7B_59/2023 12.10.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_59/2023  
 
 
Urteil vom 12. Oktober 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Sonja Pflaum, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, Zweigstelle Flughafen, Prime Center 1, 
7. Stock, Postfach, 8058 Zürich. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Winterthur, Zwangsmassnahmengericht, Bezirksrichterin, vom 27. März 2023 (GT230004-K/U/ae). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung betreffend Verbrechen gegen das Betäubungsmittelgesetz und weitere Delikte. Im Zusammenhang mit dieser Untersuchung wurden am 20. Januar 2023 zwei Mobiltelefone von A.________ sichergestellt, deren Siegelung beantragt wurde. Mit Verfügung vom 24. Januar 2023 ordnete die Staatsanwaltschaft eine vorsorgliche Sicherung der Daten der Mobiltelefone an. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 3. Februar 2023 ersuchte die Staatsanwaltschaft das Bezirksgericht Winterthur, Zwangsmassnahmengericht, um Entsiegelung der sichergestellten Mobiltelefone sowie der dazugehörigen Datensicherung. Mit Verfügung vom 27. März 2023 hiess das Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft vollumfänglich gut. 
 
C.  
Dagegen erhebt A.________ mit Eingabe vom 2. Mai 2023 beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an diese zurückzuweisen. Eventualiter sei vor Freigabe der Datensicherung und der sichergestellten Mobiltelefone zur Durchsuchung die sich darauf befindliche Anwaltskorrespondenz auszusondern. Weiter beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. 
Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat mit Eingabe vom 26. Mai 2023 eine Vernehmlassung eingereicht. Der Beschwerdeführer hat mit Eingabe vom 12. Juni 2023 repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein Entscheid über die Entsiegelung von Datenträgern, die in einem strafprozessualen Untersuchungsverfahren in Anwendung von Art. 246 ff. StPO sichergestellt wurden. Die Vorinstanz hat gemäss Art. 248 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 380 StPO als einzige kantonale Instanz entschieden, weshalb die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offensteht.  
 
1.2. Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren nicht ab. Er kann deshalb nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 und 93 BGG angefochten werden. Danach ist die Beschwerde insbesondere zulässig, wenn der angefochtene selbstständig eröffnete Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Wird im Entsiegelungsverfahren schlüssig behauptet, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 143 IV 462 E. 1). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, indem der Beschwerdeführer geltend macht, die angeordnete Entsiegelung betreffe auch Anwaltskorrespondenz.  
 
1.3. Der Beschwerdeführer ist als beschuldigte Person zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG). Die Staatsanwaltschaft stellt in ihrer Vernehmlassung das rechtlich geschützte Interesse des Beschwerdeführers in Frage (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG). Sie argumentiert, das Zwangsmassnahmengericht habe zwar nicht ausdrücklich verfügt, dass die Anwaltskorrespondenz auszusondern sei. Der Staatsanwaltschaft sei es jedoch ohnehin untersagt, jegliche Korrespondenz zwischen Anwälten und dem Beschuldigten zu sichten und es sei dem Beschwerdeführer zugesichert worden, dass allfällige Anwaltskorrespondenz ausgesondert werde. Dieser Einwand ist unbegründet. Die Staatsanwaltschaft übersieht, dass die Triage von geheimnisgeschützten Aufzeichnungen nach der Rechtsprechung nicht an die Staatsanwaltschaft oder Polizei delegiert werden darf, sondern einzig und allein dem Zwangsmassnahmengericht obliegt (BGE 142 IV 372 E. 3.1). Auf die Beschwerde ist einzutreten.  
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt zunächst, die Staatsanwaltschaft habe in unzulässiger Weise die Vornahme einer vorsorglichen Datensicherung der sichergestellten Mobiltelefone durch die Kantonspolizei Zürich angeordnet und damit Art. 248 StPO verletzt. 
 
2.1. Nach der publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts darf eine Sicherung respektive Spiegelung von Daten im Entsiegelungsverfahren nicht durch die Untersuchungsbehörde veranlasst bzw. einer von ihr beauftragten und damit auch weisungsgebundenen Person oder Behörde übertragen werden. Geht ein Siegelungsgesuch ein, sind vielmehr die betreffenden Unterlagen bzw. wie hier elektronischen Geräte unverzüglich zu siegeln. Erweist sich eine Kopie der Daten zum Schutz vor Verlust oder aus einem sonstigen Grund für das weitere Verfahren als angebracht, hat die Untersuchungsbehörde nach der Siegelung der Datenträger beim Zwangsmassnahmengericht ein entsprechendes Spiegelungsgesuch zu stellen (BGE 148 IV 221 E. 2.6). Bei Dringlichkeit kann ein solches Gesuch auch superprovisorisch gestellt werden.  
Ob von sichergestellten und gesiegelten Unterlagen oder elektronischen Datenträgern in unzulässiger Weise eine Datensicherung erstellt wurde, ist nach der zitierten Rechtsprechung keine (grundsätzlich dem Sachgericht überlassene) Frage der Beweisverwertung, sondern der Rechtmässigkeit und des Fortgangs des Entsiegelungsverfahrens. Bei schweren Verfahrensmängeln ist eine Fortsetzung des Entsiegelungsverfahrens ausgeschlossen und das Entsiegelungsbegehren abzuweisen (BGE 148 IV 221 E. 4). 
 
2.2. Gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG müssen Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen, enthalten. Aus dem Entscheid muss klar hervorgehen, von welchem festgestellten Sachverhalt die Vorinstanz ausgegangen ist und welche rechtlichen Überlegungen sie angestellt hat (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1; 138 IV 81 E. 2.2; 135 II 145 E. 8.2). Die Begründung ist insbesondere mangelhaft, wenn der angefochtene Entscheid jene tatsächlichen Feststellungen nicht trifft, die zur Überprüfung des eidgenössischen Rechts notwendig sind oder wenn die rechtliche Begründung des angefochtenen Entscheids so lückenhaft oder unvollständig ist, dass nicht geprüft werden kann, wie das eidgenössische Recht angewendet wurde. Die Begründung ist ferner mangelhaft, wenn einzelne Tatbestandsmerkmale, die für die Subsumtion unter eine gesetzliche Norm von Bedeutung sind, von der Vorinstanz nicht oder nicht genügend abgeklärt wurden (BGE 135 II 145 E. 8.2; 119 IV 284 E. 5b; Urteil 1B_206/2023 vom 12. Mai 2022 E. 3.1; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Die Vorinstanz hält bezüglich der Zulässigkeit der veranlassten Datensicherung einzig fest, diese (mit separater Beschwerde auch dem Obergericht unterbreitete) Frage sei von der im vorliegenden Verfahren zu beantwortenden Frage nach der Entsiegelung der Datenträger "zu unterscheiden", ohne die dargestellte Rechtsprechung zu erwähnen. Entsprechend enthält der angefochtene Entscheid weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht (weitere) Ausführungen zur Frage, ob das Entsiegelungsverfahrens angesichts der vorsorglichen Datensicherung weitergeführt werden kann. Unter diesen Umständen erlaubt es das angefochtene Urteil nicht, die korrekte Rechtsanwendung zu überprüfen.  
 
2.4. Genügt ein Entscheid wie vorliegend den Anforderungen gemäss Art. 112 Abs. 1 BGG nicht, so kann das Bundesgericht ihn in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben. Hingegen steht es ihm nicht zu, sich an die Stelle der Vorinstanz zu setzen, die ihrer Aufgabe nicht nachgekommen ist (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1). Die angefochtene Verfügung ist somit aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese einen den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 BGG genügenden Entscheid trifft. Vor diesem Hintergrund erübrigt es sich, auf die Rügen des Beschwerdeführers in der Sache einzugehen.  
 
3.  
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich hat dem obsiegenden Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 BGG). Diese ist praxisgemäss seiner Rechtsvertreterin auszurichten. Das vom Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung des Bezirksgerichts Winterthur, Zwangsmassnahmengricht, vom 27. März 2023 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. Die Entschädigung ist Rechtsanwältin Sonja Pflaum auszurichten. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland und dem Bezirksgericht Winterthur, Zwangsmassnahmengericht, Bezirksrichterin, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 12. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger