1C_17/2022 03.06.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_17/2022  
 
 
Urteil vom 3. Juni 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Müller, 
Gerichtsschreiber Gelzer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
3. C.________, 
4. D.________, 
Beschwerdeführende, 
alle vier vertreten durch Rechtsanwalt Michael Fretz, 
 
gegen  
 
Salt Mobile SA, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Lorenzo Marazzotta, 
 
Gemeinderat Lengnau, 
Zürichstrasse 34, 5426 Lengnau AG, 
Regierungsrat des Kantons Aargau, Regierungsgebäude, 5001 Aarau. 
 
Gegenstand 
Baubewilligung; Mobilfunkanlage in einem Kirchturm, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer, vom 16. November 2021 (WBE.2020.340 / MW / jb). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Parzelle Nr. 555 der Gemeinde Lengnau (Bauparzelle) wurde der Zone für öffentliche Bauten zugeteilt und ist mit einer Kirche überbaut. 
 
B.  
Die Salt Mobile SA (nachstehend: Salt) stellte bei der Gemeinde Lengnau am 7. März 2019 das Gesuch, auf der Bauparzelle eine Mobilfunkanlage zu errichten. Deren Antennen sollen gemäss den Bauplänen im Kirchturm in den vier Fenstern auf der Ebene der Kirchenglocken hinter den bestehenden Holzschallläden auf einer Höhe zwischen 17,61 m und 20,60 m über dem Terrain installiert werden. 
Gegen das Baugesuch erhoben verschiedene Personen und der Verband der Aargauischen Natur- und Vogelschutzvereine, BirdLife Aargau, Einwendungen. Letzterer brachte in seiner Einwendung vom 6. August 2019 vor, im Lengnauer Kirchturm brüteten in 28 Nistkästen seit Jahren Mauersegler, auf welche die Mobilfunkanlage keine negativen Einflüsse haben dürfe. 
Das Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) des Kantons Aargau stimmte dem Bauvorhaben auf Antrag der NIS-Fachstelle mit Teilverfügung vom 6. Juni 2019 zu, wobei es die Stellungnahme der Abteilung für Umwelt vom 22. Mai 2019 als integrierenden Bestandteil erklärte. Der Gemeinderat Lengnau erteilte mit Beschluss vom 25. November 2019 der Salt die ersuchte Baubewilligung und wies die dagegen erhobenen Einwendungen ab, soweit er darauf eintrat. Die Baubewilligung sah in teilweiser Erfüllung der von BirdLife Aargau gestellten Forderungen folgende speziellen Bedingungen und Auflagen vor: 
 
"1. [...] 
2. [...] 
3. Der Bau der Antenne darf nicht während der Brutzeit der Mauersegler von Mitte April bis Ende Juli erfolgen. 
4. Der Zugang zu den Nistplätzen im Glockenturm muss für die Kontrolle und Reinigung gewährleistet sein. 
5. Die Leiteröffnung in den Glockenturm muss immer geschlossen sein. Es ist eine bessere Lösung als wie bisher (einfaches Brett) zu installieren. Die Lösung ist mit dem Natur- und Vogelschutzverein Lengnau (...) abzusprechen. Vor Baubeginn sind die entsprechenden Planunterlagen der Bauverwaltung Surbtal zur Genehmigung einzureichen. 
6. Die Nistkästen müssen gegen die Strahlung abgeschirmt werden. Mit technischen Massnahmen (Strahlenabschirmung, Montagehöhe etc.) soll die Strahlenbelastung möglichst reduziert werden. Die Planunterlagen zu den Massnahmen sind vor Ausführung der Bauverwaltung Surbtal zur Genehmigung einzureichen." 
C.________ und D.________ sowie A.________ und B.________ fochten die Baubewilligung mit Verwaltungsbeschwerde an, die der Regierungsrat des Kantons Aargau am 19. August 2020 abwies. Dagegen reichten C.________ und D.________ sowie A.________ und B.________ Beschwerde ein, die das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 16. November 2021 abwies. 
 
C.  
C.________ und D.________ sowie A.________ und B.________ erheben Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, das Urteil des Verwaltungsgerichts Aargau vom 16. November 2021 aufzuheben. Eventuell sei das Verfahren hinsichtlich des Schutzes der Mauersegler zur Durchführung einer Einzelfallbeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Auf Begehren der Beschwerdeführenden erkannte das Bundesgericht der Beschwerde mit Präsidialverfügung vom 3. Februar 2022 im Hinblick auf eine allfällige Inbetriebnahme der in Frage stehenden Mobilfunkanlage die aufschiebende Wirkung zu. 
Die Staatskanzlei des Regierungsrats des Kantons Aargau und die Salt beantragen, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) kommt in seiner Stellungnahme zum Ergebnis, der angefochtene Entscheid sei mit dem Umweltrecht des Bundes konform. 
Die Beschwerdeführenden erneuern in ihrer Replik die bereits in der Beschwerde gestellten Anträge. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob eine bei ihm eingereichte Beschwerde zulässig ist (BGE 148 IV 155 E. 1.1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Die Beschwerde richtet sich gegen einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid über die Erteilung einer Baubewilligung. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich offen (BGE 138 II 331 E. 1.1; Urteil 1C_416/2019 vom 2. Februar 2021 E. 1.1). Die Beschwerdeführenden sind zur Beschwerdeführung legitimiert, da sie am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen haben und sie als innerhalb des Einspracheperimeters wohnhafte Personen von der Bewilligung der streitbetroffenen Mobilfunkanlage besonders berührt sind (Art. 89 Abs. 1 BGG; BGE 128 II 168 E. 2.3 und 2.4).  
 
1.3. Das Bundesgerichtsgesetz (BGG; SR 173.110) unterscheidet zwischen End-, Teil- sowie Vor- bzw. Zwischenentscheiden (Art. 90 ff. BGG). Bezüglich dieser Qualifikationen ist der materielle Inhalt des angefochtenen Urteils und nicht dessen formelle Bezeichnung massgebend (BGE 136 V 131 E. 1.1.2; 149 II 170 E. 1.8; mit Hinweisen). Während End-, Teil- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit oder den Ausstand (Art. 92 BGG) direkt angefochten werden können, ist die direkte Beschwerdeerhebung gegen andere Zwischenentscheide nur unter den Voraussetzungen gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG möglich (BGE 141 III 395 E. 2.2).  
 
1.4. Ein Endentscheid schliesst das Verfahren in der Hauptsache aus prozessualen oder materiellen Gründen ab (Art. 90 BGG; BGE 146 I 36 E. 2.2). Ein Teilentscheid schliesst das Verfahren nicht vollständig, jedoch in Bezug auf einen Teil der gestellten Begehren, die unabhängig von den anderen beurteilt werden können (Art. 91 lit. a BGG) oder für einen Teil der Streitgenossen ab (Art. 91 lit. b BGG; BGE 141 III 395 E. 2.2; 142 III 653 E. 1.1; je mit Hinweisen). Ein Teilentscheid bzw. eine Teilbaubewilligung kann vorliegen, wenn mit der Errichtung einer bewilligten Baute begonnen werden darf, bevor gewisse selbständig beurteilbare Teilaspekte - wie z.B. die Farb- und Materialwahl - nachträglich bewilligt werden (Urteil 1C_644/2020 vom 8. September 2021 E. 1.3 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 149 II 170 E. 1.7). Verlangt die Baubewilligung dagegen, dass vor dem Baubeginn Teilaspekte der Baute noch zu genehmigen sind, wird die Wirksamkeit der Bewilligung bis zur entsprechenden Genehmigung gehemmt, weshalb keine rechtswirksame Teilbaubewilligung, sondern eine durch die Genehmigung suspensiv bedingt erteilte Baubewilligung vorliegt. Nach der Rechtsprechung führt eine solche Bedingung dazu, dass das Baubewilligungsverfahren als noch nicht abgeschlossen gilt, sofern der Baubehörde bei der Beurteilung der Erfüllung der Bedingung noch ein Entscheidungsspielraum offensteht (BGE 149 II 170 E. 1.6 und 1.9; Urteil 1C_102/2023 vom 5. März 2024 E. 1.3; je mit Hinweisen).  
 
1.5. Die von der Vorinstanz bestätigte Baubewilligung sieht in Ziff. 5 der speziellen Bedingungen sinngemäss vor, dass die Leiteröffnung in den Glockenturm immer geschlossen sein muss und diesbezüglich gegenüber der bisherigen Abschrankung eine bessere Lösung zu fin  
den ist, die mit dem Natur- und Vogelschutzverein Lengnau abzusprechen ist, wobei die entsprechenden Planunterlagen der Bauverwaltung Surbtal vor Baubeginn zur Genehmigung einzureichen sind. Da der Bauverwaltung bei dieser Genehmigung aufgrund der unbestimmt formulierten Voraussetzungen ein Entscheidungsspielraum zusteht, wird das vorliegende Baubewilligungsverfahren erst mit dieser Genehmigung abgeschlossen. Gleiches hat bezüglich der Genehmigung zu gelten, welche Ziff. 6 der Bedingungen der Baubewilligung hinsichtlich der Abschirmung der Nistkästen gegen (nichtionisierende) Strahlung verlangt, zumal die entsprechenden technischen Massnahmen (Strahlenabschirmung, Montagehöhe etc.) ebenfalls unbestimmt umschrieben wurden und damit der Behörde bei der Konkretisierung einen Entscheidungsspielraum belassen. Daran vermag nichts zu ändern, dass die Möglichkeiten der Strahlenabschirmung dadurch beschränkt werden, dass diese den Anforderungen des Vogel- und Denkmalschutzes genügen muss. Zwar wird die Genehmigung der Abschirmung nicht vor Baubeginn, sondern vor der "Ausführung" verlangt. Jedoch ergibt sich aus dem Schutzzweck der Abschirmung, dass sie vor der Inbetriebnahme der Mobilfunkanlage vorgenommen werden muss, weshalb deren Genehmigung bezüglich der Wirksamkeit der Baubewilligung eine suspensive Bedingung darstellt. Zudem kann der in der Beschwerde in Frage gestellte hinreichende Schutz der Mauersegler vor nichtionisierender Strahlung erst umfassend beurteilt werden, wenn die in der Baubewilligung verlangte Strahlenabschirmung in einer vollstreckbaren Weise konkretisiert und genehmigt wurde, weil erst dann der Wirkungsgrad der Abschirmung und die danach verbleibende Strahlenbelastung in den Nistkästen abgeschätzt werden kann. Demnach ist bezüglich der Strahlenabschirmung dieser Kästen eine Teilbaubewilligung ausgeschlossen, weshalb die Baubewilligung der Gemeinde Lengnau vom 25. November 2019 auch aus diesem Grund als Zwischenentscheid zu qualifizieren ist. Dies hat auch für das vorinstanzliche Urteil zu gelten, weil es diese Bewilligung bestätigte (Urteil 1C_102/2023 vom 5. März 2024 E. 1.3. mit Hinweisen). 
 
1.6. Da der angefochtene Zwischenentscheid weder die Zuständigkeit noch den Ausstand betrifft (vgl. Art. 92 BGG), ist er gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG nur direkt anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Diese Voraussetzungen sollen zur Entlastung des Bundesgerichts dazu führen, dass es sich möglichst nur einmal mit einer Sache zu befassen hat (BGE 141 III 80 E. 1.2; 142 III 798 E. 2.2 S. 801; je mit Hinweisen). Es obliegt der beschwerdeführenden Partei darzutun, dass diese Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Anfechtbarkeit eines Zwischenentscheids erfüllt sind, soweit deren Vorliegen nicht offensichtlich ist (BGE 149 II 170 E. 1.3 mit Hinweis).  
 
1.6.1. Gemäss der Rechtsprechung muss der nicht wieder gutzumachende Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG grundsätzlich ein Nachteil rechtlicher Natur sein, der auch durch einen späteren günstigen Endentscheid nicht oder nicht gänzlich beseitigt werden kann. Rein tatsächliche Nachteile wie die Verfahrensverlängerung oder -verteuerung reichen nicht aus (BGE 149 II 170 E. 1.3 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführenden legen nicht dar, inwiefern der angefochtene Zwischenentscheid für sie zu einem nicht wieder gutzumachenden Nachteil führen könnte. Dies ist auch nicht ersichtlich, weil die streitbetroffene Anlage erst nach den vorgenannten Genehmigungen errichtet bzw. in Betrieb genommen werden darf und die Genehmigungen den Beschwerdeführenden eröffnet werden müssen, damit sie sich dagegen wirksam zur Wehr setzen können (Urteil 1C_102/2023 vom 5. März 2024 E. 1.4). Sollten sie gegen diese Genehmigungen, die nach dem Grundsatz der Einheit des Bauentscheids zusammen eröffnet werden sollten, keine Einwände haben, könnten sie zudem direkt im Anschluss daran beim Bundesgericht gegen den vorinstanzlichen Zwischenentscheid Beschwerde erheben (Urteile 1C_644/2020 vom 8. September 2021 E. 1.6.1; 1C_102/2023 vom 5. März 2024 E. 1.5; je mit Hinweisen).  
 
1.6.2. Auch die Voraussetzungen gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG sind nicht gegeben. Zwar würde die Gutheissung der Beschwerde zur Aufhebung der Baubewilligung und damit zu einem Endentscheid führen. Jedoch machen die Beschwerdeführenden nicht geltend, dass damit ein bedeutender Zeit- oder Kostenaufwand für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart würde. Dies ist auch nicht ersichtlich, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein solches Verfahren für die noch ausstehenden Genehmigungen erforderlich sein könnten, zumal der betreffende Aufwand deutlich überdurchschnittlich sein müsste (Urteil 1C_655/2020 vom 3. November 2021 E. 2.3 mit Hinweis).  
 
2.  
Nach dem Gesagten sind die Voraussetzungen der selbständigen Anfechtbarkeit des vorinstanzlichen Zwischenentscheids nicht erfüllt, weshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG; Urteil 1C_102/2023 vom 5. März 2024 E. 2). Diese haben der Beschwerdegegnerin unter solidarischer Haftbarkeit für das bundesrechtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1, 2 und 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführenden auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführenden haben die Beschwerdegegnerin für das bundesrechtliche Verfahren unter solidarischer Haftbarkeit mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Gemeinderat Lengnau, dem Regierungsrat des Kantons Aargau, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 3. Kammer, und dem Bundesamt für Umwelt schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. Juni 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Gelzer