9C_492/2022 26.06.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_492/2022  
 
 
Urteil vom 26. Juni 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, vertreten durch Rechtsanwältin 
Dr. Franziska Ryser-Zwygart, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 23. September 2022 
(200 22 372 IV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1969 geborene A.________ war zuletzt als Geschäftsführer des B.________ erwerbstätig gewesen, als er sich im September 2005 unter Hinweis auf psychische Probleme bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug anmeldete. Nach medizinischen und erwerblichen Abklärungen sprach die IV-Stelle Bern ihm mit Verfügung vom 9. April 2008 bei einem Invaliditätsgrad von 60 % ab 1. September 2004 eine Dreiviertelsrente zu; mit Verfügung vom 29. November 2011 wurde die Rente bei einem Invaliditätsgrad von nunmehr 50 % per 1. Januar 2012 revisionsweise auf eine halbe Rente herabgesetzt.  
Im Rahmen eines im Juni 2017 eingeleiteten Revisionsverfahrens holte die IV-Stelle bei Dr. med. C.________ eine psychiatrische Expertise ein (Gutachten vom 20. September 2018). Daraufhin hob die IV-Stelle mit Verfügung vom 14. Mai 2019 die laufende Rente bei einem Invaliditätsgrad von nunmehr 20 % per 1. Juli 2019 auf. Das diese Verfügung bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 5. Mai 2020 hob das Bundesgericht mit Urteil 9C_361/2020 vom 26. Februar 2021 auf und wies die Sache zum Einholen eines polydisziplinären Gutachtens an die IV-Stelle zurück. 
 
A.b. In Nachachtung dieses Urteils holte die IV-Stelle beim ABI Aerztlichen Begutachtungsinstitut GmbH (nachstehend: ABI) eine polydisziplinäre Expertise (Gutachten vom 1. November 2021) ein und bestätigte in der Folge die Rentenaufhebung mit Verfügung vom 23. Mai 2022.  
 
B.  
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 23. September 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, es sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides eine ganze, eventuell eine Dreiviertels-, subeventuell eine halbe Invalidenrente, subsubeventuell "eine Rente in prozentualen Anteilen einer ganzen Rente" auszurichten. 
Erwägungen: 
 
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 mit Hinweisen; BGE 133 III 545 E. 2.2; BGE 130 III 136 E. 1.4). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).  
Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). 
 
1.3. Ein Mangel in der Sachverhaltsfeststellung gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG liegt nicht bereits dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Eine Beweiswürdigung erweist sich erst dann als willkürlich, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen hat oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 144 II 281 E. 3.6.2).  
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, als es die per 1. Juli 2019 erfolgte Aufhebung der halben Rente der Invalidenversicherung bestätigte. 
 
3.  
 
3.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535).  
Entsprechend den allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGE 144 V 210 E. 4.3.1) ist nach der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Rechtslage zu beurteilen, ob bis zu diesem Zeitpunkt ein Rentenanspruch entstanden ist. Trifft dies zu, so erfolgt ein allfälliger Wechsel zum neuen stufenlosen Rentensystem je nach Alter der Rentenbezügerin oder des Rentenbezügers gemäss lit. b und c der Übergangsbestimmungen des IVG zur Änderung vom 19. Juni 2020. Gemäss lit. b Abs. 1 bleibt für Rentenbezügerinnen und -bezüger, deren Rentenanspruch vor Inkrafttreten dieser Änderung entstanden ist und die bei Inkrafttreten der Änderung zwar das 30., aber noch nicht das 55. Altersjahr noch nicht vollendet haben, der bisherige Rentenanspruch solange bestehen, bis sich der Invaliditätsgrad nach Art. 17 Abs. 1 ATSG ändert. 
Zwar erging die dem hier angefochtenen Entscheid zugrunde liegende Verfügung erst nach dem 1. Januar 2022. Vorliegend steht indessen eine Rentenaufhebung per 1. Juli 2019 zur Diskussion. Damit beurteilt sich die vorliegende Streitigkeit allein nach der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Rechtslage. Da der Beschwerdeführer zudem am 1. Januar 2022 zwar das 30., aber noch nicht das 55. Altersjahr vollendet hatte, bliebe ein allenfalls über den 1. Juli 2019 hinaus bestehender Rentenanspruch so lange weiterbestehen, bis ein (neuerlicher) Revisionsgrund nach Art. 17 Abs. 1 ATSG eintreten würde. 
 
3.2. Der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung setzt unter anderem voraus, dass die versicherte Person invalid oder von Invalidität unmittelbar bedroht ist. Invalidität ist gemäss Art. 8 Abs. 1 ATSG die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.  
 
3.3. Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente nach Art. 17 Abs. 1 ATSG von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (sog. "Rentenrevision"). Liegt ein Revisionsgrund vor, ist der Rentenanspruch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend ("allseitig") zu prüfen, wobei keine Bindung an frühere Beurteilungen besteht (BGE 141 V 9 E. 2.3 mit weiteren Hinweisen). Dabei kann unter Umständen auch eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes Anlass für eine Aufhebung der Rente sein (vgl. BGE 141 V 9 E. 6.4).  
 
4.  
 
4.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass der Gesundheitszustand des Versicherten sich im massgebenden Zeitraum, mithin in der Zeit zwischen der Rentenherabsetzung vom 29. November 2011 und der Rentenaufhebung vom 14. Mai 2019 wesentlich verändert hat. Während Vorinstanz und Verwaltung von einer Verbesserung ausgehen, macht der Beschwerdeführer eine wesentliche Verschlechterung geltend, weshalb er die Erhöhung der halben auf eine ganze Invalidenrente verlangt. Da damit ein Revisionsgrund im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG vorliegt, hat das kantonale Gericht den Rentenanspruch des Versicherten zu Recht in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht frei und ohne Bindung an frühere Entscheide neu geprüft (vgl. E. 3.3 hievor).  
 
4.2. Das kantonale Gericht hat in umfassender Würdigung der medizinischen Akten, insbesondere aber gestützt auf das ABI-Gutachten vom 1. November 2021 für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, dass der Versicherte seit September 2018 sowohl in seiner angestammten Tätigkeit als Geschäftsführer als auch in einer angepassten körperlich sehr leichten Tätigkeit zu mindestens 80 % arbeitsfähig ist. Nicht abgestellt hat die Vorinstanz demgegenüber auf das Gutachten des Dr. med. C.________ vom 20. November 2018, womit die Einwände des Versicherten gegen diese Expertise nicht näher geprüft werden müssen (vgl. Urteil 9C_290/2022 vom 11. Januar 2023 E. 4.4). Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Gutachter des ABI die von Dr. med. C.________ postulierte 80 %ige Arbeitsfähigkeit bestätigten.  
 
4.3. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen das Abstellen der Vorinstanz auf das ABI-Gutachten vom 1. November 2021 wendet, ist festzuhalten, dass rechtsprechungsgemäss auf im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholte Gutachten abzustellen ist, wenn nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 135 V 465 E. 4.4). Solche vermag der Versicherte in seiner Beschwerde keine zu benennen. Der Umstand, dass der behandelnde Psychiater offenbar in Kenntnis des Gutachtens ohne nähere Begründung an seiner höheren Arbeitsunfähigkeitsschätzung festhält, stellt für sich alleine kein solches Indiz dar, weshalb auch offenbleiben kann, ob der entsprechende Bericht vom 23. April 2022 mit Blick auf Art. 99 BGG überhaupt berücksichtigt werden darf. Soweit der Versicherte ferner bezüglich des orthopädischen Teilgutachtens auf das Suva-Verfahren verweist, legt er nicht dar, dass in jenem Verfahren eine medizinische Fachperson die Ansicht geäussert hatte, seine Arbeitsfähigkeit sei in einer angepassten Tätigkeit aufgrund seines somatischen Leidens zeitlich eingeschränkt. Insbesondere ist daran zu erinnern, dass die Einschätzung des ABI-Gutachters mit derjenigen des Suva-Kreisarzts Dr. med. D.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, gemäss Bericht vom 28. November 2019 übereinstimmt, wonach bei Einhaltung des Zumutbarkeitsprofils ein ganztägiger Einsatz möglich ist. Weiter bestehen entgegen den Vorbringen des Versicherten keine konkreten Indizien dafür, dass die Experten die Anforderungen der vom Beschwerdeführer zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Geschäftsführers eines Kebabhauses unterschätzt hätten. Somit hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, als sie auch bezüglich der Aussage, wonach er diese Tätigkeit zu mindestens 80 % weiter ausführen kann, auf das Gutachten abgestellt hat.  
 
4.4. Vorinstanz und Verwaltung haben beide Vergleichseinkommen, mithin sowohl das Validen- wie auch das Invalideneinkommen, ausgehend von statistischen Werten gemäss den Angaben des Schweizerischen Gewerbeverbands und den Tabellenlöhnen der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) bestimmt. Dies ist im Grundsatz nicht zu beanstanden, allerdings ist nicht nachvollziehbar, weshalb im vorliegenden Fall für die beiden Vergleichseinkommen je von unterschiedlichen statistischen Löhnen ausgegangen werden müsste. Wie bereits das kantonale Gericht angemerkt hat, kann - so die beiden Vergleichseinkommen wir hier ausgehend vom gleichen statistischen Wert bestimmt werden können - auf dessen genaue Ermittlung verzichtet werden. Diesfalls entspricht der Invaliditätsgrad nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (vgl. Art. 16 ATSG) - vorbehältlich eines allfälligen Abzuges im Sinne von BGE 126 V 75 E. 5 - dem Grad der Arbeitsunfähigkeit (vgl. auch Urteil 8C_213/2022 vom 4. August 2022 E. 4.6.1 mit weiterem Hinweis). Bei einem medizinisch-theoretischen Arbeitsunfähigkeitsgrad von 20 % würde sich somit selbst bei einem (zusätzlichen) Abzug vom Tabellenlohn im Sinne von BGE 126 V 75 E. 5 in der Höhe von 20 % noch kein rentenbegründender Invaliditätsgrad ergeben. Die Beschwerde des Versicherten ist somit ohne Weiterungen zur Gebotenheit eines solchen Abzuges abzuweisen.  
 
5.  
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 26. Juni 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold