2C_1038/2022 21.08.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_1038/2022  
 
 
Urteil vom 21. August 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichter Hartmann, 
Gerichtsschreiber Ronc. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwältin Tamara De Caro, 
 
gegen  
 
Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau, Rechtsdienst, 
Bahnhofplatz 3C, 5001 Aarau. 
 
Gegenstand 
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, 
vom 11. November 2022 (WBE.2022.79). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (geb. 1999), von Kosovo, reiste am 1. Juli 2020 zwecks Vorbereitung der Eheschliessung in die Schweiz ein, heiratete am 14. August 2020 einen Schweizer und erhielt am 25. August 2020 im Rahmen des Familiennachzugs eine bis am 31. August 2021 gültige Aufenthaltsbewilligung. 
Am 7. Januar 2021 teilte der Ehemann dem Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau mit, dass sich das Ehepaar am 31. Dezember 2020 getrennt habe und A.________ aus der ehelichen Wohnung ausgezogen sei. Gleichzeitig brachte er zum Ausdruck, dass er beabsichtige, sich von ihr scheiden zu lassen. In der Folge meldeten auch die zuständigen Einwohnerdienste der Gemeinde T.________/AG dem Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau die freiwillige Trennung der Eheleute und den Wegzug von A.________ per 31. Dezember 2020 nach U.________/AG. 
 
B.  
Das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau verfügte am 28. September 2021 die Nichtverlängerung der zwischenzeitlich abgelaufenen Aufenthaltsbewilligung von A.________ und deren Wegweisung aus der Schweiz. Die dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (Einspracheentscheid des Amts für Migration und Integration des Kantons Aargau vom 26. Januar 2022; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 11. November 2022). 
 
C.  
A.________ gelangt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht und beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau anzuweisen, ihr eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. 
Die Präsidentin der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung hat der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
Das Verwaltungsgericht und das Departement für Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau beantragen die Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit (Art. 29 Abs. 1 BGG) und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (vgl. BGE 147 I 89 E. 1; 146 II 276 E. 1). 
 
1.1. Die frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 BGG) eingereichte Eingabe betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG) und richtet sich gegen das kantonal letztinstanzliche (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG), verfahrensabschliessende (Art. 90 BGG) Urteil eines oberen Gerichts (Art. 86 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeführerin ist zur Erhebung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Die Beschwerdeführerin macht in vertretbarer Weise geltend, im Rahmen eines nachehelichen Härtefalls einen Anspruch auf die Erteilung einer Bewilligung zu haben (Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG [SR 142.20]). Ob die kantonalen Behörden ihre Bewilligung zu Recht nicht verlängert haben, bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung und nicht des Eintretens (vgl. BGE 139 I 330 E. 1.1; Urteil 2C_9/2020 vom 29. Juni 2020 E. 1). Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist unter dem nachfolgenden Vorbehalt einzutreten.  
 
1.3. Unzulässig ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, soweit die Beschwerdeführerin einen schwerwiegenden persönlichen Härtefall gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG geltend macht. Diese Bestimmung vermittelt keinen Bewilligungsanspruch, sondern bildet Grundlage für kantonale Ermessensbewilligungen im Rahmen von Art. 96 AIG (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.1; Urteil 2C_1057/2022 vom 31. Mai 2023 E. 1.3). Insoweit ist auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten daher nicht einzutreten.  
 
2.  
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG); es prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die vorgebrachten Argumente, falls weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2; 136 II 304 E. 2.5).  
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Von den tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Urteils weicht das Bundesgericht nur ab, wenn diese offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 147 I 73 E. 2.2 mit Hinweisen). Offensichtlich unrichtig heisst willkürlich (Art. 9 BV; BGE 147 I 73 E. 2.2; 141 IV 317 E. 5.4 mit Hinweisen). Entsprechende Mängel sind in der Beschwerdeschrift klar und detailliert aufzuzeigen (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 147 I 73 E. 2.2; 144 V 50 E. 4.2). Auf rein appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung geht das Bundesgericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3; 139 II 404 E. 10.1; Urteil 2C_1057/2022 vom 31. Mai 2023 E. 2.2).  
 
3.  
Vorliegend ist unbestritten, dass die Ehe der Beschwerdeführerin mit einem Schweizer Bürger weniger als drei Jahre gedauert hat, weshalb ein Aufenthaltsanspruch gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. a AIG ausscheidet. Streitig ist, ob der Beschwerdeführerin wegen gefährdeter Wiedereingliederung im Herkunftsland gestützt auf einen nachehelichen Härtefall gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AIG ein Aufenthaltsrecht zukommt. 
 
3.1. Ein nachehelicher Härtefall liegt namentlich vor, wenn die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint (Art. 50 Abs. 2 AIG). Entscheidend ist, ob die persönliche, berufliche und familiäre Eingliederung der betroffenen ausländischen Person bei einer Rückkehr in ihre Heimat als stark gefährdet zu gelten hätte, und nicht, ob ein Leben in der Schweiz einfacher wäre und - aus welchen Gründen auch immer - vorgezogen würde (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.3; Urteil 2C_335/2020 vom 18. August 2020 E. 3.2). Ein persönlicher, nachehelicher Härtefall setzt aufgrund der gesamten Umstände eine erhebliche Intensität der Konsequenzen für das Privat- und Familienleben voraus, die mit der Lebenssituation nach dem Dahinfallen der abgeleiteten Anwesenheitsberechtigung verbunden sein muss (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.3; Urteil 2C_335/2020 vom 18. August 2020 E. 3.2). Der Härtefall muss sich auf die Ehe und den damit einhergehenden Aufenthalt beziehen (vgl. BGE 139 II 393 E. 6; 138 II 229 E. 3.1; 137 II 345 E. 3.2.3).  
 
3.2. Die ausländische Person trifft bei den Feststellungen des entsprechenden Sachverhalts eine weitreichende Mitwirkungspflicht (BGE 138 II 229 E. 3.2.3 mit Hinweisen). Die befürchtete Beeinträchtigung der sozialen Wiedereingliederung muss im Einzelfall aufgrund der konkreten Umstände glaubhaft erscheinen (BGE 138 II 229 E. 3.2.3; Urteile 2C_668/2019 vom 19. November 2019 E. 2.3; 2C_241/2018 vom 20. November 2018 E. 4.2). Eine starke Gefährdung der Wiedereingliederung im Heimatland nach Art. 50 Abs. 2 AIG muss dabei praxisgemäss objektiv nachvollziehbar konkretisiert und beweismässig unterlegt werden (vgl. Urteil 2C_241/2018 vom 20. November 2018 E. 4.2). Allgemein gehaltene Hinweise genügen nicht (BGE 138 II 229 E. 3.2.3; Urteil 2C_854/2022 vom 14. Februar 2023 E. 3.3.2).  
 
3.3.  
 
3.3.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, bei ihr sei die soziale Wiedereingliederung besonders gefährdet. Die Gesellschaft ihres Herkunftslandes sei immer noch stark patriarchalisch geprägt und Frauen und Mädchen würden systematisch unterdrückt und benachteiligt. Insbesondere Frauen seien von Arbeitslosigkeit betroffen, wobei die Situation geschiedener Frauen ohne soziales Netzwerk besonders prekär sei. Sie habe vor der Vorinstanz belegt, dass das Verhältnis innerhalb der Familie zerrüttet sei und dass die Situation für alleinstehende Frauen in jeglicher Hinsicht schwierig bis unzumutbar sei. Dennoch würden diese Vorbringen von den Vorinstanzen als "allgemeine Hinweise" abgetan. Es würden überhöhte Anforderungen an das Beweismass des Glaubhaftmachens gestellt.  
 
3.3.2. Die Vorinstanz hat erwogen, die Beschwerdeführerin sei im Kosovo aufgewachsen und sozialisiert worden und habe dort auch ein Studium absolviert. Die Beschwerdeführerin bringe vor, ihre Heirat habe zu einem grossen Zerwürfnis mit ihrer Familie geführt. Die zu Gunsten der Beschwerdeführerin angenommene fehlende Unterstützung durch ihre Familie im Falle einer Rückkehr in den Kosovo dürfte ihre soziale Wiedereingliederung erschweren, lasse diese indes nicht als stark gefährdet erscheinen, zumal der 23-jährigen Beschwerdeführerin aufgrund ihres Studiums im Kosovo sowie ihrer in der Schweiz gesammelten Berufserfahrung im Pflegebereich in beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht überdurchschnittlich gute Reintegrationschancen zu attestieren seien. Dass der Beschwerdeführerin bei der sozialen Integration im Kosovo jenseits ihrer eigenen Familie weitere konkrete Hindernisse entgegenstehen würden, habe die Beschwerdeführerin nicht substanziiert dargetan.  
 
3.3.3. Die Vorinstanz hat demnach die konkrete Situation der Beschwerdeführerin und insbesondere die fehlende Unterstützung durch ihre Familie berücksichtigt. Dass sie von ihrer Familie nicht unterstützt wird, vermag keinen nachehelichen Härtefall zu begründen. Es ist der Beschwerdeführerin zumutbar, sich im Kosovo wiedereinzugliedern, auch wenn sie auf die Hilfe ihrer Familie verzichten muss (vgl. Urteil 2C_494/2020 vom 1. September 2021 E. 3.3.2). Ausser mit der fehlenden Unterstützung durch ihre Familie begründet die Beschwerdeführerin die gefährdete Wiedereingliederung im Herkunftsland mit der Situation der geschiedenen Frauen im Kosovo im Allgemeinen. Damit wird jedoch nicht aufgrund der konkreten Umstände glaubhaft gemacht, dass die soziale Wiedereingliederung der Beschwerdeführerin stark gefährdet ist. Mit Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach die befürchtete Beeinträchtigung der sozialen Wiedereingliederung im Einzelfall aufgrund der konkreten Umstände glaubhaft erscheinen muss (vgl. vorne E. 3.2), sind auch die von der Vorinstanz an das Beweismass des Glaubhaftmachens gestellten Anforderungen nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz hat eine starke Gefährdung der Wiedereingliederung im Herkunftsland daher zu Recht verneint.  
 
3.3.4. Soweit die Beschwerdeführerin auf ihre gute Integration verweist, ist festzuhalten, dass die Integration primär im Rahmen des Anspruchs nach Art. 50 Abs. 1 lit. a AIG zu berücksichtigen ist. Alleine aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin überdurchschnittlich gut integriert sein soll, ergibt sich kein wichtiger persönlicher Grund gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG (vgl. Urteil 2C_494/2020 vom 1. September 2021 E. 3.3.2).  
 
3.3.5. Die Vorinstanz hat das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinn von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG damit zu Recht verneint. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet.  
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten sind entsprechend dem Verfahrensausgang der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine geschuldet (Art. 68 Abs. 1 und 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. August 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: P. Ronc