9C_347/2023 13.02.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_347/2023  
 
 
Urteil vom 13. Februar 2024  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Beusch, Bundesrichterin Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiber Businger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch MLaw Franziska Ammann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Amt für Militär und Zivilschutz, Abteilung Wehrpflichtersatzabgabe, Burgstrasse 50, 9000 St. Gallen, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Wehrpflichtersatz; Ersatzjahr 2019, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 8. April 2023 (B 2022/214). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geb. 1984, erhielt im Jahr 2016 das Schweizer Bürgerrecht. Das Amt für Militär und Zivilschutz des Kantons St. Gallen veranlagte ihn am 1. Oktober 2021 für das Jahr 2018 mit einer Wehrpflichtersatzabgabe von Fr. 3'423.25 und für das Jahr 2019 mit einer solchen von Fr. 4'851.25. Dagegen erhob A.________ Einsprache; zudem stellte er einen Antrag auf Absolvierung der Rekrutenschule. Das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) lehnte den Antrag am 10. November 2021 ab. In der Folge wies das Amt für Militär und Zivilschutz die Einsprache am 6. Dezember 2021 ab. 
 
B.  
Die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde von A.________ hiess die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen am 30. November 2022 gut; sie stellte fest, dass A.________ für die Jahre 2018 und 2019 keine Wehrpflichtersatzabgabe schulde. Dagegen wandte sich das Amt für Militär und Zivilschutz in Bezug auf das Ersatzjahr 2019 an das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen; dieses hiess die Beschwerde am 8. April 2023 gut und stellte fest, dass A.________ für das Jahr 2019 Wehrpflichtersatz schulde. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 19. Mai 2023 beantragt A.________ dem Bundesgericht, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sowie die Veranlagungsverfügung vom 1. Oktober 2021 seien aufzuheben. 
Das Verwaltungsgericht und die Eidgenössische Steuerverwaltung schliessen auf Abweisung der Beschwerde. A.________ repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Ein Ausschlussgrund liegt nicht vor (Art. 83 BGG e contrario) und der legitimierte Beschwerdeführer (Art. 89 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 31 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 12. Juni 1959 über die Wehrpflichtersatzabgabe [WPEG; SR 661]) hat die Beschwerde form- und fristgerecht eingereicht (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Anfechtungsobjekt des vorliegenden Verfahrens bildet einzig der Entscheid des Verwaltungsgerichts, der die Entscheide des Amts für Militär und Zivilschutz bzw. der Verwaltungsrekurskommission ersetzt (sog. Devolutiveffekt). Soweit der Beschwerdeführer auch die Aufhebung der Veranlagungsverfügung vom 1. Oktober 2021 beantragt, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Immerhin gelten Entscheide unterer Instanzen als inhaltlich mitangefochten (vgl. Urteil 9C_634/2022 vom 19. April 2023 E. 1.3).  
 
2.  
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer für das Ersatzjahr 2019 Wehrpflichtersatz schuldet. 
 
2.1. Gemäss Art. 59 Abs. 1 BV ist jeder Schweizer verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden nach Art. 59 Abs. 3 BV eine Abgabe. Damit soll die Gleichbehandlung von Wehrpflichtigen, die Militär- oder Zivildienst leisten, und hiervon befreiten Wehrpflichtigen gewährleistet werden (vgl. Urteil 2C_339/2021 vom 4. Mai 2022 E. 3.1 m.H.).  
Nach Art. 1 WPEG haben Schweizer Bürger, die ihre Wehrpflicht nicht oder nur teilweise durch persönliche Dienstleistung (Militär- oder Zivildienst) erfüllen, einen Ersatz in Geld zu leisten. Die Abgabe wird jährlich (Art. 25 Abs. 1 WPEG) von den Ersatzpflichtigen, die im Ersatzjahr die Dienstpflicht nicht erfüllt haben (Art. 2 und 8 WPEG), deren Ersatzpflicht noch andauert (Art. 3 WPEG) und die nicht von der Ersatzpflicht befreit sind (Art. 4 und 4a WPEG), auf dem taxpflichtigen Einkommen erhoben (Art. 11 und 12 WPEG). Sie beträgt 3 Franken je 100 Franken des taxpflichtigen Einkommens, mindestens aber 400 Franken (Art. 13 Abs. 1 WPEG). 
 
2.2. Das WPEG wurde mit Bundesgesetz vom 16. März 2018 geändert. Die Gesetzesänderung trat am 1. Januar 2019 in Kraft. Sie betraf insbesondere die Dauer der Ersatzpflicht, die in Art. 3 WPEG geregelt ist.  
Nach Art. 3 WPEG in der Fassung vom 16. März 2018 beginnt die Ersatzpflicht frühestens am Anfang des Jahres, in dem der Wehrpflichtige das 19. Altersjahr vollendet. Sie dauert längstens bis zum Ende des Jahres, in dem er das 37. Altersjahr vollendet (Abs. 1). Für Wehrpflichtige, die während mehr als sechs Monaten weder in einer Formation der Armee eingeteilt noch der Zivildienstpflicht unterstellt sind und die keinen Zivilschutzdienst leisten, beginnt die Ersatzpflicht im Jahr, das auf die Rekrutierung folgt. Sie dauert elf Jahre (Abs. 2). 
Nach altem Recht (Art. 3 Abs. 1 aWPEG; AS 2010 6015, 6031 f.; in Kraft bis am 31. Dezember 2018) begann die Ersatzpflicht am Anfang des Jahres, in dem der Wehrpflichtige das 20. Altersjahr vollendet. Sie dauerte für nicht in einer Formation der Armee eingeteilte und nicht der Zivildienstpflicht unterstehende Wehrpflichtige bis zum Ende des Jahres, in dem sie das 30. Altersjahr vollenden (Art. 3 Abs. 2 lit. a aWPEG). Für in einer Formation der Armee eingeteilte oder der Zivildienstpflicht unterstehende Wehrpflichtige dauerte sie längstens bis zum Ende des Jahres, in dem sie das 34. Altersjahr vollenden (Art. 3 Abs. 2 lit. b aWPEG). 
 
2.3. Die Vorinstanz verneinte eine (unzulässige) Rückwirkung durch die Anwendung des neuen Rechts auf das Ersatzjahr 2019. Es liege kein in der Vergangenheit abgeschlossener Sachverhalt vor; vielmehr sei jährlich wiederkehrend zu prüfen, ob die einzelnen Aspekte der Ersatzabgabe im entsprechenden Ersatzjahr erfüllt seien. Für das Ersatzjahr 2019 sei auf die neue Fassung des WPEG abzustellen. Unbeachtlich sei, dass der Beschwerdeführer nach altem Recht keine Wehrpflichtersatzabgabe hätte leisten müssen; relevant sei einzig, ob - mit Ausnahme des Beginns der Ersatzpflicht - die gemäss WPEG massgebenden Tatsachen (Alter, Nichteinteilung in eine Formation der Armee etc.) im Jahr 2019 bestanden hätten. Dies sei beim Beschwerdeführer der Fall gewesen (vgl. E. 2.6.3 des angefochtenen Urteils).  
Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, er sei zum Zeitpunkt seiner Einbürgerung nicht aus der Ersatzabgabepflicht entlassen worden; vielmehr habe seine solche von Anfang an gar nie bestanden. Seine Ersatzpflicht sei am Ende des Jahres, in dem er das 30. Altersjahr vollendet habe, endgültig weggefallen; er sei aber erst mit 32 Jahren eingebürgert worden. Nach altem Recht sei er nicht stellungspflichtig gewesen und habe die Altersgrenze für die Militärdienstpflicht überschritten. Bei seiner Ersatzpflicht handle es sich folglich um einen abgeschlossenen Sachverhalt. Deshalb stelle die Anwendung des neuen Rechts eine unzulässige echte Rückwirkung dar und verstosse gegen den Vertrauensschutz. Der Gesetzgeber habe es unterlassen, die Ersatzpflicht für Neubürger explizit wieder aufleben zu lassen. 
 
2.4. Das Bundesgericht hat im Urteil 2C_1005/2021 vom 27. April 2022 (bestätigt mit Urteil 2C_339/2021 vom 4. Mai 2022) erkannt, dass die Anwendung des neuen Rechts auf frühere Ersatzjahre (in casu das Ersatzjahr 2018) eine unzulässige Rückwirkung darstellt. Die Ersatzpflicht knüpft nicht an einen Dauersachverhalt an, sondern - mit Ausnahme des Beginns der Ersatzpflicht - an Tatsachen und Zustände, die sich im Ersatzjahr ereignen bzw. im Ersatzjahr bestehen und von diesem zeitlich eingegrenzt werden. Die Ersatzjahre vor Inkrafttreten des neuen Rechts fallen nicht in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Rechts, sondern unterstehen altem Recht (vgl. E. 5.2 f.). Im vorliegenden Fall geht es indessen um das Ersatzjahr 2019 und damit um ein Jahr, das zeitlich in den Geltungsbereich des neuen Rechts fällt.  
 
2.5. Mit der Anwendung des neuen Rechts auf nachfolgende Ersatzjahre (in casu das Ersatzjahr 2019) hat sich das Bundesgericht im Urteil 9C_648/2022 vom 9. Januar 2024 befasst. Es bestätigte die vorher zitierte Rechtsprechung, wonach die Wehrpflichtersatzabgabe nicht die Merkmale eines Dauersachverhalts aufweist. Die entscheidenden Elemente für die Abgabepflicht sind die (Nicht-) Einteilung in eine Formation der Armee, die (Nicht-) Unterstellung unter die Zivildienstpflicht und die (Nicht-) Leistung von Militär- oder Zivildienst im Ersatzjahr (Art. 2 Abs. 1 WPEG); massgebend ist weiter das Alter der abgabepflichtigen Person im Ersatzjahr (Art. 3 Abs. 1 WPEG) und das Datum des Beginns der Ersatzpflicht (Art. 3 Abs. 2-5 WPEG). Mit Ausnahme des Beginns der Ersatzpflicht stellen die anderen Elemente Tatsachen bzw. Zustände dar, die im Ersatzjahr eingetreten sind bzw. bestehen und durch dieses zeitlich begrenzt werden. Insoweit bewirkt die Anwendung des neuen Rechts auf nachfolgende Ersatzjahre keine (unzulässige) Rückwirkung; es wird gerade nicht an einen Sachverhalt angeknüpft, der sich unter altem Recht ereignet hat. Ob die Ersatzpflicht mit Erreichen der altrechtlichen Altersgrenze geendet hatte und durch das neue Recht "wiederauflebt", spielt deshalb keine Rolle; massgebend ist das Alter des Betroffenen und die Altersgrenze im entsprechenden Ersatzjahr. Folglich ist für jedes Ersatzjahr gesondert zu beurteilen, ob die Voraussetzungen der Ersatzpflicht nach dem für das jeweilige Jahr geltenden Recht vorliegen (vgl. Urteil 9C_648/2022 vom 9. Januar 2024 E. 7, zur Publikation vorgesehen; bestätigt mit Urteil 9C_153/2023 vom 25. Januar 2024 E. 3.5 f.).  
 
2.6. Vor diesem Hintergrund spielt es keine Rolle, dass der Beschwerdeführer angesichts seines Alters von 32 Jahren bei der Einbürgerung unter altem Recht gar nie ersatzpflichtig war. Entscheidend ist, ob er die Voraussetzungen für die Ersatzpflicht nach dem für das Ersatzjahr 2019 geltenden Recht erfüllt. Dabei kann keine Rede davon sein, die Ersatzpflicht habe für den Beschwerdeführer gar nie zu laufen begonnen und gelte deshalb als erfüllt. Die Ersatzpflicht des Beschwerdeführers begann mit Inkrafttreten des neuen Rechts am 1. Januar 2019, nachdem er unter die neu geltende Altersgrenze von 37 Jahren nach Art. 3 Abs. 1 WPEG fiel. Unbestritten ist weiter, dass der Beschwerdeführer im hier streitigen Ersatzjahr 2019 weder in eine Formation der Armee eingeteilt noch zivildienstpflichtig war und weder Militär- noch Zivildienst geleistet hat. Schliesslich hatte der Beschwerdeführer im Jahr 2019 die maximal elfjährige Ersatzpflicht nach Art. 3 Abs. 2 WPEG noch nicht erfüllt (vgl. E. 2.6.3 des angefochtenen Urteils). Damit ist er für das Jahr 2019 ersatzpflichtig. Ein Verstoss gegen Art. 127 Abs. 1 BV (gesetzliche Grundlage im Abgaberecht) liegt nicht vor.  
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liegt mangels einer Rückwirkung auch kein Verstoss gegen den Grundsatz von Treu und Glauben bzw. das Prinzip des Vertrauensschutzes (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV; vgl. dazu BGE 146 I 105 E. 5.1.1) vor. Wer nach geltendem Recht für eine periodische Abgabe nicht abgabepflichtig ist, kann nicht darauf vertrauen, dass die rechtlichen Grundlagen unverändert bleiben und er deshalb auch in Zukunft nicht unter die Abgabepflicht fallen werde. 
 
2.7. Anzufügen ist, dass der Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht geltend macht, er habe angesichts seines Alters keine Möglichkeit gehabt, seine Dienstpflicht zu erfüllen, und werde deshalb im Vergleich zu jüngeren Wehrpflichtigen diskriminiert (Art. 8 Abs. 2 BV). Vor dem Hintergrund, dass das Bundesgericht die Verletzung von Grundrechten nur insofern prüft, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG), ist darauf nicht weiter einzugehen.  
Dies führt zur Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
3.  
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 13. Februar 2024 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Businger