5D_222/2023 12.12.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5D_222/2023  
 
 
Urteil vom 12. Dezember 2023  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter von Werdt, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Obergericht des Kantons Bern, 1. Zivilkammer, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Kostenerlass, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Zivilkammer, vom 1. November 2023 (ZK 23 423). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
In einem Verfahren nach Art. 85a SchKG erhob die rubrizierte Beschwerdeführerin gegen den Entscheid des Regionalgerichts Berner Jura-Seeland vom 27. Juli 2023 eine Beschwerde und ersuchte für das Rechtsmittelverfahren um unentgeltliche Rechtspflege. Mit Entscheid vom 21. August 2023 wies das Obergericht des Kantons Bern die Beschwerde und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab und auferlegte der Beschwerdeführerin die Gerichtskosten von Fr. 400.--. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 5D_181/2023 vom 28. September 2023 nicht ein. 
 
B.  
In der Folge stellte die Beschwerdeführerin am 20. Oktober 2023 ein Gesuch um Erlass der ihr auferlegten Gerichtskosten. Mit Entscheid vom 1. November 2023 wies das Obergericht des Kantons Bern das Gesuch ab. 
 
C.  
Gegen diesen Entscheid wendet sich die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 2. Dezember 2023 (Postaufgabe: 4. Dezember 2023) wiederum an das Bundesgericht. Ferner stellt sie Gesuche um aufschiebende Wirkung und unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Aufgrund des unter Fr. 30'000.-- liegenden Streitwerts (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) ist die Eingabe als subsidiäre Verfassungsbeschwerde entgegenzunehmen (Art. 113 BGG). Mit ihr kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 116 BGG), wofür das strenge Rügeprinzip gilt (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG). Das bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt (BGE 142 III 364 E. 2.4; 149 III 81 E. 1.3). 
 
2.  
Das Obergericht hat erwogen, gemäss Art. 112 Abs. 1 ZPO könnten Gerichtskosten bei dauernder Mittellosigkeit erlassen werden und nach Art. 10 Abs. 1 VKD/BE könnten die auferlegten Verfahrenskosten erlassen werden, sofern die Bezahlung für den Pflichtigen eine unzumutbare Härte darstelle oder die Uneinbringlichkeit feststehe. Die Möglichkeit des Kostenerlassgesuches sei allerdings subsidiär zur Möglichkeit, unentgeltliche Rechtspflege zu beantragen. Mit einem Erlassgesuch dürften nicht die engeren Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege (Mittellosigkeit und Nichtaussichtslosigkeit des Verfahrens) umgangen werden. Es hat dabei auf den Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission vom Juni 2023 zu einer schweizerischen ZPO, S. 54 zu Art. 93 VE ZPO verwiesen. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die unentgeltliche Rechtspflege und der Kostenerlass würden zwei völlig unterschiedliche Fragen beschlagen. Bei der unentgeltlichen Rechtspflege gehe es um den Verzicht auf den Kostenvorschuss, während sich ein Erlassgesuch auf rechtskräftig festgelegte Kosten beziehe und der Erlass den definitiven Untergang der Kostenforderung bewirke. Beide Institute würden also einen ganz anderen Zweck verfolgen und sie seien deshalb auch in einem anderen Kapitel der ZPO geregelt. Im Übrigen sei die vom Obergericht verwiesene Aussage im Expertenbericht zum Vorentwurf gerade nicht in die Botschaft überführt worden, was zeige, dass der Bundesrat die Unterschiedlichkeit der beiden Institute erkannt habe. 
 
4.  
Vorab ist festzuhalten, dass - im Unterschied zum Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege - weder ein verfassungsmässiger Anspruch auf Kostenerlass besteht noch Art. 112 ZPO einen Anspruch hierauf gibt, da es sich um eine kann-Vorschrift handelt (STERCHI, in: Berner Kommentar, 2012, N. 2 zu Art. 112 ZPO; JENNY, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, N. 2 zu Art. 112 ZPO; FISCHER, in: Stämpflis Handkommentar, 2010, N. 3 zu Art. 112 ZPO; TAPPY, in: Commentaire Romand, 2. Aufl. 2019, N. 4 zu Art. 112 ZPO; STOUDMANN, in: Petit Commentaire CPC, 2021, N. 1 zu Art. 112 ZPO; TREZZINI, in: Commentario pratico, 2. Aufl. 2017, N. 2 zu Art. 112 ZPO). Die Beschwerdeführerin müsste deshalb in erster Linie aufzeigen, inwieweit das Obergericht das ihm im Zusammenhang mit Art. 112 Abs. 1 ZPO und Art. 10 Abs. 1 VKD/BE zukommende weite Ermessen in unhaltbarer und damit willkürlicher Weise ausgeübt haben soll, was sie nicht tut. 
Vielmehr erfolgen die Ausführungen zur Sache in rein appellatorischer Form, indem sich die Beschwerdeführerin ohne Bezugnahme auf ein verfassungsmässiges Recht zu Art. 112 ZPO äussert. Das Willkürverbot (Art. 9 BV) und der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) werden in der Überschrift zwar erwähnt; allein dadurch werden aber die sich anschliessenden Ausführungen noch nicht zu Verfassungsrügen, wenn die Beschwerdeführerin in diesen nirgends einen Bezug zu den bloss in der Überschrift erwähnten verfassungsmässigen Rechten herstellt. Die Beschwerde ist damit nicht gehörig begründet. 
Ohnehin wäre evident, dass die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege nicht durch ein nachträgliches Erlassgesuch unterlaufen werden dürfen, jedenfalls soweit nicht erst nachträglich eine unverschuldete Mittellosigkeit eingetreten ist oder das Gesuch aus materiellen Gründen, d.h. zufolge Aussichtslosigkeit der Klage, des Gesuches oder des Rechtsmittels abgewiesen worden ist. Die entsprechende Aussage im Bericht der Expertenkommission bleibt entgegen dem, was die Beschwerdeführerin insinuiert, denn auch nicht isoliert, sondern vielmehr wird die Sichtweise in den gängigen Kommentarwerken ohne Gegenmeinung vertreten (URWYLER/GRÜTTER, in: Dike-Kommentar, 2. Aufl. 2016, N. 4 zu Art. 112 ZPO; STERCHI, a.a.O., N. 4 zu Art. 112 ZPO; JENNY, a.a.O., N. 2 zu Art. 112 ZPO; TAPPY, a.a.O., N. 10 zu Art. 112 ZPO; STOUDMANN, a.a.O., N. 6 zu Art. 112 ZPO). 
 
5.  
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
6.  
Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, konnte der Beschwerde mangels (hinreichender) Verfassungsrügen von Anfang an kein Erfolg beschieden sein, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das entsprechende Gesuch abzuweisen ist. 
 
7.  
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 12. Dezember 2023 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli