6B_908/2021 29.11.2022
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_908/2021  
 
 
Urteil vom 29. November 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Jean Louis Scenini, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Mehrfache rechtswidrige Einreise, mehrfacher rechtswidriger Aufenthalt (Art. 115 AuG/AIG), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12. Mai 2021 (SB210001-O/ad). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland warf dem jamaikanischen Staatsangehörigen A.________ (Jahrgang 1990) mit Anklageschrift vom 3. Juli 2018 vor, zwischen dem 3. Dezember 2017 und Ende April 2018 insgesamt viermal ohne gültiges Visum für die Schweiz und davon dreimal auch ohne gültigen Reisepass in die Schweiz eingereist zu sein und sich bis am 11. Mai 2018 ohne das notwendige Visum und teilweise ohne gültigen Reisepass in der Schweiz aufgehalten zu haben.  
Die Staatsanwaltschaft beantragte, den seit dem 11. Mai 2018 in Haft und anschliessend im vorzeitigen Strafvollzug befindlichen A.________ wegen mehrfacher rechtswidriger Einreise (Art. 115 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a AuG) und mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts (Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG) mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten zu bestrafen. 
 
A.b. Das Bezirksgericht Winterthur verurteilte ihn am 7. August 2018 anklagegemäss. A.________ erhob Berufung.  
Das Obergericht des Kantons Zürich verfügte am 4. September 2018 seine Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug sowie die Zuführung an das Migrationsamt des Kantons Zürich. 
Das Obergericht bestrafte ihn am 5. Februar 2019 in Bestätigung des bezirksgerichtlichen Urteils mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten (wovon 123 Tage durch Haft und vorzeitigen Strafvollzug erstanden sind). 
 
A.c. Das Bundesgericht hiess die von A.________ gegen das obergerichtliche Urteil erhobene Beschwerde in Strafsachen gut, hob das Urteil auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurück (Urteil 6B_701/2019 vom 17. Dezember 2020).  
 
B.  
Bei der Neubeurteilung am 12. Mai 2021 sprach das Obergericht A.________ vom Vorwurf der mehrfachen rechtswidrigen Einreise am 21. Dezember 2017 sowie im Februar 2018 frei, bestätigte im Übrigen den Schuldspruch vom 5. Februar 2019 und bestrafte ihn mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten (die durch Haft und vorzeitigen Strafvollzug erstanden sind). Für 3 Tage Überhaft sprach es ihm eine Genugtuung von Fr. 600.-- (zzgl. 5 % Zins seit dem 8. September 2018) aus der Gerichtskasse zu. 
 
C.  
A.________ beantragt beim Bundesgericht mit Beschwerde in Strafsachen, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und das Strafverfahren einzustellen, die Verfahrens- und Gerichtskosten und definitiv die Kosten der amtlichen Verteidigung auf die Staatskasse zu nehmen sowie ihm für die zu Unrecht erlittene Haft eine Genugtuung von Fr. 24'200.-- (nebst Zins zu 5 % seit 11. Juli 2018) zulasten der Staatskasse zuzusprechen; eventualiter die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege (und Verbeiständung) zu gewähren. 
 
D.  
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichteten auf Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Vorinstanz geht in ihrer neuen Beweiswürdigung im Rahmen der Neubeurteilung zugunsten des Beschwerdeführers davon aus, dass er am 3. Dezember 2017 ohne die für Einreise und Aufenthalt notwendigen Papiere in die Schweiz eingereist sei und sich bis zum 11. Mai 2018 hier aufgehalten habe, wobei er im April für zwei Tage nach Frankreich zurückgekehrt und in der Folge wieder in die Schweiz eingereist sei (Urteil S. 9). Dieser Sachverhalt wird vom Beschwerdeführer nicht mehr bestritten. Er erfülle die Tatbestände von Art. 115 Abs. 1 lit. a und lit. b AuG, für die er verurteilt worden sei (Beschwerde Ziff. 37; Urteil S. 10). 
Soweit der Beschwerdeführer indessen den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt ergänzt, ohne Willkür zu behaupten oder zu substanziieren (namentlich Beschwerde Ziff. 28 ff. zur Prozessgeschichte), ist darauf nicht einzutreten. Das Bundesgericht legt seiner Entscheidung den von der Vorinstanz verbindlich festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). 
Der Beschwerdeführer reicht als Beschwerdebeilage den Entscheid (Verfügung und Urteil) vom 15. Mai 2021 des Bezirksgerichts Zürich als Zwangsmassnahmengericht betreffend Entlassung aus der Ausschaffungshaft beim Bundesgericht ein. Dieses echte Novum ist ungeachtet der novenrechtlichen Schranken von Art. 99 Abs. 1 BGG zu berücksichtigen (vgl. BGE 147 II 49 E. 3.3; Urteile 2C_468/2022 vom 7. Juli 2022 E. 2.2, 4.3; 2C_421/2022 vom 23. Juni 2022 E. 4.4). 
 
2.  
Der Beschwerdeführer kam am 29. August 2008 erstmals in die Schweiz und wurde weggewiesen (vgl. Urteile 2C_345/2013 vom 22. Oktober 2013; 2C_484/2020 vom 19. Januar 2021). Im vorliegend relevanten Umfang ergibt sich namentlich aus dem angefochtenen Urteil und den massgebenden Prozessakten Folgendes: 
 
- Der Beschwerdeführers reiste am 3. Dezember 2017 ohne die für die Einreise und den Aufenthalt notwendigen Papiere in die Schweiz ein (oben E. 1). 
- Am 11. Mai 2018 wurde er verhaftet. 
- Am 12. Mai 2018 bestrafte ihn die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland wegen mehrfacher rechtswidriger Einreise und mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts mit 120 Tagen Freiheitsstrafe (1 Tag durch Haft erstanden). 
- Am 11. Juli 2018 ersuchte er um Erteilung der Aufenthaltsbewilligung. 
- Am 7. August 2018 verurteilte ihn das Bezirksgericht Winterthur wegen mehrfacher rechtswidriger Einreise und mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts zu 6 Monaten Freiheitsstrafe unbedingt (1 Tag durch Haft erstanden). 
- Am 4. September 2018 wurde er mit Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zürich per 10. September 2018 aus dem vorzeitigen Strafvollzug (vom 12. Mai bis 10. September 2018) entlassen. 
- Am 5. Februar 2019 bestätigte das Obergericht den bezirksgerichtlichen Schuldspruch vom 7. August 2018 und bestrafte ihn mit 5 Monaten Freiheitsstrafe unbedingt (wovon 123 Tage durch Haft erstanden sind). 
- Am 21. August 2019 wies das Migrationsamt das Gesuch vom 11. Juli 2018 um Erteilung der Aufenthaltsbewilligung ab und verfügte die Wegweisung mit Ausreisefrist bis 21. November 2019. 
- Am 19. November 2019 wies die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich den gegen die Wegweisung erhobenen Rekurs ab und setzte eine Ausreisefrist bis 19. Februar 2020. 
- Am 29. April 2020 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau ab. 
- Am 12. Mai 2020 setzte das Migrationsamt eine Frist zum Verlassen der Schweiz bis 12. August 2020; im Falle einer Beschwerde an das Bundesgericht mit aufschiebender Wirkung habe er die Schweiz innert zwei Monaten ab einem den Wegweisungszeitpunkt nicht abändernden Entscheid zu verlassen. 
- Am 10. Juni 2020 erhoben der Beschwerdeführer und seine Ehefrau Beschwerde beim Bundesgericht gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts; dieses erteilte der Beschwerde am 11. Juni 2020 die aufschiebende Wirkung. 
- Am 17. Dezember 2020 hob die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit Urteil 6B_701/2019 das Strafurteil des Obergerichts vom 5. Februar 2019 auf und wies die Sache zu neuer Beurteilung an dieses zurück.  
- Am 22. Dezember 2020 verfügte das Migrationsamt die Hinterlegung der Reisedokumente. 
- Am 19. Januar 2021 wies die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts die Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2020 mit Urteil 2C_484/2020 ab. Damit wurde der Wegweisungsentscheid rechtskräftig und der Beschwerdeführer hätte nach der erwähnten Verfügung des Migrationsamts vom 12. Mai 2020 innert zwei Monaten und damit bis am 19. März 2021 aus der Schweiz ausreisen müssen.  
- Am 12. Mai 2021 war der Beschwerdeführer an der strafrechtlichen Berufungsverhandlung anwesend (Neubeurteilung; oben Sachverhalt B). Nach der Verhandlung liess ihn das Migrationsamt zwecks Anordnung der Ausschaffungshaft verhaften. 
- Am 15. Mai 2021 wies das Bezirksgericht Zürich als Zwangsmassnahmengericht den Antrag des Migrationsamts vom 14. Mai 2021 auf Bestätigung der Ausschaffungshaft ab und ordnete die umgehende Haftentlassung des Beschwerdeführers an. Es ging u.a. davon aus, der Beschwerdeführer werde die Schweiz innert kurzer Frist selbständig verlassen. Es hielt weiter fest, dieser habe am 12. Mai 2021 an der Berufungsverhandlung teilnehmen müssen, andernfalls die Berufung als zurückgezogen gegolten hätte. Offenbar habe auch das Migrationsamt seine Anwesenheit bis zu diesem Zeitpunkt geduldet, da es ihn andernfalls nicht erst nach dieser Verhandlung hätte verhaften lassen. 
- Am 17. August 2021 erhob der Beschwerdeführer die vorliegende strafrechtliche Beschwerde (oben Sachverhalt C). 
Somit bestrafte die Staatsanwaltschaft mit Strafbefehl vom 12. Mai 2018 den am 11. Mai 2018 verhafteten Beschwerdeführer mit einer unbedingten Freiheitsstrafe, die dieser gleichentags antrat und im Rahmen eines vorzeitigen viermonatigen Strafvollzugs vom 12. Mai bis 10. September 2018 verbüsste. Dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft wurde im angefochtenen Urteil (noch im Umfang von vier Monaten Freiheitsstrafe) geschützt. Der Beschwerdeführer reiste erst in Nachachtung des Entscheids des Bezirksgerichts Zürich vom 15. Mai 2021 selbständig aus der Schweiz aus. 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt wie bereits im ersten strafrechtlichen Verfahren vor Bundesgericht, das zur Rückweisung an die Vorinstanz führte (Urteil 6B_701/2019 vom 17. Dezember 2020), Art. 115 Abs. 4 AuG als verletzt. Er bringt vor, die Rückführungsrichtlinie stehe der Verurteilung und namentlich einer Freiheitsstrafe entgegen. Es sei evident, dass die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe das Rückführungsverfahren verunmögliche. Vor dem Vollzug der Freiheitsstrafe sei ein Wegweisungsverfahren und während des Vollzugs der Freiheitsstrafe ab 12. Mai 2018 bis 10. September 2018 sei ein Rückkehrverfahren hängig gewesen, das während des Strafvollzugs gelaufen sei. Das Migrationsamt habe seinen Aufenthalt toleriert, obwohl eine Wegweisung objektiv möglich gewesen sei. Die Vorinstanz hätte das Strafverfahren unabhängig von der Richtlinie nach Art. 115 Abs. 5 AIG als lex mitior einstellen müssen. Die Bestrafung verletze Art. 115 Abs. 4 AuG (Beschwerde Ziff. 62, 66 f.).  
 
3.2. Die Vorinstanz erwägt in rechtlicher Hinsicht, auf die Verhängung und den Vollzug einer Freiheitsstrafe sei zu verzichten, wenn wegen illegalen Aufenthalts ein Wegweisungsentscheid ergangen sei und die erforderlichen Entfernungsmassnahmen noch nicht ergriffen worden seien (BGE 143 IV 249 E. 1.9). Auch die illegale Einreise falle unter die Richtlinie (Urteil 6B_701/2019 vom 17. Dezember 2020 E. 1.4.2). Eine Geldstrafe sei zulässig. Somit stehe die Richtlinie einer Bestrafung gestützt auf Art. 115 AuG nicht grundsätzlich entgegen (Urteil S. 13). Im vorliegenden Fall sei das Wegweisungsverfahren durch das strafrechtliche Verfahren in keiner Weise behindert oder verzögert, sondern ordnungsgemäss weitergeführt worden. Die Richtlinie sei nicht verletzt worden und werde auch heute nicht verletzt, da kein erneuter Freiheitsentzug erfolge. Das Strafverfahren sei entgegen der Verteidigung nicht einzustellen (Urteil S. 13 f.).  
 
4.  
 
4.1. Gemäss der bis am 31. Dezember 2018 geltenden Bestimmung von Art. 115 Abs. 4 AuG konnte von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung bei rechtswidrig ein- oder ausgereisten Ausländern abgesehen werden, sofern sie sofort ausgeschafft werden. Das ermöglichte im Sinne eines fakultativen Opportunitätsprinzips den Verzicht auf Strafverfolgung oder Bestrafung.  
Der am 1. Januar 2019 novelliert in Kraft gesetzte Art. 115 Abs. 5 AIG sieht den Verzicht auf Strafverfolgung und Bestrafung vor, "wenn eine Strafe in Aussicht [steht], deren Verhängung oder Vollzug dem unmittelbar bevorstehenden Vollzug einer rechtskräftigen Weg- oder Ausweisung entgegensteht". Gemäss Art. 126 Abs. 2 AIG richtet sich das "Verfahren" nach dem neuen Recht. Gemäss Art. 126 Abs. 4 AIG sind die "Strafbestimmungen" des AuG anzuwenden, sofern sie für den Täter milder sind. 
 
4.2. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass bei der Neubeurteilung grundsätzlich das AIG massgebend war. Indessen nimmt die Vorinstanz an, "materiell" habe sich für das vorliegende Verfahren nichts geändert, weshalb weiterhin die Bestimmungen des AuG anwendbar seien (mit Hinweis auf Art. 126 Abs. 4 AIG), wovon auch die Verteidigung ausgehe (Urteil S. 10).  
Ob dies zutrifft und ob Art. 115 Abs. 4 AuG oder Art. 115 Abs. 5 AIG zu prüfen sind, kann hier offengelassen werden. Denn im strafrechtlich begründeten Aus- und Wegweisungsverfahren war bereits bisher das Schengener Rückführungsverfahren anzuwenden (Urteil 6B_173/2013 vom 19. August 2013 E. 1.4), unbesehen der Tatsache, dass Art. 115 Abs. 4 AuG novelliert wurde, um das Gesetz mit der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Übereinstimmung zu bringen (BGE 147 IV 232 E. 1.2; Urteile 6B_669/2021 vom 11. April 2022 E. 4.1; 6B_1365/2019 vom 11. März 2020 E. 2.3.3). Die Gesetzesänderung beeinflusst den Ausgang des Verfahrens nicht.  
 
5.  
 
5.1. Die Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EU) bezieht sich auf die Rückführung von Drittstaatsangehörigen. Sie hat nicht zum Ziel, die nationalen Rechtsvorschriften über den Aufenthalt von Ausländern insgesamt zu harmonisieren. Die Richtlinie steht einer Inhaftierung zur Ermittlung, ob der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen illegal ist oder nicht, nicht entgegen. Die Behörden müssen "umgehend" entscheiden und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Verhängung und Vollstreckung einer Freiheitsstrafe während des von der Richtlinie vorgesehenen Rückkehrverfahrens trägt nicht zur Verwirklichung der mit diesem Verfahren verfolgten Abschiebung bei. Die nationalen Vorschriften dürfen nicht geeignet sein, die Anwendung der Richtlinie zu gefährden (Urteil des EuGH vom 6. Dezember 2011, C-329/11, Alexandre Achughbabian, Rn. 28 f., 31, 37, 43). Daher dürfen die Mitgliedstaaten nicht allein wegen des Umstands einer illegalen Einreise, die zu einem illegalen Aufenthalt führt, die Strafhaft von Drittstaatsangehörigen zulassen, für die das von der Richtlinie geschaffene Rückkehrverfahren noch nicht abgeschlossen wurde, da eine solche Strafhaft geeignet ist, die Anwendung dieses Verfahrens scheitern zu lassen und die Rückführung zu verzögern, und somit die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie beeinträchtigt (Urteil des EuGH vom 7. Juni 2016, C-47/15, Sélina Affum, Rn. 63, 94 Ziff. 2).  
 
5.2. Die Rückführungsrichtlinie statuiert das Prinzip der Priorität der Rückführung eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen (BGE 147 IV 232 E. 1.2 mit Hinweisen). Die Richtlinie hindert zwar nicht, den illegalen Aufenthalt unter Strafe zu stellen; weil jedoch die dort vorgesehenen Verfahrensschritte nicht vereitelt werden dürfen und die Rückführung durch Strafverfahren nicht verzögert werden soll, geht das Rückführungsverfahren der Bestrafung vor. Erst wenn auch die Anwendung von Zwangsmassnahmen die Rückführung nicht ermöglicht hat, ist eine Bestrafung wegen illegalen Aufenthalts zulässig (ANDREAS ZÜND, in: Marc Spescha u.a., Migrationsrecht, 5. Aufl. 2019, N. 12 zu Art. 115 AIG). Der von der Richtlinie stipulierte Vorrang des Rückführungsverfahrens gilt auch, wenn der (illegale) Aufenthalt des Ausländers den Behörden bis dahin unbekannt war und deshalb bis zu seiner Ergreifung kein Rückführungsverfahren vorgenommen werden konnte (HANS MAURER, in: Andreas Donatsch [Hrsg.], StGB/JStG, Kommentar, 21. Aufl. 2022, N. 31 zu Art. 115 AIG). Diese Rechtsprechung zusammenfassend hielt das Bundesgericht im Rückweisungsurteil fest: Den Mitgliedstaaten ist es nicht erlaubt, allein wegen des Umstands einer illegalen Einreise, die zu einem illegalen Aufenthalt führt, Strafhaft von Drittstaatsangehörigen zuzulassen, für die das von der Richtlinie geschaffene Rückführungsverfahren noch nicht abgeschlossen wurde (Urteil 6B_701/2019 vom 17. Dezember 2020 E. 1.4.2 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH).  
 
5.3. Nach der Rechtsprechung verlangt eine rückführungsrichtlinienkonforme Anwendung von Art. 115 Abs. 1 lit. a und lit. b AuG/AIG, auf die Verhängung und den Vollzug einer Freiheitsstrafe zu verzichten, wenn gegen die Person mit illegalem Aufenthalt ein Wegweisungsentscheid ergangen ist und die erforderlichen Entfernungsmassnahmen, zu denen Zwangsmassnahmen im Sinne von Art. 8 der Richtlinie gehören, noch nicht ergriffen wurden (BGE 147 IV 232 E. 1.4, 1.7; Urteil 6B_427/2020 vom 1. November 2021 E. 1.3.2). Dies gilt indes ebenso, wenn noch kein Wegweisungsentscheid ergangen ist; eine Freiheitsstrafe ist mit der Richtlinie nur unter der Bedingung vereinbar, dass die Person einer Zwangsmassnahme im Sinne der Richtlinie unterworfen wurde (BGE 147 IV 232 E. 1.2: "La Directive 2008/115 pose le principe de la priorité des mesures de refoulement sur le prononcé d'une peine privative de liberté"; Urteil 6B_1365/2019 vom 11. März 2020 E. 2.3.1). Soweit ein Freiheitsentzug nach der europäischen Rechtslage grundsätzlich ausgeschlossen ist, wird damit nicht schon jede Sanktionierung einer beharrlichen Renitenz ausgeschlossen und der durch nicht kooperierendes Verhalten fortgesetzte illegale Aufenthalt mittelbar begünstigt. Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG/AIG droht neben Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr alternativ Geldstrafe an. Die Verhängung einer Geldstrafe ist mit der Richtlinie nicht unvereinbar, soweit sie die Abschiebung nicht verzögert (BGE 143 IV 249 E. 1.9; bestätigt in BGE 145 IV 197 E. 1.4.3; Urteile 6B_427/2020 vom 1. November 2021 E. 1.5; 6B_438/2020 vom 9. Februar 2021 E. 1.4).  
 
6.  
 
6.1. Die Vorinstanz stellt bei ihrer Neubeurteilung für das Bundesgericht verbindlich fest (Art. 105 Abs. 1 BGG), dass das eingeleitete migrationsrechtliche Verfahren im Gange war, als der Beschwerdeführer aus dem Strafvollzug entlassen wurde, und folgert, somit sei das Wegweisungsverfahren durch das strafrechtliche Verfahren in keiner Weise behindert oder verzögert worden (oben E. 3.2).  
 
6.2. Beim "eingeleiteten migrationsrechtlichen Verfahren" handelt es sich um das vom Beschwerdeführer mit Gesuch vom 11. Juli 2018 erwirkte Verfahren um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (verweigert vom Migrationsamt am 21. August 2019). Dieses Verfahren wurde mit dem bundesgerichtlichen Urteil 2C_484/2020 vom 19. Januar 2021 und in der Folge mit dem Entscheid des Bezirksgerichts vom 15. Mai 2021 betreffend Entlassung aus der Ausschaffungshaft abgeschlossen (oben E. 2).  
Neben diesem verwaltungsrechtlichen Verfahren läuft seit der Verhaftung vom 11. Mai 2018 und dem Strafbefehl vom 12. Mai 2018 das strafrechtliche Verfahren bis heute. Soweit davon auszugehen wäre, dass das verwaltungsrechtliche Verfahren formell nicht erst mit der Einreichung des Gesuchs vom 11. Juli 2018 eingeleitet wurde (vgl. oben E. 3.1), änderte das nichts, da mit der Verhaftung direkt das migrationsrechtliche Verfahren hätte eingeleitet werden müssen. 
 
6.3. In casu wurden der Strafbefehl vom 12. Mai 2018 erlassen und die Freiheitsstrafe im vorzeitigen Strafvollzug vollzogen.  
Dieses strafrechtliche Vorgehen der Staatsanwaltschaft verletzte die Priorität oder den Vorrang der Rückführungsrichtlinie (oben E. 5.2, 5.3). Im Vorfeld des Strafbefehls waren weder Zwangsmassnahmen im Sinne der Rückführungsrichtlinie angeordnet worden noch war die Ausschaffung gescheitert. Die Vorinstanz nimmt dagegen an, das Wegweisungsverfahren sei durch das strafrechtliche Verfahren in keiner Weise behindert oder verzögert worden, da der Beschwerdeführer am 10. September 2018 aus dem vorzeitigen Strafvollzug entlassen worden sei und das Wegweisungsverfahren noch angedauert habe (oben E. 6.1). Dieses dauerte letztlich bis zum Entscheid des Bezirksgerichts vom 15. Mai 2021 betreffend die Ausschaffungshaft. Diese Argumentation trägt der ratio legis der Prioritätsordnung der Rückführungsrichtlinie keine Rechnung. Es ist mit ihr nicht vereinbar, gleichsam im "Schatten" des Wegweisungsverfahrens ein Strafverfahren durchzuführen. Auch in tatsächlicher Hinsicht hat diese Argumentation keinen Bestand. Wie sich bereits dem Entscheid des Bezirksgerichts vom 15. Mai 2021 entnehmen lässt, hat das Migrationsamt die Teilnahme des Beschwerdeführers an der Berufungsverhandlung abgewartet und seine Anwesenheit bis zu diesem Zeitpunkt geduldet (oben E. 2). Die Durchführung eines Strafverfahrens lässt sich nicht damit begründen oder rechtfertigen, dass gleichzeitig verwaltungs- oder verwaltungsgerichtliche Verfahren noch pendent oder nicht rechtskräftig abgeschlossen sind. 
Die im bundesgerichtlichen Rückweisungsurteil 6B_701/2019 vom 17. Dezember 2020 E. 1.4.4 aufgeworfene zentrale Fragestellung zur "Rechtmässigkeit der verhängten und vollstreckten Freiheitsstrafe" ist somit dahingehend zu beantworten, dass die Verhängung und Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht richtlinienkonform erging. Vielmehr wäre unmittelbar mit der Verhaftung das Rückführungsverfahren einzuleiten gewesen: Die Behörden müssen "umgehend" entscheiden und eine Rückkehrentscheidung erlassen (oben E. 5.1). 
 
6.4. Obwohl im Verlaufe des Verfahrens offenbar nicht in Betracht gezogen, ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer von Gesetzes wegen (Art. 17 Abs. 1 AIG) grundsätzlich verpflichtet gewesen wäre, das Aufenthalts-Bewilligungsverfahren im Ausland abzuwarten (MARC SPESCHA, in: Derselbe u.a., Migrationsrecht, 5. Aufl. 2019, N. 1 zu Art. 17 AIG).  
 
6.5. Nach dem Gesagten verletzt bereits die unmittelbare Einleitung des Strafverfahrens mit dem Strafbefehl vom 12. Mai 2018 die Priorität des Rückführungsverfahrens. Nicht rechtmässig war und bleibt folglich die Ausfällung der Freiheitsstrafe und ebenso wenig kommt eine Geldstrafe (oben E. 5.3) in Betracht. Jedenfalls geht die Vorinstanz gestützt auf ihre für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen davon aus, dass der Beschwerdeführer sie auch heute nicht bezahlen könnte. Eine Geldstrafe ist gemäss Vorinstanz ausgeschlossen (Urteil S. 17). Dieser Punkt ist vor Bundesgericht unangefochten geblieben.  
 
7.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, das Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz ist anzuweisen, das Strafverfahren einzustellen und die Kosten- und Entschädigungsfolgen neu zu beurteilen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist gegenstandslos geworden. Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich ist zu verpflichten, dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG), die bei Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege mit nachgewiesener Bedürftigkeit praxisgemäss in analoger Anwendung von Art. 64 Abs. 2 BGG dem Anwalt zuzusprechen ist (Urteile 6B_391/2020 vom 12. August 2020 E. 4; 6B_714/2018 vom 14. August 2018 E. 6). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12. Mai 2021 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Zürich wird verpflichtet, Rechtsanwalt Jean Louis Scenini eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 29. November 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Briw