.________ getreten und diesen dabei derart am Kopf getroffen, dass er bewusstlos am Boden liegen geblieben sei. Trotz der offensichtlichen Bewusstlosigkeit seines Widersachers habe A.________ zwei weitere Tritte mit voller Kraft gegen dessen Kopf ausgeführt. Er habe Trekkingschuhe mit einem Gewicht von je ca. 500 g getragen. B.________ sei ca. drei Minuten lang bewusstlos gewesen und habe eine Kopfprellung mit Schwellung über dem linken Auge, Prellmarken im Gesicht sowie am linken Unterarm erlitten. 
 
B.  
Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte A.________ am 31. Mai 2022 im Berufungsverfahren gegen das Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 31. August 2021 zweitinstanzlich der versuchten vorsätzlichen Tötung schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren, unter Anrechnung der ausgestandenen Haft. Weiter stellte es die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils, u.a. betreffend Verzicht auf Anordnung einer Landesverweisung, fest. Zudem verpflichtete es A.________ zur Bezahlung einer Genugtuung in der Höhe von Fr. 6'000.--, zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 23. Juni 2019, an das Opfer. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt im Wesentlichen, die Dispositiv-Ziffern 1-3 und 5 des Urteils des Obergerichts des Kantons Zürich vom 31. Mai 2022 seien aufzuheben. Er sei nicht wegen versuchter vorsätzlicher Tötung, sondern wegen versuchter schwerer Körperverletzung schuldig zu sprechen. Bei Aufhebung des Schuldspruchs sei das Verfahren zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Falle des Schuldspruchs der versuchten vorsätzlichen Tötung sei er mit einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten zu bestrafen, unter Anrechnung der Haft. Der Vollzug der Freiheitsstrafe von 24 Monaten sei unter Ansetzung einer Probezeit von 2 Jahren aufzuschieben. Das Genugtuungsbegehren des Privatklägers sei abzuweisen bzw. auf den Weg des ordentlichen Zivilprozesses zu verweisen. Die Kosten des erst- und vorinstanzlichen Gerichtsverfahrens seien den Beschwerdegegnern bzw. dem Kanton Zürich aufzuerlegen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Zum Begriff der Willkür und zu den qualifizierten Begründungsanforderungen kann auf die einschlägigen Gesetzesbestimmungen und die bisherige Rechtsprechung verwiesen werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; 143 IV 500 E. 1.1; je mit Hinweisen). 
Die eingehende Beweiswürdigung der Vorinstanz ist sorgfältig und nachvollziehbar (Urteil S. 9 ff.; erstinstanzliches Urteil S. 6 ff.). Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, belegt keine Willkür, soweit seine Ausführungen überhaupt den gesetzlichen Begründungsanforderungen genügen. Mit seinen Einwänden gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz vermag der Beschwerdeführer nicht darzulegen, weshalb diese schlechterdings unhaltbar sein sollen. Er beschränkt sich darauf, seinen Standpunkt vorzutragen. Darauf kann nicht eingetreten werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn er geltend macht, es sei willkürlich von schwerem Schuhwerk zu sprechen, ohne die beschlagnahmten Trekkingschuhe gewogen zu haben (Beschwerde S. 4). In diesem Zusammenhang hält die Vorinstanz zutreffend fest, dass Trekkingschuhe dazu gemacht sind, um stabil zu sein und Halt zu geben, weshalb im Vergleich zu anderen Schuhen durchaus von schwerem Schuhwerk auszugehen ist (Urteil S. 15 f. E. 2.4.1). Der Beschwerdeführer setzt sich nicht mit diesen Erwägungen auseinander. Gleich verhält es sich, wenn er behauptet, er sei bis zur Sichtung des Videos davon ausgegangen, dem Opfer in die Schulter getreten zu haben (Beschwerde S. 4). Die Vorinstanz stellt hierzu fest, gestützt auf den erstellten Handlungsablauf und vor dem Hintergrund der konkreten Umstände, sei es ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer nur gegen die Schulter des Beschwerdegegners habe schlagen wollen. Auf den Videoaufnahmen sei deutlich zu sehen, dass er ab dem dritten Tritt vor dem Beschwerdegegner gestanden sei, ihm mithin frontal von vorne ins Gesicht habe sehen können und aus dieser Position gegen den Kopf getreten habe. Hätte er wirklich nur die Schulter treffen wollen, wäre von einer anders geführten Trittbahn auszugehen (Urteil S. 16 E. 2.4.2). 
 
2.  
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die rechtliche Würdigung der Vorinstanz wendet (Beschwerde S. 3 ff.), entfernt er sich von ihren tatsächlichen Feststellungen. Inwiefern die Vorinstanz bei der von ihr festgestellten Sachlage zu Unrecht den Tatbestand der versuchten (eventual-) vorsätzlichen Tötung als erfüllt erachtet, zeigt er nicht substanziiert auf. Auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz kann verwiesen werden (Urteil S. 14 ff.). Diesen ist nichts beizufügen. 
 
3.  
 
3.1. Ferner kritisiert der Beschwerdeführer die Strafzumessung (Beschwerde S. 5 f.).  
 
3.2. Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung wiederholt dargelegt (BGE 142 IV 137 E. 9.1; 141 IV 61 E. 6.1; 136 IV 55 E. 5.4 ff.; je mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen. Das Sachgericht verfügt auf dem Gebiet der Strafzumessung über einen Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 144 IV 313 E. 1.2; 136 IV 55 E. 5.6; je mit Hinweisen).  
 
3.3. Die Strafzumessung der Vorinstanz ist nicht zu beanstanden (Urteil S. 18 ff.; erstinstanzliches Urteil S. 19 ff.). Es ist nicht ersichtlich, dass sie das ihr zustehende Ermessen überschritten oder wesentliche Strafzumessungskriterien ausser Acht gelassen hätte.  
 
3.3.1. Dem Einwand des Beschwerdeführers, die Vorinstanz begründe nicht, weshalb sie die Einsatzstrafe auf 8 Jahre festsetze (Beschwerde S. 5 Ziff. 1), kann nicht gefolgt werden. Die Vorinstanz wertet hinsichtlich der objektiven Tatschwere, dass der Beschwerdeführer mit schwerem Schuhwerk und grosser Kraft sechsmal gegen den Beschwerdegegner getreten hat, wobei er diesen einmal verfehlt, einmal die Schulter und danach viermal den Kopf getroffen hat. Sein Vorgehen zeuge von erschreckender Brutalität und Rücksichtslosigkeit. Der Umstand, dass der Beschwerdegegner bei den letzten beiden Tritten regungslos und ohne Körperspannung am Boden gelegen habe, zeuge von bedenklicher Menschenverachtung, insbesondere weil der Beschwerdeführer direkt vor dem Oper gestanden habe und diesem frontal ins Gesicht habe sehen können. Die offenbar fehlende Hemmschwelle, so intensiv mit dem eigenen Körper gegen den Körper eines Wehrlosen und insbesondere gegen dessen Kopf und Gesicht vorzugehen, manifestiere eine hohe kriminelle Energie. Indes habe sich der Vorfall während nur weniger Sekunden abspielt. Die Tat sei "explosionsartig" und spontan erfolgt (Urteil S. 18 f. E. 2.1). In subjektiver Hinsicht berücksichtigt die Vorinstanz sodann, dass der Beschwerdeführer lediglich eventualvorsätzlich gehandelt hat. Die unmittelbar vorgängig zur Tat erfolgten Beleidigungen des Beschwerdegegners veranschlagt sie leicht strafmindernd. Weiter bezieht sie ein, dass der Beschwerdeführer emotional aufgewühlt agiert hat. Insgesamt werde die objektive Schwere des Delikts durch die subjektive Tatschwere merklich relativiert, weshalb das Tatverschulden des Beschwerdeführers im Rahmen der vorsätzlichen Tötung - ausgehend von einer vollendeten Tatbegehung - als nicht mehr leicht bis erheblich zu bewerten sei. Deshalb sei die Strafe im unteren bis mittleren Teil des vorgegebenen Strafrahmens, nämlich bei 8 Jahren, festzusetzen (Urteil S. 19 f. E. 2.2). Der Beschwerdeführer setzt sich mit diesen Ausführungen nicht ansatzweise auseinander.  
 
3.3.2. Im Weiteren begründet die Vorinstanz nachvollziehbar, weshalb sie das Nachtatverhalten des Beschwerdeführers - namentlich dessen grundsätzliches Geständnis - deutlich mindernd, mit einer Reduktion um 1 ½ Jahren, berücksichtigt (Urteil S. 21 E. 2.4). Dass sie dabei ihr Ermessen verletzt, ist weder ersichtlich noch rechtsgenüglich dargelegt (Beschwerde S. 5).  
 
3.3.3. Die Vorinstanz erachtet eine Strafe von 3 ½ Jahren als gerechtfertigt. In Bezug auf die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers ist anzumerken (Beschwerde S. 5 f.), dass die Vorstrafenlosigkeit nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich neutral zu werten ist. Besondere Umstände, welche eine ausnahmsweise Berücksichtigung rechtfertigen würden (vgl. BGE 136 IV 1 E. 2.6.4), zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. Die Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren Freiheitsentzug hält sich auch insgesamt im Rahmen des sachrichterlichen Ermessens.  
 
3.4. Auf die Ausführungen des Beschwerdeführers betreffend den teilbedingten Strafvollzug ist nicht einzugehen (Beschwerde S. 6). Dieser kommt bei einer Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren nicht in Frage (Art. 43 Abs. 1 StGB).  
 
4.  
 
4.1. In Bezug auf die Zivilansprüche macht der Beschwerdeführer geltend, es sei willkürlich, von einer Traumatisierung des Beschwerdegegners auszugehen und diesem deshalb eine Genugtuung zuzusprechen (Beschwerde S. 6).  
Auch diesbezüglich geht der Beschwerdeführer nicht auf die entsprechenden Erwägungen der Vorinstanz ein, die nicht zu beanstanden sind. Es kann darauf verwiesen werden (Urteil S. 22 f.; erstinstanzliches Urteil S. 29 f.). Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus einen Beweisantrag stellt, ist darauf ebenfalls nicht einzutreten; denn das Bundesgericht nimmt keine Beweise ab (BGE 133 IV 293 E. 3.4.2; Urteile 6B_553/2022 vom 16. September 2022 E. 1.1; 6B_1209/2019 vom 1. Mai 2020 E. 1.2; 6B_80/2019 vom 11. März 2020 E. 2.4.1; je mit Hinweis). 
 
4.2. Schliesslich rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz wende zu Unrecht Art. 44 Abs. 1 OR nicht an. Der Beschwerdegegner habe die Tat provoziert (Beschwerde S. 6).  
Die Rüge ist unbegründet. Mit der Vorinstanz ist dem Beschwerdegegner zwar anzulasten (Urteil S. 9 f. E. 2.2 und S. 19 E. 2.2.1), dass er den Beschwerdeführer mit seinen primitiven Beleidigungen provoziert hat. Dies wurde denn auch strafmindernd einbezogen. Die in jeglicher Hinsicht unangemessene Reaktion des Beschwerdeführers, namentlich dessen Ausmass, hat der Beschwerdegegner indessen nicht zu vertreten. Der geschädigten Person ist ihr Verhalten lediglich vorwerfbar, wenn sie die Möglichkeit einer Schädigung voraussehen konnte oder hätte können und sie ihr Verhalten dieser Voraussicht nicht anpasst (vgl. Urteil 6B_402/2022 vom 24. April 2023 E. 5.2 mit Hinweisen). 
 
5.  
Der Beschwerdeführer begründet seinen Antrag betreffend die Auferlegung der Kosten des erst- und vorinstanzlichen Verfahrens mit der Folge eines Freispruchs (Beschwerde S. 2). Gemäss den vorstehenden Erwägungen ist darauf nicht einzugehen. 
Mangels Begründung kann auf die Beschwerde ausserdem nicht eingetreten werden, soweit der Beschwerdeführer beantragt, es sei festzustellen, dass er nicht zur Rückzahlung des an seine amtliche Verteidigerin ausgerichteten Honorars verpflichtet sei (Beschwerde S. 2). 
 
6.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. September 2023 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini