8C_527/2022 13.09.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_527/2022  
 
 
Urteil vom 13. September 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Métral, 
Gerichtsschreiberin Huber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch CAP Rechtsschutz-Versicherungsgesellschaft AG, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang; Untersuchungsgrundsatz), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. Juni 2022 (UV.2021.00154). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1985 geborene A.________ war seit dem 8. Oktober 2018 bei der B.________ SA angestellt und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert. Mit Unfallmeldung vom 22. Juni 2020 gab die Arbeitgeberin an, A.________ sei am 1. Mai 2020 von der Hebebühne eines Lastwagens heruntergefallen und habe sich dabei eine Verletzung an der linken Schulter zugezogen. Am 15. Juni 2020 konsultierte der Verunfallte PD Dr. med. C.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, der unter Hinweis auf ein Arthro-MRI der linken Schulter vom Dezember 2019 ein grosses spinoglenoidales Ganglion diagnostizierte, und zwar mit Irritation oder Kompression des Nervus suprascapularis bei Status nach Sturz am 22. Mai 2018 mit posterosuperiorem Labrum-, allenfalls SLAP-Läsion der Schulter links. Am 13. August 2020 führte PD Dr. med. C.________ an der linken Schulter eine Arthroskopie mit Eröffnen des Ganglions und Refixation des Labrums durch. Der Kreisarzt Dr. med. D.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, nahm am 9. November 2020 zuhanden der Suva eine medizinische Einschätzung zur Unfallkausalität vor. 
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2020 anerkannte die Suva ihre Leistungspflicht, widerrief diese aber mit Verfügung vom 18. Dezember 2020 mit der Begründung, dass zwischen dem Ereignis vom 1. Mai 2020 und den Schulterbeschwerden kein sicherer oder wahrscheinlicher Kausalzusammenhang bestehe. Auf eine Rückforderung der bis zum 12. August 2020 erbrachten Leistungen werde verzichtet. Daran hielt die Suva nach Einholung einer weiteren Einschätzung des Dr. med. D.________ vom 22. März 2021 mit Einspracheentscheid vom 24. Juni 2021 fest. 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 15. Juni 2022 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils. Die Sache sei zu weiteren Abklärungen an die Suva zurückzuweisen. Diese sei ausserdem anzuweisen, auf das Ereignis vom 19. Mai 2018 im Rahmen ihrer Untersuchungspflicht einzutreten. 
Die Suva schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit lässt sich nicht vernehmen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 139 V 42 E. 1). Da die Beschwerde an das Bundesgericht ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art. 107 Abs. 2 BGG), darf sich diese grundsätzlich nicht auf einen rein kassatorischen Antrag beschränken. Anders verhält es sich, wenn das Bundesgericht im Fall einer Gutheissung in der Sache ohnehin nicht selbst entscheiden könnte, insbesondere weil die erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz fehlen (BGE 136 V 131 E. 1.2; 134 III 379 E. 1.3; 133 III 489 E. 3.1). Auf die Beschwerde, mit der diese Rüge erhoben wird, ist deshalb einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
2.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
3.  
 
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz bundesrechtskonform in Bestätigung des Einspracheentscheids die Leistungspflicht der Suva verneint hat.  
 
3.2. Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers (Art. 6 UVG) vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Gesundheitsschaden (BGE 142 V 435 E. 1; 134 V 109 E. 2.1; 129 V 177 E. 3.1 f.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hat am vom Beschwerdeführer geltend gemachten Sachverhalt (Sturz im Mai 2018 mit Schultertangierung) sowie an einem Unfallereignis in der behaupteten Form gezweifelt. Als Gründe für ihre Skepsis hat sie die unvollständigen und ungenauen Angaben des Beschwerdeführers, die nicht nachvollziehbare späte Inanspruchnahme von medizinischen Behandlungen sowie die erst zwei Jahre nach dem behaupteten Ereignis vorgenommene Unfallmeldung genannt. Das Vorliegen eines derartigen Unfallereignisses habe folglich als unbewiesen zu gelten, so das kantonale Gericht, was sich zu Lasten des Beschwerdeführers auswirke. Die Suva habe somit zu Recht ihre Leistungspflicht verneint. Für weitere medizinische Abklärungen bestehe kein Anlass, zumal davon keine anderen entscheidrelevanten Erkenntnisse zu erwarten seien.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, der Sachverhalt sei ungenügend abgeklärt. Auf die Einschätzungen des Kreisarztes Dr. med. D.________ könne nicht abgestellt werden. Dessen Berichte seien nicht beweiskräftig, da er von einem Unfallereignis im Mai 2020 statt im Mai 2018 ausgegangen sei. Entsprechend seien die Schlussfolgerungen zur Unfallkausalität und zur Leistungspflicht unzutreffend. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Abklärungspflicht und des Untersuchungsgrundsatzes und macht geltend, die Suva habe den Sachverhalt unter Annahme eines Unfallereignisses im Mai 2018 neu abzuklären und zu würdigen.  
 
5.  
 
5.1. Es steht fest, dass der hier zu beurteilende strukturelle Zustand der linken Schulter, der mit der Schulterarthroskopie vom 13. August 2020 angegangen wurde, im Dezember 2019 bildgebend dokumentiert war und somit nachweislich nicht von einem Unfallereignis aus dem Jahr 2020 herrühren kann.  
 
 
5.2.  
 
5.2.1. Es kann jedoch - wie bereits die Vorinstanz festgestellt hat - nicht ausser Acht gelassen werden, dass es in den Akten Hinweise auf eine Verwechslung des Unfalldatums gibt. So sprechen laut kantonalem Gericht die Arztberichte des PD Dr. med. C.________, der sich stets auf ein Unfallereignis im Mai 2018 bezog, die Unfallschilderung des Beschwerdeführers vom 14. Oktober 2020, das Schreiben der B.________ SA vom 8. Juli 2021 sowie deren interner E-Mail-Verkehr dafür, dass der Arbeitgeberin beim Ausfüllen der Unfallmeldung ein Fehler im Sinne einer Verwechslung der Jahre 2018 und 2020 unterlief. Nichts anderes ergibt sich aus dem Bericht von Dr. med. E.________, Fachärztin Allgemeine Innere Medizin, vom 5. Juli 2021, wonach der Beschwerdeführer sie erstmals am 1. Oktober 2018 wegen Schulterschmerzen links (Status nach Sturz vom 22. Mai 2018) aufgesucht habe. Gemäss Vorinstanz machte der Beschwerdeführer bereits im Einspracheverfahren mit Eingabe vom 21. Juni 2021 unter Hinweis auf den Bericht des PD Dr. med. C.________ vom 1. Juni 2021 explizit auf die Verwechslung des Unfalldatums aufmerksam.  
 
5.2.2. Bei dieser Ausgangslage ist das kantonale Gericht zu Recht davon ausgegangen, dass aufgrund des im Sozialversicherungsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 und 61 lit. c ATSG) der behauptete Unfallzeitpunkt (Mai 2018) zu berücksichtigen ist, zumal der Beschwerdeführer damals bereits bei der Suva versichert war. Obwohl die Suva Kenntnis von diesem potenziellen Ereignisdatum hatte, tätigte sie keine diesbezüglichen konkreten Abklärungen, sondern stützte ihre Schlussfolgerungen auf die Einschätzungen des Dr. med. D.________ ab. Dessen Berichte enthalten jedoch keine Aussagen zum Mai 2018 als möglicher Unfallzeitpunkt. Die Begründung des Kreisarztes bezog sich jeweils darauf, dass der am 13. August 2020 operativ versorgte strukturelle Zustand an der linken Schulter bereits am 9. Dezember 2019 bildgebend dokumentiert gewesen sei und daher nicht auf den Sturz im Mai 2020 zurückgeführt werden könne. Die Beurteilungen des Dr. med. D.________ sind somit unvollständig und mit Blick auf ein allfälliges Ereignis im Mai 2018 nicht beweiskräftig (vgl. BGE 145 V 97 E. 8.5; 142 V 58 E. 5.1; 135 V 465 E. 4.4). Der Beweis des natürlichen Kausalzusammenhangs ist in erster Linie mit den Angaben der medizinischen Fachpersonen zu führen (Urteil 8C_634/2022 vom 23. Dezember 2022 E. 3.1 mit Hinweisen). Die Angaben der behandelnden Ärztinnen und Ärzte, die von einem Status nach Sturz im Mai 2018 berichteten, reichen jedoch für den rechtsgenüglichen Nachweis eines natürlichen Kausalzusammenhangs in der Regel nicht aus (zur Unzulässigkeit der Beweismaxime "post hoc ergo propter hoc" vgl. BGE 142 V 325 E. 2.3.2.2; 119 V 335 E. 2b/bb).  
 
5.3. Unter diesen Umständen ist dem Beschwerdeführer darin beizupflichten, dass die Vorinstanz und die Suva in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG) auf weitere medizinische Abklärungen verzichtet haben. Entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts kann nicht in antizipierter Beweiswürdigung (BGE 144 V 361 E. 6.5) gesagt werden, von weiteren Abklärungen seien keine entscheidrelevanten Erkenntnisse mehr zu erwarten. Da es in erster Linie Aufgabe des Unfallversicherers ist, von Amtes wegen die notwendigen Abklärungen zu treffen, um den rechtserheblichen Sachverhalt vollständig festzustellen (Art. 43 Abs. 1 ATSG; vgl. auch BGE 132 V 368 E. 5; Urteil 8C_523/2022 vom 23. Februar 2023 E. 5.4 mit Hinweis), ist die Sache an die Suva zurückzuweisen (vgl. Art. 107 Abs. 2 BGG).  
 
5.4. Anzufügen bleibt, dass die Begründung der Vorinstanz, wonach aufgrund der Aktenlage erhebliche Zweifel am geltend gemachten Unfallereignis vom Mai 2018 bestehen würden, was zu Lasten des Beschwerdeführers gehe (vgl. E. 4.1 oben), verfrüht ist.  
Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne der Beweisführungslast begriffsnotwendig aus, da es Sache des Sozialversicherungsgerichts (oder der verfügenden Verwaltungsstelle) ist, für die Zusammentragung des Beweismaterials besorgt zu sein. Im Sozialversicherungsprozess tragen die Parteien in der Regel eine Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Wie der Beschwerdeführer zu Recht rügt, greift diese Beweisregel allerdings erst Platz, wenn es sich im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes als unmöglich erweist, gestützt auf eine Beweiswürdigung einen Sachverhalt festzustellen, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 138 V 218 E. 6 mit Hinweisen). Mit Blick auf den Verfahrensausgang (Rückweisung an die Suva zu weiteren Abklärungen) erübrigen sich somit Weiterungen zu den vorinstanzlichen Erwägungen betreffend die Beweisführungslast. Dasselbe gilt auch in Bezug auf die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Listenverletzung vorliegt oder nicht. 
 
6.  
 
6.1. Die Rückweisung der Sache an die Suva zu erneuter Abklärung gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das Begehren im Haupt- oder Eventualantrag gestellt wird (BGE 141 V 281 E. 11.1; 137 V 210 E. 7.1). Die unterliegende Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).  
 
6.2. Zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorinstanzlichen Verfahrens ist die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. Juni 2022 und der Einspracheentscheid der Suva vom 24. Juni 2021 werden aufgehoben. Die Sache wird zu weiterer Abklärung und neuer Verfügung an die Suva zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 13. September 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber