1C_269/2023 31.10.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_269/2023  
 
 
Urteil vom 31. Oktober 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Merz, 
Gerichtsschreiberin Trutmann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Verfahrensbeteiligte 
1. Erbengemeinschaft A.________ 
bestehend aus B.________, 
C.________ und D.________, 
2. E._________, 
3. F.________ und G.________, 
4. Verein H.________, 
Beschwerdeführende, 
alle vertreten durch Rechtsanwalt Mark Sollberger, 
 
gegen  
 
Einwohnergemeinde Bern, 
Hochbau Stadt Bern, Bundesgasse 33, 3011 Bern, 
Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern, Rechtsamt, Reiterstrasse 11, 3013 Bern. 
 
Gegenstand 
Wiederherstellung der Beschwerdefrist, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichterin, vom 18. April 2023 (100.2022.378U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Gesamtentscheid vom 27. Juni 2022 erteilte die Regierungsstatthalterin des Verwaltungskreises Bern-Mittelland der Einwohnergemeinde Bern die Baubewilligung für verschiedene Bauvorhaben rund um das Kirchenfeldschulhaus. 
 
B.  
Auf eine dagegen erhobene Beschwerde der Erbengemeinschaft A.________, von E._________, F.________ und G.________ sowie des Vereins H.________ vom 5. September 2022 trat die Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern zufolge Verspätung nicht ein. 
Die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde der Erbengemeinschaft A.________, von E._________, F.________ und G.________ sowie des Vereins H.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 18. April 2023 kostenfällig ab. 
 
C.  
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. April 2023 gelangen die Erbengemeinschaft A.________, E._________, F.________ und G.________ sowie der Verein H.________ mit Beschwerde vom 30. Mai 2023 an das Bundesgericht. Sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Wiederherstellung der Frist zur Einreichung einer Baubeschwerde gegen den Gesamtbauentscheid des Regierungsstatthalteramtes vom 27. Juni 2022. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht, subeventualiter an die Bau- und Verkehrsdirektion zurückzuweisen. 
Die Bau- und Verkehrsdirektion, das Verwaltungsgericht und die Einwohnergemeinde beantragen die Abweisung der Beschwerde. 
In ihrer Replik halten die Beschwerdeführenden an den im Rahmen ihrer Beschwerde gestellten Begehren fest. 
 
D.  
Mit Verfügung vom 26. Juni 2023 wies der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid betreffend die Wiederherstellung einer Beschwerdefrist im Bereich des öffentlichen Baurechts. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG). Ein Ausnahmegrund gemäss Art. 83 ff. BGG ist nicht gegeben. Die Beschwerde wurde fristgerecht erhoben (Art. 100 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführenden haben am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und sind nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde gegen das angefochtene Urteil, welches den Nichteintretensentscheid der Bau- und Verkehrsdirektion bestätigte, berechtigt. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.  
 
1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Verletzung von Grundrechten - einschliesslich die willkürliche Anwendung von kantonalem und kommunalem Recht - wird vom Bundesgericht nur insoweit geprüft, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Hierzu gelten qualifizierte Begründungsanforderungen (BGE 148 V 366 E.3.3; 142 II 369 E. 2.1; je mit Hinweisen). Willkürlich ist ein Entscheid, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 148 III 95 E.4.1; 144 I 170 E. 7.3: je mit Hinweisen).  
 
1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung nur, wenn sie willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 148 IV 39 E. 2.3.5; 141 IV 317 E. 5.4; je mit Hinweisen).  
 
2.  
Vorliegend sind folgende Sachverhaltselemente unbestritten: Der Gesamtentscheid des Regierungsstatthalteramtes vom 27. Juni 2022 wurde den Beschwerdeführenden am 4. Juli 2022 zugestellt. Die Beschwerdefrist an die Bau- und Verkehrsdirektion ist am 3. August 2022 unbenutzt verstrichen. Am 5. September 2022 ersuchten die Beschwerdeführenden die Bau- und Verkehrsdirektion im Rahmen ihrer Beschwerdeschrift um Fristwiederherstellung und reichten ein Arztzeugnis datiert vom 2. August 2022 zu den Akten. In diesem Arztzeugnis wurde dem Rechtsvertreter für den Zeitraum vom 29. Juli bis zum 5. August 2022 zufolge seiner Erkrankung (Pneumonie, ständiger starker Husten, starke Kopfschmerzen, Schweissausbrüche) eine vollständige Arbeits- und Verhandlungsunfähigkeit attestiert. 
 
3.  
Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist, ob die Vorinstanz die Verweigerung der Wiederherstellung der Beschwerdefrist durch die Bau- und Verkehrsdirektion zu Recht bestätigt hat. 
 
3.1. Gemäss Art. 43 Abs. 2 des Gesetzes des Kantons Bern vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG/BE; BSG 155.21) gilt: Ist eine Partei oder ihre Vertretung durch einen anderen Grund als die mangelhafte Eröffnung unverschuldeterweise davon abgehalten worden, fristgerecht zu handeln, so wird die Frist wiederhergestellt, sofern die Partei unter Angabe des Grundes innert 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses darum ersucht und die versäumte Handlung vornimmt.  
 
3.2. Im angefochtenen Urteil hielt die Vorinstanz fest, für die Berechnung und Wahrung der Wiederherstellungsfrist gälten die allgemeinen Voraussetzungen nach Art. 41 f. VRPG/BE. Ein Hinderungsgrund gelte demnach als weggefallen, sobald es für die verhinderte Person objektiv und subjektiv zumutbar werde, entweder selber tätig zu werden oder die Interessenwahrung einer Drittperson zu übertragen. In der Gesuchsbegründung habe der Rechtsvertreter ausgeführt, die Instruktion einer Vertretung wäre "ohnehin erst am" 2. August 2022 möglich gewesen, mithin ab dem Tag, an dem das Zeugnis ausgestellt worden sei. Ein allfälliger krankheitsbedingter Hinderungsgrund wäre somit spätestens ab dem 2. August 2022 weggefallen. Die dreissigtägige Wiederherstellungsfrist hätte somit am Folgetag, d.h. am 3. August 2022, zu laufen begonnen und wäre am 1. September 2022 abgelaufen. Das Gesuch um Wiederherstellung der Frist und die Beschwerde seien erst am 5. September 2022 eingereicht worden. Selbst wenn vom 29. Juli bis zum 1. August 2022 ein Hinderungsgrund im Sinne von Art. 43 Abs. 2 VRPG/BE vorgelegen hätte, wären die Beschwerde und das Gesuch um Wiederherstellung der Frist demnach verspätet. Soweit der Rechtsvertreter vor Verwaltungsgericht neu geltend mache, er sei bis zum 5. August 2022 nicht in der Lage gewesen, eine Vertretung zu instruieren, scheine es sich dabei bloss um eine Reaktion auf die Argumentation im Entscheid der Bau- und Verkehrsdirektion zu handeln. Diese im Widerspruch zu früheren Äusserungen stehende Aussage vermöge nicht zu überzeugen. Sie sei ungeeignet, die schlüssige Folgerung der Bau- und Verkehrsdirektion in Zweifel zu ziehen.  
 
3.3. Die Beschwerdeführenden bringen dagegen vor, die Vorinstanz habe die Äusserungen im Fristwiederherstellungsgesuch unvollständig wiedergegeben und falsch interpretiert. Die Aussage habe vollständig wie folgt gelautet: "... er konnte aufgrund ständigen starken Hustens und Stimmlosigkeit praktisch nicht kommunizieren. Auch dies ist im Arztzeugnis vom 02. August 2022 so ausdrücklich festgehalten und bestätigt. Eine solche Instruktion wäre ohnehin erst am Dienstag, 02. August 2022 und somit angesichts der Komplexität der Angelegenheit zu spät möglich gewesen, da der 01. August ein Feiertag war." Damit sei festgehalten worden, dass auch wenn eine Kommunikation hinsichtlich einer allfälligen Fristwahrung durch einen zu beauftragenden Ersatzanwalt oder durch die Klientschaft selber möglich gewesen wäre, eine solche aufgrund des Feiertags erst am 2. August 2022 hätte erfolgen können. Wenn die Vorinstanz gestützt auf diese Aussage zum Ergebnis komme, ein Hinderungsgrund sei am 2. August 2022 weggefallen, sei dies eine krasse Fehlinterpretation und völlig unhaltbar. Im Übrigen habe der Rechtsvertreter bereits in der Baubeschwerde vom 5. September 2022 geltend gemacht, aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung sei es ihm vom 29. Juli bis zum 5. August 2022 nicht möglich gewesen, eine Vertretung zu instruieren. Es handle sich dabei nicht um ein neues Vorbringen.  
 
3.4. Die Vorinstanz stützte sich im Rahmen der zur Diskussion stehenden Beweiswürdigung auf das Arztzeugnis vom 2. August 2022 sowie die Begründung des Fristwiederherstellungsgesuchs. Nachdem sich die Wiederherstellung einer Frist nach Massgabe der Gesuchsbegründung beurteilt (vgl. BGE 119 II 86 E. 2b S. 88; Urteile 1B_627/2021 vom 9. Februar 2022 E. 2; 8C_767/2008 vom 12. Januar 2009 E. 5.3.2; je mit Hinweisen), ist dies nicht zu beanstanden. Inwiefern die von der Vorinstanz daraus gezogene Schlussfolgerung, ein Hinderungsgrund sei spätestens am 2. August 2022 weggefallen, offensichtlich unhaltbar sein soll, vermögen die Beschwerdeführenden mit ihren Ausführungen nicht darzutun. Der Rechtsvertreter gab im Fristwiederherstellungsgesuch selber an, er habe seine Klientschaft am 1. August 2022 per E-Mail über seinen Ausfall informieren können. Den Beschwerdeführenden kann daher nicht gefolgt werden, wenn sie geltend machen, der von der Vorinstanz gezogene Schluss, dass ihr Rechtsvertreter spätestens ab dem 2. August 2022 mit Dritten hätte (schriftlich) kommunizieren können, müsse als unhaltbar bezeichnet werden. Der Hinweis, der Rechtsvertreter habe bereits in der Baubeschwerde erklärt, er habe bis zum 5. August 2022 keine andere Vertretung instruieren können, ändert daran nichts. Es ging letztlich auch nicht darum, dass die Beschwerde noch innerhalb der ursprünglichen Beschwerdefrist hätte verfasst werden sollen, sondern lediglich darum, dass eine (allfällige) Vertretung kontaktiert wird, die dann innerhalb der Wiederherstellungsfrist, welche wie die Beschwerdefrist ebenfalls 30 Tage beträgt, die notwendigen Schritte unternimmt. Demzufolge ist die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts nicht unhaltbar.  
 
3.5. Das vorinstanzliche Ergebnis, das Gesuch um Fristwiederherstellung und die Beschwerde vom 5. September 2022 seien verspätet eingereicht worden, hält mithin vor dem Willkürverbot stand. Wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren kann daher auch hier offenbleiben, ob überhaupt ein Hinderungsgrund vorgelegen hat. Ein Eingehen auf die diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführenden erübrigt sich somit.  
 
 
4.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Da die Beschwerdeführenden unterliegen, haben sie die Gerichtskosten zu tragen; sie haften für diese solidarisch (Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführenden unter solidarischer Haftung auferlegt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführenden, der Einwohnergemeinde Bern, der Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichterin, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 31. Oktober 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Trutmann