2C_253/2023 21.08.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_253/2023  
 
 
Urteil vom 21. August 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichter Hartmann, 
Gerichtsschreiber Ronc. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Felice Grella, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, 
Berninastrasse 45, 8090 Zürich, 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Neumühlequai 10, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum erwerbslosen Aufenthalt, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2. Abteilung, vom 15. März 2023 (VB.2023.00050). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (geb. 1943), von Brasilien, hielt sich wiederholt ferienhalber in der Schweiz auf, letztmals bis zum 20. Februar 2022. Am 23. März 2022 ersuchte sie bei der Schweizer Vertretung in Rio de Janeiro um die Erteilung eines Visums für den langfristigen Aufenthalt und zum Verbleib bei ihrer angeblichen Schweizer Enkelin B.________. In der Folge stellte sich heraus, dass A.________ nicht die Grossmutter von B.________ ist, sondern lediglich deren Grossvater kurz vor dessen Tod geheiratet hatte. Am 29. Juni 2022 reiste A.________ in Unterschreitung der 180-tägigen Sperrfrist für eine visumsfreie Wiedereinreise eigenmächtig in die Schweiz ein. 
 
B.  
Das Migrationsamt des Kantons Zürich wies am 22. September 2022 das Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ab, unter Ansetzung einer Ausreisepflicht bis zum 22. November 2022. Die dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (Rekursentscheid der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom 9. Dezember 2022; Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. März 2023). 
 
C.  
A.________ gelangt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer Verfassungsbeschwerde ans Bundesgericht und beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich aufzuheben und das Gesuch um Familiennachzug zu bewilligen. Eventualiter ersucht sie, dass der Streitgegenstand im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen sei mit der Anweisung, den Sachverhalt rechtsgenügend abzuklären. Schliesslich ersucht A.________ um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
Die Präsidentin der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung hat der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
Eine Vernehmlassung wurde nicht eingeholt. 
Am 17. Juli 2023 reicht die Beschwerdeführerin unaufgefordert eine weitere Eingabe ein. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit (Art. 29 Abs. 1 BGG) und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (vgl. BGE 147 I 89 E. 1; 146 II 276 E. 1). 
 
1.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Für das Eintreten genügt, wenn die betroffene Person in vertretbarer Weise dartut, dass potenziell ein solcher besteht (BGE 139 I 330 E. 1.1; 136 II 177 E. 1.1); in diesem Fall bildet die Frage, ob der Familiennachzug zu bewilligen ist, Gegenstand der materiellen Beurteilung (BGE 139 I 330 E. 1.1; 137 I 284 E. 1.3).  
 
1.2. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf den Schutz des Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV. Sie macht geltend, dass sie in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zu ihren "Nichten" C.________ und B.________ in der Schweiz stehe, weshalb ihr eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen sei.  
 
1.3. Nach der Rechtsprechung bezieht sich der Schutz des Familienlebens nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK (bzw. Art. 13 BV) in erster Linie auf die Kernfamilie (Ehegatten und minderjährige Kinder); andere familiäre Beziehungen, namentlich diejenigen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, stehen nur ausnahmsweise unter dem Schutz von Art. 8 EMRK, nämlich dann, wenn ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht (BGE 144 II 1 E. 6.1; 137 I 154 E. 3.4.2; 135 I 143 E. 1.3.1 f.; Urteil des EGMR Emonet und andere gegen Schweiz vom 13. Dezember 2007 [Nr. 39051/03] § 35).  
 
1.4. Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis kann sich unabhängig vom Alter namentlich aus besonderen Betreuungs- oder Pflegebedürfnissen wie bei körperlichen oder geistigen Behinderungen und schwerwiegenden Krankheiten ergeben (Urteil 2C_682/2022 vom 29. März 2023 E. 4.2). Nach der bundesgerichtlichen Praxis soll ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern indessen nicht leichthin angenommen werden. Allein das Vorliegen eines Pflege- und Betreuungsbedürfnisses genügt nicht; erforderlich ist zusätzlich, dass die betreffende Pflege- und Betreuungsleistung unabdingbar von (anwesenheitsberechtigten) Angehörigen erbracht werden muss (Urteile 2C_682/2022 vom 29. März 2023 E. 4.2; 2C_779/2021 vom 9. Mai 2022 E. 3.2; 2C_279/2021 vom 16. November 2021 E. 4.2; 2C_396/2021 vom 27. Mai 2021 E. 3.3; 2C_757/2019 vom 21. April 2020 E. 2.2.1; 2C_401/2017 vom 26. März 2018 E. 5.3.1). Besteht kein derartiges Abhängigkeitsverhältnis, ergibt sich kein Bewilligungsanspruch gestützt auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK (Urteile 2C_682/2022 vom 29. März 2023 E. 4.2; 2C_779/2021 vom 9. Mai 2022 E. 3.2; 2C_339/2019 vom 14. November 2019 E. 3.5; 2C_867/2016 vom 30. März 2017 E. 2.2).  
 
1.5. Weder C.________ noch B.________ sind nach den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen mit der Beschwerdeführerin näher verwandt. Darüber hinaus legt die Beschwerdeführerin nicht substanziiert dar, dass zwischen ihr und C.________ oder B.________ entgegen den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht und Unterstützung ausschliesslich von ihnen geleistet werden kann. Ein Bewilligungsanspruch nach Art. 8 EMRK (bzw. Art. 13 BV) wird so nicht in vertretbarer Weise dargetan, sodass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ausgeschlossen ist.  
 
1.6. C.________ und B.________ sind - wie festgehalten - mit der Beschwerdeführerin nicht näher verwandt. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die möglicherweise bevorstehende Gesetzesrevision betreffend Art. 42 Abs. 1 und 2 AIG (Familiennachzug von Familienangehörigen von Schweizerinnen und Schweizern) beruft, kann sie daraus nicht in vertretbarer Weise einen Bewilligungsanspruch ableiten.  
 
1.7. Unzulässig ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auch, soweit sie sich auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG (schwerwiegender persönlicher Härtefall) bezieht. Diese Bestimmung vermittelt keinen Bewilligungsanspruch, sondern bildet Grundlage für eine Ermessensbewilligung (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG; vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.1; Urteil 2C_682/2022 vom 29. März 2023 E. 1.2 mit Hinweis).  
 
1.8. Die Beschwerdeführerin kann demnach nicht in vertretbarer Weise dartun, dass ein potentieller Anspruch auf die beantragte Bewilligung besteht. Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist daher in Anwendung von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG nicht einzutreten.  
 
1.9. Bei fehlendem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ist der Beschwerdeführer bei deren Verweigerung nicht in rechtlich geschützten Interessen betroffen und insofern nicht zur subsidiären Verfassungsbeschwerde legitimiert (vgl. Art. 115 lit. b BGG; BGE 133 I 183; Urteil 2C_504/2022 vom 14. Februar 2023 E. 1.5). Geltend gemacht werden können in diesem Fall im Rahmen der subsidiären Verfassungsbeschwerde ausschliesslich Rügen betreffend verfahrensrechtliche Punkte, deren Verletzung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt, soweit das Gericht diese losgelöst von der Frage in der Sache selber beurteilen kann ("Star"-Praxis; BGE 137 II 305 E. 2 und E. 4; 114 Ia 307 E. 3c). Solche Rügen bringt die Beschwerdeführerin nicht vor. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist daher ebenfalls nicht einzutreten.  
 
2.  
Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist nicht einzutreten. 
Da die Beschwerde als von vornherein aussichtslos zu beurteilen ist, ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine geschuldet (Art. 68 Abs. 1-3). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
 
3.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
4.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. August 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: P. Ronc