8C_387/2023 08.11.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_387/2023  
 
 
Urteil vom 8. November 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Métral, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Jürg Tschopp, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente; Integritätsentschädigung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 20. Dezember 2022 (UV.2022.30). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1957 geborene A.________ war seit 27. Juli 2020 bei der Personalvermittlungsfirma "B.________ AG" als Gipser angestellt und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch unfallversichert. Am 2. September 2020 verletzte er sich bei einem Sturz u.a. an Schulter und Thorax rechts. Die Suva kam für die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Am 2. November 2020 wurde der Versicherte von Dr. med. C.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates FMH, an der rechten Schulter operiert. Mit Schreiben vom 3. Mai 2022 stellte die Suva die Heilbehandlung und das Taggeld per 30. September 2022 ein. Mit Verfügung vom 25. Mai 2022 verneinte sie einen Rentenanspruch mangels eines rentenbegründenden Invaliditätsgrads, sprach dem Versicherten jedoch eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 5 % zu. Dies bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 9. August 2022. 
 
B.  
Die hiergegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt nach Durchführung einer Hauptverhandlung vom 20. Dezember 2022 mit Urteil gleichen Datums ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, in Aufhebung des kantonalen Urteils sei die Beschwerdebeklagte zu verurteilen, ihm die gesetzlichen Leistungen, "insbesondere eine Rente und eine Integritätsentschädigung, auch nach dem 30. September 2022 zu erbringen". Zur genauen Festlegung der Leistungen sei die Sache an die Vorinstanz zur Vornahme der notwendigen Abklärungen oder an die Beschwerdebeklagte zur Neuverfügung zurückzuweisen. Eventuell sei Letztere zu verpflichten, "die gesetzlichen Leistungen zu erbringen, insbesondere die Behandlungskosten nach Zusprache einer Rente, sowie eine Rente von mindestens 20 % spätestens ab Einstellung der Taggeldleistungen und eine Integritätsentschädigung von 20 % (Fr. 26'700.-) ". Dem Versicherten sei die unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren. 
Die Suva und die Vorinstanz schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde richtet sich nicht nur gegen die Suva. Vielmehr macht der Beschwerdeführer auch Ausführungen betreffend die Solida Versicherungen AG, auf deren Verfügung vom 13. Mai 2011 und Einspracheentscheid vom 2. Mai 2017 er sich beruft. Zudem bringt er vor, es kämen auch vorübergehende Leistungen (vor Endzustand) in Betracht, die von der angefochtenen Verfügung betroffen würden, weshalb die ÖKK als Beschwerdebeklagte 2 in den Prozess integriert worden sei. 
Hinsichtlich der Solida AG und der ÖKK begründet der Beschwerdeführer seine allfälligen Ansprüche nicht substantiiert, weshalb diesbezüglich auf die Beschwerde nicht einzutreten ist. 
 
2.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2, Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Streitig ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Verneinung des Rentenanspruchs durch die Suva und ihre Zusprache einer Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 5 % vor Bundesrecht standhalten.  
 
3.2. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung betreffend den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden (BGE 134 V 109 E. 2.1, 129 V 177 E. 3.1 f.), die Voraussetzungen des Rentenanspruchs (Art. 18 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 UVG; vgl. auch BGE 134 V 109 E. 4) und die Invaliditätsbemessung nach dem Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG) richtig dargelegt. Gleiches gilt bezüglich des massgebenden Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 146 V 51 E. 5.1) und des Beweiswerts von Arztberichten (BGE 135 V 465 E. 4.5, 125 V 351 E. 3a und E. 3b/ee; hierzu vgl. ergänzend auch BGE 134 V 231 E. 5.1 sowie E. 5 und E. 6.2.3 hiernach). Darauf wird verwiesen.  
 
4.  
Die Vorinstanz erwog in medizinischer Hinsicht im Wesentlichen, der Suva folgend könne auf die Aktenbeurteilungen des Kreisarztes Dr. med. D.________, Facharzt für Orthopädie und Traumatologie, vom 26. (richtig: 27.) April 2022 abgestellt werden, da sie die praxisgemässen Anforderungen an medizinische Beurteilungsgrundlagen erfüllten. Gestützt hierauf sei der Beschwerdeführer in einer leichten leidensangepassten Tätigkeit ganztägig arbeitsfähig. Es bestehe Anspruch auf eine 5%ige Integritätsentschädigung bei mässiger Arthrose des Glenohumeralgelenks. Weiter legte die Vorinstanz eingehend dar, weshalb die Einwände des Beschwerdeführers und insbesondere die Berichte des behandelnden Arztes Dr. med. C.________ an diesem Ergebnis nichts zu ändern vermöchten. 
 
5.  
Den Aktenbeurteilungen des Dr. med. D.________ vom 27. September 2022 kommt der Beweiswert von versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen zu. Falls auch nur geringe Zweifel an deren Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit bestehen, sind somit ergänzende Abklärungen vorzunehmen (BGE 145 V 97 E. 8.5). 
 
6.  
 
6.1. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, der Kreisarzt Dr. med. D.________ habe sich in der Beurteilung vom 27. April 2022 auf diejenige des behandelnden Arztes Dr. med. C.________ vom 27. (richtig 19.) April 2022 gestützt, worin dieser aber keine Angaben über die Belastbarkeit der Schulter gemacht habe. Selbst Dr. med. D.________ habe aufgrund dieses Berichts am 27. April 2022 ausgeführt, dass Arbeiten im Bereich der Horizontalen und darüber wieder möglich würden und eine Verbesserung der Schmerzsymptomatik und der Beweglichkeit nach weiteren Physiotherapien zu erwarten sei. Dr. med. D.________ habe die Abklärungspflicht verletzt und eine willkürliche Zumutbarkeitsbeurteilung vorgenommen, da er den Beschwerdeführer weder persönlich untersucht noch notwendige Nachfragen bei Dr. med. C.________ getätigt habe. Weiter hätte die Vorinstanz die notwendigen Zusatzangaben, die der Beschwerdeführer mit der Einreichung der Berichte des Dr. med. C.________ vom 14. Oktober und 19. Dezember 2022 vorgelegt habe, einem medizinischen Gutachter unterbreiten müssen. Aufgrund dieser Berichte sei nämlich offensichtlich gewesen, dass widersprüchliche Beurteilungen vorgelegen hätten. Indem die Vorinstanz keine medizinische Begutachtung veranlasst habe, habe sie somit willkürlich gehandelt und ihre Abklärungspflicht bzw. Art. 43 ATSG, Art. 29 BV und Art 6 Ziff. 1 EMRK verletzt.  
 
6.2.  
 
6.2.1. Der Bericht des Dr. med. C.________ vom 19. April 2022 betreffend die Konsultation vom 7. April 2022, auf den sich Dr. med. D.________ in der Aktenstellungnahme vom 27. April 2022 u.a. im Wesentlichen stützte, ist äusserst summarisch gehalten. Dem Beschwerdeführer ist insbesondere beizupflichten, dass Dr. med. C.________ darin keine hinreichenden Angaben zur Belastbarkeit der rechten Schulter (Gewicht, Repetition von Bewegungen, Dauer) machte. Er stellte bloss fest, dass ihm ganz leichte Belastungen inzwischen auch möglich seien, aber bei etwas vermehrten Belastungen immer noch zum Teil einschiessende Schmerzen aufträten. Im Alltag komme er mit den noch bestehenden Beschwerden gut zurecht.  
Unter diesen Umständen überzeugt es nicht, wenn Dr. med. D.________ unter Hinweis auf die Berichte des Dr. med. C.________ ohne eigene Untersuchung des Beschwerdeführers zum Schluss kam, dieser sei in einer leidensangepassten Tätigkeit vollschichtig/ganztags arbeitsfähig, und diesbezüglich ein detailliertes Zumutbarkeitsprofil erstellte. Soweit Dr. med. D.________ dabei zudem auf die durchgeführte Diagnostik verwies, ist dem entgegenzuhalten, dass es für die Bestimmung des Rentenanspruchs grundsätzlich unabhängig von der Diagnose und der Schwere einer Erkrankung darauf ankommt, ob und in welchem Ausmass eine Beeinträchtigung der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit vorliegt (vgl. BGE 148 V 49 E. 6.2.2, 143 V 409 E.4.2.1; Urteil 8C_1/2023 vom 6. Juli 2023 E. 6.2.2). 
 
6.2.2. Weiter legte der Beschwerdeführer vorinstanzlich Berichte des Dr. med. C.________ vom 14. Oktober und 19. Dezember 2022 auf. Aus diesen geht hervor, dass Letzterer mit der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch Dr. med. D.________ nicht einverstanden war. Am 19. Dezember 2002 stellte er vielmehr fest, die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers sei auch in einer Verweisungstätigkeit massiv eingeschränkt. Auch wenn diese vom Beschwerdeführer angerufenen Berichte des Dr. med. C.________ ebenfalls keine hinreichende explizite Begründung betreffend die Arbeitsfähigkeit enthalten, vermögen sie die Vorbehalte gegen die Beurteilung des Dr. D.________ immerhin zu verstärken (vgl. auch Urteil 8C_274/2021 vom 31. März 2023 E. 9.2.4).  
 
6.2.3. Insgesamt erfüllen die Beurteilungen des Dr. med. D.________ vom 27. September 2022 nicht die Anforderungen an medizinische Aktenberichte (hierzu siehe SVR 2010 UV Nr. 17 S. 63, 8C_239/2008 E. 7.2 und Urteil 8C_414/2019 vom 25. September 2019 E. 2.2.1), weshalb daran zumindest geringe Zweifel bestehen (vgl. E. 5 hiervor).  
 
6.3. Nach dem Gesagten wurde der Sachverhalt bezogen auf die strittige Schulterproblematik rechts nicht rechtsgenüglich abgeklärt, was den Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG) und zugleich die Regeln betreffend den Beweiswert von ärztlichen Berichten (BGE 134 V 231 E. 5.1) verletzt. Es ist in erster Linie Aufgabe des Unfallversicherers, von Amtes wegen die notwendigen Abklärungen vorzunehmen, um den rechtserheblichen Sachverhalt vollständig festzustellen (Art. 43 Abs. 1 ATSG). Demnach ist die Sache an die Suva zurückzuweisen, damit sie im Verfahren nach Art. 44 ATSG ein medizinisches Gutachten einhole und anschliessend über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers neu verfüge (vgl. auch BGE 132 V 368 E. 5; Urteil 8C_274/2021 vom 31. März 2023 E. 9.3.3 mit Hinweis).  
 
7.  
Die Rückweisung der Sache an die Suva zu erneuter Abklärung gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten und der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG (BGE 146 V 28 E. 7, 141 V 281 E. 11.1, 137 V 210 E. 7.1). Die unterliegende Suva hat die Gerichtskosten zu tragen und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1, Art. 68 Abs. 2 BGG). Sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist somit gegenstandslos. Zur Neuverlegung der Parteientschädigung des kantonalen Verfahrens ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 68 Abs. 5 BGG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 20. Dezember 2022 und der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 9. August 2022 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, Advokat Jürg Tschopp, für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 8. November 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar