1B_591/2022 21.12.2022
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_591/2022  
 
 
Urteil vom 21. Dezember 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, 
Bundesrichter Haag, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin Eveline Roos, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, 4500 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren, Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Haftgerichts 
des Kantons Solothurn vom 17. Oktober 2022 (ZMAL.2022.7-HGRSCR). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Solothurn führt seit 2013 eine umfangreiche Strafuntersuchung gegen A.________ wegen mehrfachen gewerbsmässigen Betrugs, Betrugs, mehrfachen betrügerischen Konkurses und Pfändungsbetrugs, mehrfacher Misswirtschaft und zahlreicher weiterer Delikte, wobei sich die mutmassliche Schadenssumme insgesamt auf über zwei Millionen Franken beläuft. Im Rahmen einer nachträglichen Ausweitung des Strafverfahrens stellte die Staatsanwaltschaft am 11. März 2022 diverse Akten und zwei Mobiltelefone von A.________ sicher, deren Siegelung in der Folge beantragt wurde. 
 
B.  
Die Staatsanwaltschaft stellte fristgerecht ein Gesuch um Entsiegelung der sichergestellten Akten und Mobiltelefone. Mit Verfügung vom 17. Oktober 2022 hiess das Haftgericht des Kantons Solothurn als zuständiges Zwangsmassnahmengericht (nachfolgend Vorinstanz) das Entsiegelungsgesuch teilweise gut und genehmigte die Entsiegelung der sichergestellten Akten sowie, nach erfolgter Aussonderung der Anwaltskorrespondenz, der beiden Mobiltelefone. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 16. November 2022 erhebt A.________ beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, die Verfügung des Haftgerichts des Kantons Solothurn vom 17. Oktober 2022 aufzuheben und den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Entsiegelung abzuweisen, subsidiär die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter seien die geheimnisgeschützten und verfahrensirrelevanten Daten und Unterlagen anlässlich einer richterlichen Triageverhandlung unter Teilnahme der unterzeichneten Anwältin auszusondern. Weiter beantragte er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren. 
Die Staatsanwaltschaft hat mit Vernehmlassung vom 24. November 2022 die Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Vorinstanz hat sich mit Stellungnahme vom 25. November 2022 zur Beschwerde geäussert und ebenfalls deren Abweisung beantragt. A.________ hat mit Eingabe vom 9. Dezember 2022 repliziert und an seinen Anträgen festgehalten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Entscheid über die Entsiegelung von Akten und Datenträgern, die in einem strafprozessualen Untersuchungsverfahren in Anwendung von Art. 246 ff. StPO sichergestellt wurden. Die Vorinstanz hat gemäss Art. 248 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 380 StPO als einzige kantonale Instanz entschieden, weshalb die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offen steht. Der Beschwerdeführer ist als beschuldigte Person zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG). 
 
2.  
Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren nicht ab (Art. 90 f. BGG). Es handelt sich um seinen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid, der nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 oder Art. 93 BGG angefochten werden kann. Der angefochtene Entscheid betrifft weder die Zuständigkeit noch den Ausstand (Art. 92 BGG). Es handelt sich somit um einen "anderen Zwischenentscheid" im Sinne von Art. 93 BGG. Gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde gegen einen derartigen Zwischenentscheid zulässig, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Es ist Sache der beschwerdeführenden Person, die Eintretensvoraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG darzulegen, sofern deren Vorhandensein nicht auf der Hand liegt (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 142 V 26 E. 1.2; 141 IV 284 E. 2.3; je mit Hinweisen). 
 
3.  
Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, der Staatsanwaltschaft gehe es hauptsächlich darum, Hinweise zu finden, wo sich die von ihm bezogenen Bargelder befinden könnten. Aufgrund der Tatsache, dass er gemäss eigener Aussage der Staatsanwaltschaft keinen "Papertrail" hinterlassen habe, sei eine Durchsuchung der Geräte und Dokumente entbehrlich. Somit würde mit Gutheissung der vorliegenden Beschwerde ein bedeutender Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart. 
 
3.1. Die Argumentation des Beschwerdeführers ist unbehelflich. Er vermischt die Gründe, weshalb die angeordnete Zwangsmassnahme unzulässig sein soll, mit den voraussichtlichen Folgen einer Gutheissung der Beschwerde für das weitere Verfahren. Einzig letzteres ist für die Frage, ob eine Beschwerde gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG zulässig ist, von Bedeutung. Ob die Durchsuchung der sichergestellten Akten und Datenträger wie vom Beschwerdeführer vertreten entbehrlich ist, ist für die Beantwortung dieser Frage im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang.  
 
3.2. Der Beschwerdeführer verkennt sodann, dass die Anwendung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG nur dann in Betracht fällt, wenn die Gutheissung der Beschwerde kumulativ "sofort einen Endentscheid herbeiführen" kann und "einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten [...] ersparen würde" (statt vieler BGE 143 III 290 E. 1.4). Zumindest ersteres ist vorliegend offensichtlich nicht der Fall, ist ein Beschwerdeentscheid im Entsiegelungsverfahren doch von vornherein ungeeignet, das gegen den Beschwerdeführer geführte Strafverfahren zu Ende zu bringen. Entsprechend hält das Bundesgericht denn auch in ständiger Rechtsprechung fest, dass im Entsiegelungsverfahren die Variante nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ausser Betracht fällt und einzig zu prüfen ist, ob der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Urteile 1B_40/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 2; 1B_148/2022 vom 29. November 2022 E. 1.3; 1B_146/2021 vom 7. Juni 2022 E. 2.2; noch grundsätzlicher jeweils BGE 144 IV 127 E. 1.3; 141 IV 284 E. 2).  
 
4.  
Der Beschwerdeführer bringt sodann (ergänzend) vor, er habe ein Geheimhaltungsinteresse im Zusammenhang mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen und seinen Privatbereich betreffend. Ihm drohe bei einer Entsiegelung der Geräte und Dokumente ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil. 
 
4.1. Beim nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss es sich im Strafrecht um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein derartiger Nachteil liegt vor, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen späteren Entscheid nicht mehr behoben werden kann (BGE 144 IV 127 E. 1.3.1). Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 144 III 475 E. 1.2 mit Hinweisen).  
Wird im Entsiegelungsverfahren ausreichend substanziiert geltend gemacht, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die Offenbarung eines Geheimnisses nicht rückgängig gemacht werden kann (BGE 143 IV 462 E. 1; Urteil 1B_40/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 2.1 mit Hinweis). Werden dagegen (lediglich) andere Beschlagnahmehindernisse wie insbesondere einen mangelnden Deliktskonnex geltend gemacht, fehlt es grundsätzlich am nicht wieder gutzumachenden Nachteil (Urteile 1B_40/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 2.1; 1B_401/2021 vom 19. April 2022 E. 1.2; 1B_662/2020 vom 20. Oktober 2021 E. 1.3; 1B_260/2019 vom 17. Oktober 2019 E. 1; 1B_273/2015 vom 21. Januar 2016 E. 1.3). 
 
4.2. Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang vor Bundesgericht (einzig) vor, er habe ein Geheimhaltungsinteresse im Zusammenhang mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen und seinen Privatbereich betreffend. Dabei belässt er es bei diesen allgemeinen Ausführungen, die er im materiellen Teil seiner Beschwerde lediglich insoweit ergänzt, er habe im (vorinstanzlichen) Entsiegelungsverfahren die Fotos und Korrespondenz mit seiner Tochter, Kollegen und weiblichen Personen explizit erwähnt und sei damit seiner Substanziierungspflicht hinreichend nachgekommen. Er unterlässt es indessen auch nur im Ansatz aufzuzeigen, weshalb bezüglich dieser Aufzeichnungen ein überwiegendes Geheimnisschutzinteresse vorliegen und daher der Schutz der Persönlichkeit das Strafverfolgungsinteresse überwiegen würde. Der pauschale Hinweis auf private Korrespondenz oder Fotos begründet entgegen seiner Ansicht keine schutzwürdigen Geheimnisinteressen im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO (Urteile 1B_40/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 2.2; 1B_2/2019 vom 11. Juli 2019 E. 2; vgl. auch Urteile 1B_427/2021 vom 21. Januar 2022 E. 6.5; 1B_78/2021 vom 11. November 2021 E. 3). Das Gesagte gilt auch bezüglich der bloss pauschal erwähnten (und überhaupt nicht präzisierten) angeblichen Geschäftsgeheimnisse, zumal gerade die geschäftlichen Tätigkeiten des Beschwerdeführers Gegenstand der gegen ihn geführten Strafuntersuchung sind (vgl. Urteil 1B_498/2019 vom 28. September 2020 E. 2.7). Insbesondere legt der Beschwerdeführer in keiner Weise dar, weshalb der Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte vorliegend besonders belastend erscheine und über den im Rahmen einer Zwangsmassnahme definitionsgemäss zu erwartenden Grundrechtseingriff hinausgehe (Urteil 1B_40/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 2.2; vgl. auch Urteile 1B_465/2021 vom 11. Oktober 2021 E. 1.3; 1B_378/2020 vom 26. Mai 2021 E. 1).  
Stattdessen bringt der Beschwerdeführer im Kern vor, die sichergestellten Mobiltelefone seien nicht ordentlich gesiegelt worden und eine Entsiegelung damit unzulässig. Weiter wird ein fehlender Deliktskonnex der sich auf den gesiegelten Geräten befindlichen Aufzeichnungen und somit eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes geltend gemacht. Damit macht der Beschwerdeführer lediglich andere, allgemeine Beschlagnahmehindernisse geltend, die zwar ebenfalls von der Vorinstanz zu prüfen waren (und geprüft wurden), aber für sich alleine nicht zur Anrufung des Bundesgerichts berechtigen (zuletzt Urteil 1B_40/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 2.2 mit Hinweisen). 
 
4.3. Zusammengefasst kann mangels der ausreichend substanziierten Anrufung rechtlich geschützter Geheimnisinteresse kein nicht wieder gutzumachender Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG angenommen und damit auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.  
Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Beschwerdeführer (auch) eine Verletzung der Begründungspflicht durch die Vorinstanz und damit seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) geltend macht. Anders als bei Rügen hinsichtlich einer formellen Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV) rechtfertigt sich diesfalls kein Verzicht auf das Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils (Urteile 1B_2/2021 vom 7. April 2021 E. 1.4; 1B_18/2021 vom 23. Februar 2021 E. 1.4; 1C_595/2019 vom 27. Januar 2020 E. 2.2; je mit Hinweisen). 
 
5.  
Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen und sind keine Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 66 und 68 BGG). 
Indessen beantragt der Beschwerdeführer die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das Verfahren vor Bundesgericht. Deren Gewährung setzt jedoch insbesondere voraus, dass die gestellten Rechtsbegehren nicht aussichtlos erscheinen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf den Umstand, dass vorliegend bereits die Prozessvoraussetzungen offensichtlich nicht erfüllt sind, muss die Beschwerde des anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers als aussichtslos qualifiziert werden. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung ist demnach abzuweisen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn und dem Haftgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. Dezember 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger