7B_272/2022 31.10.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_272/2022  
 
 
Urteil vom 31. Oktober 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiberin Mango-Meier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Bürgi, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
2. B.________, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Schändung; Landesverweisung; Willkür, rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 21. Juli 2022 (SST.2021.226). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg erhob am 20. Januar 2020 Anklage gegen den kosovarischen Staatsangehörigen A.________, geb. 1993, wegen mehrfacher Schändung. Sie beantragte, dass A.________ dafür zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten, bei einer Probezeit von 2 Jahren sowie einer Busse von Fr. 5'000.--, ersatzweise 50 Tage Freiheitsstrafe, zu verurteilen sei. Weiter beantragte sie eine Landesverweisung für die Dauer von 7 Jahren. 
 
B.  
 
B.a. Mit Urteil vom 26. Mai 2021 sprach das Bezirksgericht Rheinfelden A.________ der mehrfachen Schändung schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten sowie einer Busse in Höhe von Fr. 5'000.--. Weiter verwies es A.________ für die Dauer von 7 Jahren des Landes.  
 
B.b. Mit Urteil vom 21. Juli 2022 stellte das Obergericht des Kantons Aargau auf Berufung von A.________ hin eine Verletzung des Beschleunigungsgebots fest. Es korrigierte das erstinstanzliche Urteil, indem es eine natürliche Handlungseinheit als gegeben erachtete und verurteilte A.________ wegen Schändung im Sinne von Art. 191 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten bei einer Probezeit von 3 Jahren sowie einer Verbindungsbusse von Fr. 5'000.--. Die erstinstanzlich ausgefällte Landesverweisung von 7 Jahren bestätigte das Obergericht gestützt auf Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB.  
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 13. September 2023 beantragt A.________ dem Bundesgericht sinngemäss, es sei das Berufungsurteil aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Ausserdem sei von der Landesverweisung abzusehen. 
Es wurden die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) in Strafsachen einer letzten kantonalen Instanz, die als oberes Gericht auf Berufung hin (Art. 80 BGG) geurteilt hat. Der Beschwerdeführer ist als beschuldigte Person zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG) und hat die Beschwerdefrist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG). Unter Vorbehalt rechtsgenüglicher Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) ist die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG grundsätzlich zulässig. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt in seiner Beschwerdeschrift zunächst eine Verletzung der gehörsrechtlichen Prüfungs- und Begründungspflicht. Er habe nämlich hinsichtlich der Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 und "ihrem Verhalten im Randgeschehen [...] etliche Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten" aufgezeigt, die für die Frage der Glaubhaftigkeit von deren Aussagen "im Einzelnen sowie ihren Schändungsvorwurf gegenüber dem Beschwerdeführer insgesamt von zentraler Bedeutung" seien. Die Vorinstanz habe diese Vorbringen aber weder gehört noch gewürdigt sowie sei ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen und habe damit Bundesrecht verletzt.  
 
2.2. Nach der Rechtsprechung zur behördlichen Begründungspflicht, wie sie sich aus Art. 29 Abs. 2 BV ergibt, braucht sich die Behörde nicht mit jedem sachverhaltlichen oder rechtlichen Einwand auseinanderzusetzen, noch muss sie jedes einzelne Vorbringen widerlegen (BGE 147 IV 409 E. 5.3.4 mit Hinweisen). Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1; 135 III 670 E. 3.3.1 mit Hinweisen; 134 I 83 E. 4.1). Die Begründung eines behördlichen Entscheids muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über dessen Tragweite Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann (BGE 143 IV 40 E. 3.4.3; 134 I 83 E. 4.1; vgl. BGE 133 III 439 E. 3.3).  
 
2.3. Die Vorinstanz würdigt die Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 ausführlich in den Erwägungen 2.3.4 und 2.3.1 [recte: 2.3.5] des angefochtenen Entscheids. Einleitend führt sie dabei aus, dass sie insbesondere den Beschwerdeführer und die Beschwerdegegnerin 2 im Rahmen der Berufungsverhandlung vom 24. Juni 2022 erneut persönlich einvernommen und dabei einen persönlichen Eindruck ihres Aussageverhaltens und ihrer Persönlichkeit habe gewinnen und Unklarheiten plausibel habe klären und nachvollziehbar auflösen können. Nach dieser einleitenden Bemerkung hat sich die Vorinstanz namentlich mit den Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 zum Kerngeschehen befasst und diese gewürdigt. Dass sie damit nicht auch noch jeden einzelnen Einwand des Beschwerdeführers zum Randgeschehen ausdrücklich thematisiert und widerlegt hat, kann ihr unter gehörsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zum Vorwurf gereichen. Es genügt, dass sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte zum Kerngeschehen beschränkt hat.  
 
3.  
 
3.1. In seiner Eingabe an das Bundesgericht befasst sich der Beschwerdeführer mit der vorinstanzlichen Beweiswürdigung. Er wirft der Vorinstanz vor, diese ergebnisorientiert bzw. nicht neutral vorgenommen zu haben und macht einen Verstoss gegen das Fairnessgebot sowie gegen die freie Beweiswürdigung geltend. Aufgrund dieser unter dem Titel der willkürlichen Beweiswürdigung gemachten Ausführungen verlangt der Beschwerdeführer einen Freispruch in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo".  
 
3.2. Das Bundesgericht ist als oberste rechtsprechende Behörde (Art. 1 Abs. 1 BGG) keine strafrechtliche Berufungsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt oder die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit freier Kognition überprüft (BGE 148 IV 409 E. 2.2; Urteile 7B_388/2023 vom 29. September 2023 E. 2.1; 7B_131/2022 vom 5. September 2023 E. 2.1 mit Hinweisen). Es legt seinem Urteil vielmehr den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann die Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 148 IV 409 E. 2.2, 356 E. 2.1; Urteile 7B_388/2023 vom 29. September 2023 E. 2.1; 7B_156/2022 vom 7. September 2023 E. 2). Die Willkürrüge muss nach Art. 106 Abs. 2 BGG explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).  
Eine Sachverhaltsfeststellung gilt als willkürlich, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 148 I 127 E. 4.3; 144 II 281 E. 3.6.2; je mit Hinweisen; Urteile 7B_388/2023 vom 29. September 2023 E. 2.1; 7B_131/2022 vom 5. September 2023 E. 2.1 mit Hinweisen). Der blosse Widerspruch zu Erwägungen der Vorinstanz qualifiziert eine Entscheidung noch nicht als willkürlich (BGE 146 IV 297 E. 2.2.5 mit Verweis auf 141 IV 369 E. 6.3; Urteil 7B_131/2022 vom 5. September 2023 E. 2.1). Willkür ist nicht bereits gegeben, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar oder sogar vorzuziehen ("préférable") wäre (BGE 148 IV 374 E. 3.2.2 mit Hinweis; 145 II 32 E. 5.1; Urteil 7B_247/2022 vom 12. September 2023 E. 3.7 mit Hinweisen). Auf appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 409 E. 2.2, 356 E. 2.1; Urteile 7B_388/2023 vom 29. September 2023 E. 2.1; 7B_450/2023 vom 13. September 2023 E. 2; je mit Hinweisen). 
Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 148 IV 409 E. 2.2; Urteile 7B_131/2022 vom 5. September 2023 E. 2.1; 7B_101/2022 und 7B_102/2022 vom 27. Juli 2023 E. 4.1.1; je mit Hinweisen). 
 
3.3. Mit diesen Grundsätzen setzt sich der Beschwerdeführer nicht in der gebotenen Weise auseinander. Vielmehr handelt es sich bei seiner Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung um Ausführungen, die einem Plädoyer vor einer Berufungsinstanz entnommen sein könnten. Obwohl der Beschwerdeführer darin immer wieder "Willkür" resp. "unhaltbare" Schlussfolgerungen rügt, setzt er der Beweiswürdigung der Vorinstanz in der Sache lediglich eine eigene, für ihn günstige Würdigung der erhobenen Beweise entgegen. Mit einer solchen appellatorischen Kritik wird der Beschwerdeführer vor Bundesgericht aber nicht gehört: Statt eine geradezu ins Auge springende Unhaltbarkeit der vorinstanzlichen Erwägungen aufzuzeigen, beruht seine Argumentation auf dem Bemühen, die erhobenen Beweise durch selektives Ausblenden belastender Elemente in einem für ihn möglichst günstigen Licht erscheinen zu lassen. Damit gelingt es ihm allenfalls, eine alternative Beweiswürdigung aufzuzeigen, nicht aber Willkür - die sich im Übrigen auch nicht herbeischreiben lässt, wenn sie nicht eindeutig vorhanden ist.  
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer rügt in seiner Beschwerdeschrift zudem eine unzulässige Erweiterung des Anklagesachverhalts. Diese erblickt er in der Feststellung der Vorinstanz, dass der Zustand der Widerstandsunfähigkeit durch den Alkoholkonsum zusammen mit der einsetzenden Müdigkeit und möglicherweise auch einem Drogenkonsum verursacht worden sei. Er weist darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg in der Anklageschrift vom 20. Januar 2020 lediglich einen "reichlich alkoholisierten Zustand" erwähnt habe.  
 
4.2. Gemäss Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO bezeichnet die Anklageschrift möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung (BGE 148 IV 445 E. 1.5.1; Urteil 6B_543/2023 und 6B_571/2023 vom 4. Oktober 2023 E. 3.1). Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Art. 9 und Art. 325 StPO; Art. 29 Abs. 2 sowie Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 149 IV 128 E. 1.2; Urteil 6B_543/2023 und 6B_571/2023 vom 4. Oktober 2023 E. 3.1; je mit Hinweisen).  
Die nähere Begründung der Anklage erfolgt an Schranken. Es ist Sache des Gerichts, den Sachverhalt verbindlich festzustellen. Dieses ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (Art. 350 Abs. 1 StPO). Das Anklageprinzip ist verletzt, wenn die angeklagte Person für Taten verurteilt wird, bezüglich welcher die Anklageschrift den inhaltlichen Anforderungen nicht genügt, oder wenn das Gericht mit seinem Schuldspruch über den angeklagten Sachverhalt hinausgeht (Urteile 6B_543/2023 und 6B_571/2023 vom 4. Oktober 2023 E. 3.1; 6B_1404/2020 vom 17. Januar 2022 E. 1.3, nicht publ. in: BGE 148 IV 124; je mit Hinweisen; vgl. BGE 145 IV 407 E. 3.3.2). 
 
4.3. Die Vorinstanz legt in ihrem Entscheid anhand einer Gesamtbetrachtung dar, weshalb sie die Widerstandsunfähigkeit im Sinne von Art. 191 StGB als gegeben erachtet. Bei der Beweiswürdigung befasst sie sich nachvollziehbar mit den Aussagen der damals anwesenden Personen und von Zeugen sowie dem Verhalten der Beschwerdegegnerin 2 vor und nach besagtem Vorfall. Indem die Vorinstanz hierbei die Müdigkeit als Folge des Alkoholkonsums miteinbezieht und einen Drogenkonsum nicht gänzlich ausschliesst, setzt sie sich eingehend mit dem damaligen Zustand der Beschwerdegegnerin 2 auseinander, welcher in der Anklageschrift als "komaähnlich" beschrieben wurde. Bei den vorinstanzlichen Erwägungen handelt es sich lediglich um eine ausführlichere Beschreibung der dem Beschwerdeführer konkret vorgeworfenen Tathandlung resp. des Ausnutzens fehlender Widerstandsfähigkeit und nicht um einen anderen Tatvorwurf. Der Beschwerdeführer wusste mithin, welcher Sachverhalt ihm vorgeworfen wird und er war in der Lage, sich gegen den in der Anklageschrift vorgebrachten Vorwurf der Schändung ausreichend zu verteidigen. Mit den für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG) geht die Vorinstanz nicht über den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt hinaus. Das Anklageprinzip ist nicht verletzt.  
 
5.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit auf sie überhaupt einzutreten ist. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 31. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Mango-Meier