7B_174/2022 23.10.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_174/2022  
 
 
Urteil vom 23. Oktober 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Kölz, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Alexander Knauss, 
c/o Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Ausstand, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des 
Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, 
vom 7. September 2022 (UA220026-O/U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen mehrfacher Verleumdung und weiteren Delikten. Mit Eingaben vom 18., 29. und 30. Mai 2022 sowie vom 1. und 8. Juni 2022 ersuchte A.________ um Ausstand von Staatsanwalt Alexander Knauss. Dieser leitete die Ausstandsgesuche an die III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich weiter und beantragte dabei jeweils sinngemäss deren Abweisung. 
 
B.  
Die III. Strafkammer verzichtete auf die Durchführung eines Schriftenwechsels und wies sämtliche Ausstandsgesuche mit Beschluss vom 7. September 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 13. September 2022 an das Bundesgericht beantragt A.________, der Beschluss vom 7. September 2022 sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung zurückzuweisen. Seine Ausstandsgesuche seien von "unabhängigen Richtern" zu beurteilen. 
Der Beschwerdeführer hat seine Beschwerde mit Eingaben vom 14. und 21. September 2022 ergänzt und sinngemäss um Durchführung einer öffentlichen Verhandlung ersucht. Der Beschwerdegegner und die Vorinstanz haben sich nicht zur Sache vernehmen lassen. 
Mit Eingabe vom 22. Oktober 2022 hat der Beschwerdeführer den Ausstand von Bundesrichter François Chaix, Bundesrichterin Monique Jametti und Bundesrichter Thomas Müller beantragt, da er diesen eine E-Mail mit einer Vulva im Anhang geschickt und sich dann wegen Pornographie im Sinne von Art. 197 Abs. 2 StGB selber angezeigt habe, wobei die genannte Richterin und die genannten Richter geschädigte Personen seien. 
Am 19. Juli 2023 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die Beschwerde aufgrund einer internen Reorganisation des Bundesgerichts neu durch die auf den 1. Juli 2023 geschaffene II. strafrechtliche Abteilung behandelt wird. Am 8. August und 16. September 2023 hat er weitere Eingaben getätigt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Aufgrund des - dem Beschwerdeführer mitgeteilten - Abteilungswechsels wird die Beschwerde durch die II. strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts behandelt, der die vom Ausstandsbegehren betroffenen Richterin und Richter nicht angehören. Mit Blick darauf wird sein Begehren gegenstandslos.  
 
1.2. Das Verfahren vor Bundesgericht ist im Grundsatz schriftlich; eine öffentliche Parteiverhandlung findet nur unter ausserordentlichen prozessualen Umständen statt (vgl. Art. 57 BGG). Ein entsprechender Anspruch der Parteien besteht grundsätzlich nicht (Urteil 6B_358/2023 vom 16. Juni 2023 E. 1.1 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer begründet seinen Antrag um Durchführung einer öffentlichen Verhandlung nicht, und es ist auch nicht ersichtlich, dass eine solche angezeigt wäre.  
 
2.  
 
2.1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob auf die Beschwerde eingetreten werden kann (Art. 29 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 i.V.m. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 148 IV 275 E. 1.1; 148 I 160 E. 1; je mit Hinweis). Die Sachurteilsvoraussetzungen sind in der Beschwerdeschrift ausreichend zu substanziieren, soweit sie nicht offensichtlich erfüllt erscheinen (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 148 IV 155 E. 1.1; 141 IV 289 E. 1.3; je mit Hinweisen).  
 
2.2. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen, selbstständig anfechtbaren Zwischenentscheid über Ausstandsbegehren in einem Strafverfahren. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht grundsätzlich offen (vgl. Art. 78 ff. und Art. 92 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer war am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und ist als Adressat des angefochtenen Entscheids zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen einzutreten.  
 
2.3. In seiner mit "Staatshaftung" überschriebenen Eingabe vom 8. August 2023 macht der Beschwerdeführer geltend, da nach fast einem Jahr noch kein Urteil gefällt worden sei, sei ein Schaden eingetreten, der ermittelt werden müsse. Ein solches Staatshaftungsbegehren ist jedoch nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids und kann im vorliegenden Verfahren nicht erhoben werden (Art. 99 Abs. 2 BGG).  
 
2.4. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die am angefochtenen Beschluss mitwirkenden Richter bzw. Richterinnen und der mitwirkende Gerichtsschreiber seien befangen, hätte er bereits im kantonalen Verfahren ein entsprechendes Ausstandsgesuch stellen müssen (Art. 58 Abs. 1 StPO). Die vor Bundesgericht erstmals erhobene Rüge ist unzulässig (vgl. Art. 80 Abs. 1 und 99 Abs. 1 BGG), zumal der Beschwerdeverfahren nicht geltend macht, er habe den von ihm angerufenen Ausstandsgrund erst nach der Fällung des letztinstanzlichen kantonalen Urteils, aber vor Ablauf der Beschwerdefrist beim Bundesgericht entdeckt (vgl. zu dieser Konstellation BGE 147 I 173 E. 4 mit weiteren Hinweisen), sondern im Gegenteil ausführt, es sei "absolut klar", dass die betroffenen Gerichtspersonen keine Ausstandsgesuche beurteilen könnten, bei denen der Präsident der III. Strafkammer betroffene Person sei.  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs. Er bringt vor, die Vorinstanz habe ihren Entscheid gefällt, ohne ihm oder seinem notwendigen Verteidiger vorgängig die Stellungnahmen des Beschwerdegegners zuzustellen und ihm Gelegenheit einzuräumen, zu diesen Stellung zu nehmen.  
 
3.2. Will eine Partei den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen, so hat sie nach Art. 58 Abs. 1 StPO sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch bei der Verfahrensleitung zu stellen; die den Ausstand begründenden Tatsachen sind dabei glaubhaft zu machen. Gemäss Art. 58 Abs. 2 StPO nimmt die betroffene Person Stellung zum Ausstandsgesuch. Diese Stellungnahme dient der Sachaufklärung und der Gewährung des rechtlichen Gehörs der betroffenen sowie der gesuchstellenden Person (vgl. Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO). Die Strafbehörden müssen deshalb auch sicherstellen, dass die gesuchstellende Person Gelegenheit hat, sich zu einer Stellungnahme der betroffenen Person zu äussern (BGE 138 IV 222 E. 2.1; Urteile 1B_161/2022 vom 2. Juni 2022 E. 2.1; 1B_649/2020 vom 10. Februar 2021 E. 2.1 mit Hinweisen).  
 
3.3. Die Rüge erweist sich als begründet: Nach den Vorakten nahm der Beschwerdegegner mit Eingaben vom 19. und 31. Mai sowie 2. und 9. Juni 2022 Stellung zu den verschiedenen Ausstandsgesuchen des Beschwerdeführers. Soweit aus dem angefochtenen Entscheid und den Vorakten ersichtlich, hat weder die Staatsanwaltschaft noch die Vorinstanz diese Stellungnahmen dem Beschwerdeführer zugestellt. Dieser erhielt demnach keine Gelegenheit, sich dazu zu äussern, was, wie er zurecht geltend macht, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.  
 
3.4. Nach der Rechtsprechung führt diese Verletzung des rechtlichen Gehörs ungeachtet der materiellen Begründetheit der Beschwerde zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 144 IV 302 E. 3.1; 144 I 11 E. 5.3; je mit Hinweis). Damit erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers einzugehen.  
 
4.  
Nach dem Vorangegangenen ist die Beschwerde gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird dem Beschwerdeführer sämtliche Stellungnahmen des Beschwerdegegners zustellen müssen und nach Gewährung seines rechtlichen Gehörs neu über seine Ausstandsgesuche zu befinden haben. 
Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der obsiegende Beschwerdeführer ist im bundesgerichtlichen Verfahren nicht anwaltlich vertreten, weshalb keine Parteientschädigung zuzusprechen ist (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird. Der Beschluss der III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. September 2022 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern