7B_88/2022 14.07.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_88/2022  
 
 
Urteil vom 14. Juli 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Lustenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Oswald, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern, 
2. B.________, c/o Soziale Dienste Stadt Luzern, 
Obergrundstrasse 6, 6003 Luzern, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Versuchte Vergewaltigung; Landesverweisung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 17. Januar 2022 (4M 21 57). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Berufungsurteil vom 17. Januar 2022 stellte das Kantonsgericht Luzern fest, dass der erstinstanzliche Schuldspruch gegen den türkischen Staatsangehörigen A.________ wegen Landfriedensbruch sowie die Anordnung einer ambulanten Behandlung in Rechtskraft erwachsen ist. Weiter sprach es A.________ in teilweiser Gutheissung der Berufung vom Vorwurf der Vergewaltigung frei und bestätigte im Übrigen die erstinstanzlichen Schuldsprüche wegen versuchter Vergewaltigung sowie Raufhandels. Hierfür verurteilte es ihn zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten und verwies ihn für 8 Jahre des Landes, dies unter Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS). 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________ dem Bundesgericht, er sei in Aufhebung der entsprechenden Dispositivziffern des angefochtenen Urteils vom Vorwurf der versuchten Vergewaltigung freizusprechen, mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten zu bestrafen (wobei ihm der bedingte Vollzug zu gewähren sei) und es sei auf die Anordnung einer Landesverweisung zu verzichten. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. 
Es wurden die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) in Strafsachen einer letzten kantonalen Instanz, die als oberes Gericht auf Berufung hin (Art. 80 BGG) geurteilt hat. Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG) und hat die Beschwerdefrist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG). 
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt in Ziff. 1 seiner Beschwerde zunächst eine Verletzung von Art. 164 Abs. 2 StPO, indem sich die Vorinstanz auf ein Gutachten über die Urteilsfähigkeit der Privatklägerin B.________ (Beschwerdegegnerin 2) gestützt habe, das die Gutachterin aufgrund von audiovisuellen Aufzeichnungen der Einvernahmen, aber ohne persönliche Exploration erstellt habe. 
 
2.1. Die Verfahrensleitung kann eine ambulante Begutachtung einer Zeugin oder eines Zeugen anordnen, wenn sie Zweifel an der Urteilsfähigkeit hat oder wenn Anhaltspunkte für eine psychische Störung vorliegen, sofern die Bedeutung des Strafverfahrens und des Zeugnisses dies rechtfertigt (Art. 164 Abs. 2 StPO). Aufgrund des Verweises in Art. 180 Abs. 2 Satz 2 StPO gilt die genannte Bestimmung grundsätzlich auch für die Privatklägerschaft (Urteile 6B_173/2021 vom 14. Juli 2021 E. 1.1.3; 6B_1071/2019 vom 5. November 2020 E. 1.2.2; je mit Hinweisen). Dem Gericht steht bei der Beantwortung der Frage, ob aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles der Beizug eines Sachverständigen notwendig ist, ein Ermessensspielraum zu (Urteile 6B_1454/2022 vom 20. März 2023 E. 2.4.5; 6B_567/2020 vom 6. Dezember 2021 E. 2.3.2, nicht publ. in: BGE 148 IV 57; je mit Hinweisen).  
 
2.2. Aus dem Gesagten folgt, dass der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf eine Begutachtung der Beschwerdegegnerin 2 ableiten und er sich a maiore minus erst recht nicht auf eine bestimmte Begutachtungsmethode bzw. im konkreten Fall auf eine persönliche Exploration berufen kann. Im Übrigen ist die Prüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen primär Aufgabe des Gerichts und nicht eines Sachverständigen (BGE 129 I 49 E. 4; Urteile 6B_1454/2022 vom 20. März 2023 E. 2.4.5; 6B_1090/2018 vom 17. Januar 2019 E. 1.2; je mit Hinweisen). Die Rüge ist unbegründet.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer greift in den Ziff. 2-4 seiner Beschwerde sodann die tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Schuldspruchs wegen versuchter Vergewaltigung an, indem er vorab Kritik an den Sachverhaltsfeststellungen im Berufungsurteil, namentlich an der Würdigung der privatklägerischen Aussagen, übt. 
 
3.1. Das Bundesgericht ist als oberste Recht sprechende Behörde (Art. 1 Abs. 1 BGG) keine strafrechtliche Berufungsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt oder die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit freier Kognition überprüft (BGE 140 III 264 E. 2.3; Urteile 6B_1235/2021 vom 23. Mai 2022 E. 2.4.1; 6B_576/2020 vom 18. März 2022 E. 3.7 mit Hinweis). Es legt seinem Urteil vielmehr den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann die Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Die Willkürrüge muss nach Art. 106 Abs. 2 BGG explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden. Auf appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1; 147 IV 73 E. 4.1.2). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).  
Eine Sachverhaltsfeststellung gilt als "offensichtlich unrichtig" im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 9 BV, wenn sie sich als schlechterdings unhaltbar und damit als willkürlich erweist (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). Das ist der Fall, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3). Der blosse Widerspruch zu den Erwägungen der unteren Instanz qualifiziert eine Entscheidung noch nicht als willkürlich (BGE 146 IV 297 E. 2.2.5 mit Hinweis). Auch ist Willkür nicht bereits gegeben, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar oder sogar vorzuziehen ("préférable") wäre (BGE 148 IV 39 E. 2.3.5; 146 IV 88 E. 1.3.1; 141 I 49 E. 3.4, 70 E. 2.2). 
Bei der Prüfung von Aussagen ist zu untersuchen, ob diese verständlich, zusammenhängend und glaubhaft sind. Ebenso ist abzuklären, ob sie mit den weiteren Beweisen in Einklang stehen (Urteile 6B_1176/2021 vom 26. April 2023 E. 2.2; 6B_141/2022 vom 10. Oktober 2022 E. 2.3.3; je mit Hinweisen). Das Gericht prüft die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung (Art. 10 Abs. 2 StPO). Es geht von der für die beschuldigte Person günstigeren Sachlage aus, wenn unüberwindliche Zweifel an der Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat bestehen (Art. 10 Abs. 3 StPO). Die Beweiswürdigung ist wie schon erwähnt Aufgabe des Sachgerichts, dem nach der Rechtsprechung ein erhebliches Ermessen zuzugestehen ist (BGE 146 IV 297 E. 2.2.5; 144 IV 345 E. 2.2.3.1). Das Bundesgericht greift nur bei Willkür ein (Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 9 BV; zum Ganzen: Urteil 6B_1087/2022 vom 16. Januar 2023 E. 6.3 mit Hinweisen). 
 
3.2. Der Beschwerdeführer schenkt diesen Grundsätzen keinerlei Beachtung. Im Gegenteil: Bei den Ausführungen unter den Ziff. 2-4 seiner Beschwerde handelt es sich um Vorbringen, die einem Plädoyer vor einer Berufungsinstanz entnommen sein könnten, also geradezu beispielhaft um unzulässige appellatorische Kritik, wird doch darin weder ausdrücklich noch sinngemäss in irgendeiner Weise Unhaltbarkeit oder Unvertretbarkeit geltend gemacht. Vielmehr beschränkt er sich weitgehend darauf, die Beschwerdegegnerin 2 in schlechtes Licht zu rücken. Der Beschwerdeführer schliesst seine Sachverhaltskritik sodann mit folgenden Ausführungen: Es treffe "eben gerade nicht zu, dass die Beschwerdegegnerin 2 den Tatablauf von Beginn weg schlüssig und konzis dargelegt" habe und es könne "keine Glaubwürdigkeit beanspruchen", wer die "angebliche Haupttat anfänglich gar nicht zum Thema" gemacht habe; jedenfalls seien "unüberwindliche Zweifel an der Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat gegeben". Willkür wird mit solchen Formulierungen weder angerufen, geschweige denn dargetan, und es wird letztlich übersehen, dass das Bundesgericht eine reine Rechts- und keine Sachinstanz ist. Auf die entsprechenden Sachverhaltsrügen ist mithin nicht einzutreten.  
 
4.  
Seine Anträge betreffend Strafzumessung und Gewährung des bedingten Strafvollzugs begründet der Beschwerdeführer nicht näher. Darauf ist nicht weiter einzugehen (Art. 42 Abs. 2 BGG). 
 
5.  
Nach dem Gesagten hat der vorinstanzliche Schuldspruch wegen versuchter Vergewaltigung Bestand, womit auch die Katalogtat einer obligatorischen Landesverweisung vorliegt (Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB). Was die Interessenabwägung nach Art. 66a Abs. 2 StGB anbelangt, bringt der Beschwerdeführer keine Rügen vor. Soweit er sich in einem knappen Satz auf seine Flüchtlingseigenschaft beruft, ist festzuhalten, dass diese nach der Rechtsprechung der Anordnung einer Landesverweisung nicht per se entgegensteht (Urteile 6B_86/2022 vom 22. März 2023 E. 2.3; 6B_921/2022 vom 11. Oktober 2022 E. 4.5; 6B_38/2021 vom 14. Februar 2022 E. 5.5.6; je mit Hinweisen). 
 
6.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, soweit sie überhaupt zulässig ist. 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. Juli 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lustenberger