9C_295/2022 12.10.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_295/2022  
 
 
Urteil vom 12. Oktober 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Beusch, Bundesrichterin Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Gehring, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 3. Mai 2022 (IV.2021.00429). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1969 geborene A.________ meldete sich am 22. August 2019 unter Hinweis auf seit dem Jahre 2016 bestehende Erkrankungen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich sprach ihr mit Mitteilung vom 25. Juni 2020 einen Kurs als "Sachbearbeiterin in Rechnungswesen" als Frühinterventionsmassnahme zu, brach diesen aber mit Mitteilung vom 25. Februar 2021 ab. Gleichentags teilte die IV-Stelle der Versicherten mit, sie gehe davon aus, dass sie nunmehr in der Lage sei, ein rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen. Nachdem sich die Versicherte damit nicht einverstanden erklärte, lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom 25. Mai 2021 einen Anspruch auf weitergehende Leistungen ab. 
 
B.  
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 3. Mai 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, die IV-Stelle sei unter Aufhebung des kantonalen Urteils zur Ausrichtung der gesetzlichen Leistungen, insbesondere einer Invalidenrente, zu verpflichten. 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Ein Mangel in der Sachverhaltsfeststellung gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG liegt nicht bereits dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Eine Beweiswürdigung erweist sich erst dann als willkürlich, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen hat oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 144 II 281 E. 3.6.2).  
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es einen Anspruch der Versicherten auf Leistungen der Invalidenversicherung verneinte. 
 
3.  
 
3.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19.6.2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Die hier angefochtene Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar.  
 
3.2. Der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung setzt unter anderem voraus, dass die versicherte Person invalid oder von Invalidität unmittelbar bedroht ist. Invalidität ist gemäss Art. 8 Abs. 1 ATSG die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.  
 
3.3. Bei der erstmaligen Prüfung des Rentenanspruchs (ebenso wie bei der Rentenrevision und im Neuanmeldungsverfahren) ist die Methode der Invaliditätsbemessung zu bestimmen (BGE 144 I 28 E. 2.2). Dabei ist grundsätzlich hypothetisch - nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit - zu beurteilen, ob eine versicherte Person im Gesundheitsfall ganz, teilzeitlich oder überhaupt nicht erwerbstätig wäre (sog. Statusfrage), was je zur Anwendung einer anderen Methode der Invaliditätsbemessung (Art. 28a IVG; Einkommensvergleich, gemischte Methode, Betätigungsvergleich) führt (BGE 144 I 28 E. 2.3; 141 V 15 E. 3.1). Zu betonen ist, dass sich die Statusfrage danach beurteilt, was die versicherte Person bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde. Entscheidend ist somit nicht, welches Ausmass der Erwerbstätigkeit der versicherten Person im Gesundheitsfall zugemutet werden könnte, sondern in welchem Pensum sie hypothetisch erwerbstätig wäre. Bei im Haushalt tätigen Versicherten im Besonderen (vgl. Art. 27 IVV; SR 831.201) sind die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse ebenso wie allfällige Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten und die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen zu berücksichtigen. Massgeblich sind die Verhältnisse, wie sie sich bis zum Erlass der Verwaltungsverfügung entwickelt haben.  
 
3.4. Die Beantwortung der Statusfrage erfordert zwangsläufig eine hypothetische Beurteilung, die auch hypothetische Willensentscheidungen der versicherten Person zu berücksichtigen hat. Diese sind einer direkten Beweisführung wesensgemäss nicht zugänglich und müssen in aller Regel aus äusseren Indizien erschlossen werden. Die Beurteilung hypothetischer Geschehensabläufe betrifft eine Tat-frage, soweit sie auf Beweiswürdigung beruht, selbst wenn darin auch Schlussfolgerungen aus der allgemeinen Lebenserfahrung mitberück-sichtigt werden. Ebenso beziehen sich Feststellungen über innere oder psychische Tatsachen auf Tatfragen, wie beispielsweise was jemand wollte oder wusste. Die auf einer Würdigung konkreter Umstände basierende Festsetzung des hypothetischen Umfanges der Erwerbs-tätigkeit bleibt für das Bundesgericht daher verbindlich, ausser wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht (BGE 144 I 28 E. 2.4 mit Hinweisen, vgl. auch BGE 144 V 50 E. 4.2).  
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht verzichtete auf eine umfassende Abklärung des Gesundheitszustandes der Versicherten, da jedenfalls feststehe, dass sie in ihrer bisherigen und in einer angepassten Tätigkeit zu mindestens 50 % arbeitsfähig sei. Da sie auch im Gesundheitsfall zu lediglich 50 % arbeitstätig wäre und kein Aufgabenbereich bestehe, resultiere bei einem Einkommensvergleich ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad. Die Beschwerdeführerin macht unter anderem geltend, sie hätte als Gesunde ihr Arbeitspensum im Jahr 2018 auf 100 % erhöht.  
 
4.2. Es steht fest und ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin in der Zeit von April 2012 bis Ende 2018 mit einem Pensum von 50 % erwerbstätig war. Weiter steht fest, dass ihre familiären Pflichten gegenüber ihren 1999 und 2001 geborenen Kindern jedenfalls im Jahre 2018 kein Hinderungsgrund für eine Erhöhung des Arbeitspensums (mehr) darstellten. Die Versicherte machte bereits vor Vorinstanz geltend, seit dem Jahr 2012 gesundheitlich bedingt nicht mehr als 50 % gearbeitet zu haben. Das kantonale Gericht hat diesbezüglich erwogen, die Angaben der Versicherten seien widersprüchlich, habe sie doch in der Anmeldung geltend gemacht, der Gesundheitsschaden bestehe seit dem Jahr 2016. Indem das kantonale Gericht einzig gestützt auf diese Angabe und ohne weiteren Versuch, den Sachverhalt zu klären, implizit davon ausging, in der Zeit zwischen dem Jahr 2012 und dem Jahr 2016 sei die Versicherte freiwillig und nicht aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen lediglich zu 50 % erwerbstätig gewesen, verkannte es offensichtlich die Tragweite dieser Erklärung im Anmeldeformular. So finden sich in den Akten Hinweise auf verschiedene Gesundheitsschäden (psychischer "Zusammenbruch" im Jahr 2012; rezidivierende Depressionen mit psychologischer Betreuung seit 2006 und Ausbruch des körperlichen Leidens im Jahr 2016), womit die widersprüchlichen Angaben erklärt würden. Hiezu ist indessen festzuhalten, dass Vorinstanz und Verwaltung es unterlassen haben, den Gesundheitszustand der Versicherten umfassend abzuklären. Aufgrund der mangelhaften Abklärungen ist kein abschliessender Entscheid über die Frage möglich, aus welchem Grund die Versicherte in der Zeit ab 2012 lediglich zu 50 % erwerbstätig war. Damit ist auch kein Entscheid darüber möglich, mit welchem Pensum sie als Gesunde im Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns überwiegend wahrscheinlich erwerbstätig gewesen wäre, womit weder die Frage nach dem Status noch danach, ob sie in der Lage ist, ein rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen, beantwortet werden kann. Die Sache ist deshalb unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides an die IV-Stelle zur Klärung des Sachverhaltes und anschliessender Neuverfügung zurückzuweisen.  
 
4.3. Bei ihrem neuen Entscheid wird die IV-Stelle auch zu berücksichtigen haben, dass der gemäss den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen von der Versicherten geplante zeitintensive Umbau ihres Elternhauses und das anschliessende Vermieten von Wohnungen oder Zimmern sowie ihre Mitgliedschaft im Verwaltungsrat einer Immobilienaktiengesellschaft unter Umständen eine selbständige (Neben-) Erwerbstätigkeit darstellen könnte, welche ebenfalls statusrelevant wäre. Aufgrund fehlender Unterlagen ist aber auch diesbezüglich kein abschliessendes Urteil möglich.  
 
5.  
Die Rückweisung der Sache zu erneutem Entscheid mit offenem Ausgang gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten sowie der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG (BGE 141 V 281 E. 11.1). Entsprechend sind die Gerichtskosten vollumfänglich der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. Diese hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung auszurichten. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. Mai 2022 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich 25. Mai 2021 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 12. Oktober 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold