8C_539/2022 08.11.2022
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_539/2022  
 
 
Urteil vom 8. November 2022  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Massimo Aliotta, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Richtiplatz 1, 8304 Wallisellen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung 
(Unfallbegriff; Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 28. Juni 2022 (UV.2021.00230). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1993, war ab 1. November 2015 als Informatiker bei der B.________ AG angestellt und dadurch bei der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Allianz) gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Im Oktober 2019 liess er der Allianz melden, dass er sich am 21. Oktober 2018 anlässlich eines Konzerts einen Tinnitus zugezogen habe. Die Allianz klärte den Sachverhalt mittels Fragebogen weiter ab und holte Berichte der behandelnden Ärzte vom 12. November 2019 (Dr. med. C.________, Facharzt FMH für ORL) sowie vom 21. Januar 2020 (Spital D.________) ein. Mit Verfügung vom 8. Juli 2021 und Einspracheentscheid vom 2. November 2021 lehnte sie ihre Leistungspflicht ab mit der Begründung, dass es sich beim gemeldeten Ereignis nicht um einen Unfall im Rechtssinne handle und zudem auch keine Leistungspflicht aus unfallähnlicher Körperschädigung abzuleiten sei. 
 
B.  
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Urteil vom 28. Juni 2022 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils seien ihm die gesetzlichen Leistungen aus Unfall zuzusprechen. 
 
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die von der Beschwerdegegnerin verfügte Ablehnung ihrer Leistungspflicht aus Unfall bestätigte. Zur Frage steht dabei, ob das Ereignis vom 21. Oktober 2018 als Unfall im Rechtssinne zu qualifizieren ist beziehungsweise ob zwischen dem danach geklagten Tinnitus und jenem Vorfall ein adäquat-kausaler Zusammenhang besteht. 
 
3.  
Das kantonale Gericht hat die Bestimmung über den Unfallbegriff (Art. 4 ATSG) und die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 142 V 219 E. 4.3.1; 134 V 72 E. 2.2) zutreffend dargelegt. Zu ergänzen ist, dass das für die Qualifikation eines Ereignisses als Unfall vorausgesetzte Tatbestandsmerkmal der Ungewöhnlichkeit nur dann erfüllt ist, wenn der äussere Faktor nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist (BGE 134 V 72 E. 4.1). Hervorzuheben ist, dass sich das Begriffsmerkmal nach der Definition des Unfalls nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors bezieht, sondern nur auf diesen selber. Ohne Belang für die Prüfung der Ungewöhnlichkeit ist somit, dass der äussere Faktor allenfalls schwerwiegende, unerwartete Folgen nach sich zog (BGE 134 V 72 E. 4.3.1). 
 
Anzufügen ist, dass es bei einem Tinnitus praxisgemäss am Merkmal der Plötzlichkeit fehlt, wenn es zu einer längerdauernden Lärmexposition gekommen ist, und das Merkmal der Ungewöhnlichkeit selbst bei hoher Lautstärke je nach Anlass nicht ohne Weiteres bejaht werden kann (Urteil U 26/00 vom 21. August 2001 E. 2b und 2c). Hervorzuheben ist im Übrigen, dass der Tinnitus nicht als körperliches Leiden zu betrachten ist, sofern er nicht einer organischen Ursache zuzuordnen ist (BGE 138 V 248 E. 5.10; SVR 2015 MV Nr. 2 S. 3, 8C_96/2015 E. 3.4). Lässt sich der Tinnitus keiner organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolge zuordnen, bedarf es einer gesonderten Prüfung des für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten adäquaten Kausalzusammenhangs (BGE 142 V 435 E. 1; 129 V 177 E. 3.2; beim Tinnitus: BGE 138 V 248). Zu ergänzen ist schliesslich, dass sich der medizinische Begriff des Traumas nicht mit dem Unfallbegriff im Sinne von Art. 4 ATSG deckt (BGE 134 V 72 E. 4.3.2.2; in BGE 130 V 380 nicht publ. E. 1 des Urteils U 199/03 vom 10. Mai 2004; RKUV 2003 Nr. U 485 S. 253, U 307/01 E. 5; RKUV 1996 Nr. U 253 S. 199 E. 4b; Urteil 8C_225/2019 vom 20. August 2019 E. 3.4). 
 
Richtig wiedergegeben wird im angefochtenen Urteil der Grundsatz, wonach der Entscheid im Falle der Beweislosigkeit zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (BGE 138 V 218 E. 6; Urteile 8C_282/2020 vom 3. September 2020 E. 6.1; 8C_307/2016 vom 17. August 2016 E. 5.3). 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz stellte fest, der Beschwerdeführer habe angegeben, der geltend gemachte Unfall habe sich am fraglichen Abend um 21.00 Uhr ereignet, wobei er sich während ungefähr 30 Minuten im Saal aufgehalten habe, bevor er das Rockkonzert verlassen habe. Gemäss dem von ihm im Beschwerdeverfahren eingereichten Gutachten der E.________ GmbH seien die zulässigen Lärmgrenzwerte in der Zeit von 20.41 bis 21.41 Uhr eingehalten worden. Danach sei eine Überschreitung gemessen worden. Zu einem isolierten, besonders lauten Lärmereignis sei es während der Anwesenheit des Beschwerdeführers im Saal nicht gekommen. Gemäss dem kantonalen Gericht war das Unfallbegriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit nicht erfüllt, nachdem die Lärmgrenzwerte zum Zeitpunkt des Vorfalls eingehalten worden seien, und fehlte es angesichts der längerdauernden Anwesenheit des Beschwerdeführers im Saal auch am Kriterium der Plötzlichkeit. Der geklagte Tinnitus sei im Übrigen, so die Vorinstanz, organisch objektiv nicht ausgewiesen. Da das Ereignis als leichter Unfall zu qualifizieren sei, müsste auch die adäquate Kausalität verneint werden.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer macht sinngemäss im Wesentlichen geltend, die Schädigung sei am fraglichen Abend nicht schon beim Auftritt der Vorgruppe, sondern erst anlässlich des Hauptauftritts der Metalband F.________ ab etwa 21.30 Uhr erfolgt, was die Vorinstanz trotz der von ihm bereits im Einspracheverfahren eingereichten Unterlagen zu F.________ und zum Ablauf des Konzerts (Wikipedia-Eintrag, Konzertticket) sowie seiner Erläuterungen in der Hauptverhandlung ausser Acht gelassen habe. Dementsprechend sei das kantonale Gericht von einem falschen Unfallzeitpunkt und auch von einer falschen Vorstellung vom Rockkonzert ausgegangen. Erst als die Metalband aufgetreten sei, sei es plötzlich zu laut geworden, worauf er jedoch, so der Beschwerdeführer weiter, den Raum verlassen habe. Es sei also entgegen der Vorinstanz davon auszugehen, dass er etwa ab 21.30 Uhr bis spätestens 30 Minuten später, also etwa um 22 Uhr, im Konzertsaal anwesend und daher auch der schädlichen, die zulässigen Grenzwerte übersteigenden Lärmexposition ausgesetzt gewesen sei, unabhängig davon, wo genau er sich im Raum aufgehalten habe. Dass er in der Unfallmeldung ursprünglich angegeben habe, der Vorfall habe sich um 21 Uhr zugetragen, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen.  
 
4.3. Die Behauptung, es sei zu einem anderen Zeitpunkt zum schädlichen Ereignis gekommen als von der Vorinstanz gestützt auf die ursprünglichen Angaben des Beschwerdeführers angenommen, und zwar im Zeitraum, als gemäss kantonalem Gericht die zulässigen Lärmgrenzwerte überschritten worden seien, kann nichts ändern an der vom kantonalen Gericht festgestellten Beweislosigkeit der plötzlichen Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors. Gemäss den vom kantonalen Gericht gestützt auf das Gutachten getroffenen sachverhaltlichen Feststellungen wurden die zulässigen Lärmwerte ab 21.41 Uhr um höchstens 3,6 Dezibel überschritten, das heisst, es wurden 103,6 statt der zulässigen 100 Dezibel gemessen. Es ist daran zu erinnern, dass sich die Beurteilung der Ungewöhnlichkeit daran auszurichten hat, was im jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist. Die gemessenen Werte - auch soweit sie (im Umfang von 3,6 Dezibel) das zulässige Mass überschritten - können für ein Rockkonzert nicht als ungewöhnlich gelten. Mit seiner Argumentation, anders als im Fall der Souffleuse, die nach einem Paukenschlag anlässlich einer Opernaufführung einen Hörsturz erlitt (RKUV 2006 Nr. U 578 S. 170, U 245/05), sei die Lärmexposition an einem Rockkonzert als ungewöhnlicher äusserer Faktor zu qualifizieren, vermag der Beschwerdeführer nicht durchzudringen. Selbst unter Annahme, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum ab 21.41 Uhr noch im Konzertsaal gewesen sei, wäre im Übrigen nicht zu beweisen, dass er sich in dem Bereich des Saales aufgehalten hätte, wo es gemäss Gutachten bei einem gemessenen Lärmpegel von maximal 103,6 Dezibel doppelt so laut gewesen sein soll wie zulässig.  
 
Es fehlt zudem unter Annahme der vom Beschwerdeführer auch letztinstanzlich angegebenen Verweildauer von rund 30 Minuten (21.30 bis 22 Uhr) auch am Begriffsmerkmal der Plötzlichkeit der Einwirkung (vgl. oben E. 3), zumal weder geltend gemacht wird noch dem Gutachten zu entnehmen ist, dass es entgegen der Vorinstanz - etwa zu Beginn des Auftritts von F.________, wie vom Beschwerdeführer sinngemäss geltend gemacht wird - zu einem isolierten, besonders lauten Lärmereignis gekommen wäre. 
 
Im Übrigen hat sich das Bundesgericht zur spezifischen Problematik beim Tinnitus in BGE 138 V 248 eingehend geäussert und erkannt, dass es, sofern sich die Symptomatik keiner organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolge zuordnen lässt, wie bei anderen organisch nicht ausgewiesenen Beschwerdebildern einer besonderen Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhang bedarf. Weshalb diese Praxis bei geltend gemachter Schädigung anlässlich eines Rockkonzerts keine Anwendung finden dürfte, wird beschwerdeweise nicht aufgezeigt. Dass eine organische Verletzung objektiv nicht ausgewiesen sei, ist unbestritten geblieben. 
 
Im Ergebnis ist das vorinstanzliche Urteil somit nicht zu beanstanden. 
 
5.  
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet und wird im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG mit summarischer Begründung und unter Verweis auf den vorinstanzlichen Entscheid erledigt. 
 
6.  
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 8. November 2022 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo