5A_828/2023 18.04.2024
Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_828/2023  
 
 
Urteil vom 18. April 2024  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter von Werdt, Bovey, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Huber, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Kathrin Obwegeser-Mayer, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Eheschutz, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 20. September 2023 (LE220029-O/U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Parteien sind gebürtige Rumänen und lebten während ihrer Ehe zusammen in verschiedenen Ländern, u.a. in Australien und in Grossbritannien. Der gemeinsame Sohn kam 2017 in Schottland zur Welt. 
Seit Herbst 2018 lebten die Parteien in der Schweiz, wo der Ehemann eine Anstellung als Brandschutzingenieur gefunden hatte. Als dieses Arbeitsverhältnis im November 2019 endete, kehrten sie einstweilen nach Rumänien zurück, übersiedelten aber im August 2020 wieder in die Schweiz, nachdem der Ehemann hier eine neue Anstellung gefunden hatte. Indes wurde das Arbeitsverhältnis bereits in der Probezeit gekündigt und in der Folge bezog der Ehemann Arbeitslosengelder. 
Ende Oktober 2020 trennten sich die Parteien. Am 6. Dezember 2020 meldete sich der Ehemann in der Schweiz ab und kehrte nach Rumänien zurück, während die Ehefrau mit dem Kind in der Schweiz verblieb, zunächst im Frauenhaus und später in einer zur Verfügung gestellten Notwohnung, bevor sie schliesslich mit dem Kind eine eigene Wohnung bezog. 
 
B.  
Mit Eheschutzurteil vom 19. April 2022 stellte das Bezirksgericht Bülach das Kind unter die Obhut der Ehefrau, unter Regelung des Besuchs- und Ferienrechts des Ehemannes sowie der Skype-Kontakte. Sodann verpflichtete es diesen zu Kindesunterhaltsbeiträgen von monatlich Fr. 3'050.-- für 17. Dezember 2020 bis August 2021 sowie von Fr. 387.-- ab Dezember 2021. 
Dagegen erhob der Ehemann in Bezug auf die Obhutszuteilung, die Ausgestaltung des Besuchsrechts sowie die Unterhaltsfestsetzung beim Obergericht des Kantons Zürich eine Berufung. Mit Urteil vom 20. September 2023 modifizierte dieses die Unterhaltsregelung (Ziff. 1); im Übrigen wies es die Berufung ab (Ziff. 2). 
 
C.  
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 1. November 2023 verlangt der Ehemann die Feststellung der Nichtigkeit dieses Urteils, soweit die Obhut und die Betreuungsregelung betreffend (d.h. Ziff. 2 des obergerichtlichen Urteils), eventualiter die Aufhebung dieser Entscheidziffer und die beteffende Rückweisung der Sache an das Obergericht. Ferner verlangt er einen zweiten Schriftenwechsel und die unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Eheschutzentscheid; die Beschwerde in Zivilsachen steht offen (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG). 
Bei Eheschutzsachen handelt es sich um vorsorgliche Massnahmen im Sinn von Art. 98 BGG (BGE 133 III 393 E. 5.1; 147 III 81 E. 1.3), so dass nur die Rüge der Verletzung verfassungsmässiger Rechte möglich ist. Es gilt somit das strenge Rügeprinzip im Sinn von Art. 106 Abs. 2 BGG. Das bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend begründete Rügen und appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt (BGE 142 III 364 E. 2.4; 149 III 81 E. 1.3). 
Weil auf das Einholen von Vernehmlassungen verzichtet werden kann, ist der Antrag auf Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels gegenstandslos. 
 
2.  
Das Hauptbegehren um Feststellung der Nichtigkeit des angefochtenen Entscheides begründet der Beschwerdeführer mit der fehlenden internationalen Zuständigkeit des Obergerichtes im Urteilszeitpunkt, d.h. am 20. September 2023. Das Kind lebe seit April 2023 bei ihm in Rumänien und es habe dort seinen Wohnsitz. Im Frühling 2023 hätten die Parteien gemeinsam entschieden, dass es die Schule in Rumänien absolvieren und deshalb zu ihm ziehen solle. Sie hätten das Kind deshalb aufgrund einer bewilligten Dispensation der Primarschule U.________ zunächst vom 24. Februar bis 27. März 2023 und danach ab dem 11. April 2023 bis zum Ende des Semesters in den Kindergarten in Rumänien geschickt. Sodann hätten sie es am 28. August 2023 von der Primarschule U.________ abgemeldet und es gehe seit dem Schulbeginn am 11. September 2023 in Rumänien zur Schule. Damit liege die internationale Entscheidzuständigkeit mangels einer perpetuatio fori in Rumänien (Art. 85 Abs. 1 IPRG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 und 2 HKsÜ), wo sich der tatsächliche Mittelpunkt der Lebensführung und damit der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes befinde. Als Nichtigkeitsgründe würden vorab die funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde in Betracht fallen und die Nichtigkeit von Entscheiden sei durch jede Behörde, die mit der Sache befasst sei und Kenntnis davon erlange, jederzeit und von Amtes wegen zu beachten. Im Zusammenhang mit der Feststellung von Nichtigkeit gelte schliesslich das Novenverbot nicht, d.h. die Abmeldung von der schweizerischen und die Anmeldung in der rumänischen Schule könnten als Beweismittel vorgelegt weden. 
 
3.  
Ist ein Urteil fehlerhaft, kann es innerhalb der Rechtsmittelfrist bei der zuständigen Rechtsmittelbehörde angefochten und von dieser korrigiert werden. Als nichtig betrachten lässt sich ein gerichtlicher Entscheid nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur ganz ausnahmsweise. Nach der sog. Evidenztheorie ist erforderlich, dass der anhaftende Mangel besonders schwer ist, dass er sich als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar erweist und dass die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird; dies kann der Fall sein bei sachlicher oder funktioneller Unzuständigkeit sowie krassen Verfahrensfehlern (BGE 145 III 436 E. 4; 147 IV 93 E. 1.4.4; 148 IV 445 E. 1.4.2). 
Dass Nichtigkeit vorab bei sachlicher oder funktioneller Unzuständigkeit in Betracht fällt, hält der Beschwerdeführer selbst fest. Diese beiden Zuständigkeiten waren aber vorliegend sehr wohl gegeben, denn das Obergericht hat auf Berufung des Beschwerdeführers hin im Rahmen eines Eheschutzverfahrens als Rechtsmittelbehörde entschieden. Der Beschwerdeführer bestreitet vielmehr die internationale und damit die örtliche Zuständigkeit des Obergerichts im Zeitpunkt der Entscheidfällung. Deren Fehlen führt aber - ausserhalb des Steuerrechts (vgl. BGE 137 I 273 E. 3.3.1) und der internationalen Konkurszuständigkeit (vgl. Urteil 5A_647/2013 vom 27. Februar 2014 E. 4.2; Frage nicht beantwortet in BGE 149 III 186 E. 2 und 3.5) - nicht zur Nichtigkeit eines gerichtlichen Urteils (BGE 99 II 246 E. 3c; Urteile 5F_6/2016 vom 23. Mai 2016 E. 2.2; 8C_369/2022 vom 5. April 2023 E. 5.3.3; sodann INFANGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 34 zu Art. 9 ZPO). Der Beschwerdeführer zeigt denn auch, obwohl vorliegend das strenge Rügeprinzip gilt, weder Präjudizien noch Literaturstellen auf, welche auf Nichtigkeit eines Zivilurteils bei fehlender bzw. nachträglich weggefallener internationaler Zuständigkeit schliessen lassen könnte. Es trifft zwar zu, dass aufgrund der Zuständigkeitsordnung von Art. 5 Abs. 1 und 2 HKsÜ die internationale Zuständigkeit selbst während eines hängigen (Rechtsmittel-) verfahrens verloren gehen kann, wenn ein Kind auswandert, zumal es in der Regel sofort einen neuen Aufenthalt begründet, wenn es mit einem hauptbetreuenden Elternteil wegzieht, der am neuen Ort seinen Wohnsitz hat (vgl. BGE 129 III 288 E. 4.1; 142 III 1 E. 2.1; 143 III 193 E. 2; 144 III 469 E. 4.2.2; 149 III 81 E. 2.4). Indes liegt nach dem Gesagten keine Nichtigkeit vor, wenn noch das Gericht am alten Ort entschieden hat. 
Dazu kommt im vorliegenden Fall, und dies ist von entscheidender Bedeutung, dass der bereits im kantonalen Verfahren vom gleichen Anwalt vertretene Beschwerdeführer gröblich den verfahrensrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 52 ZPO verletzt, wenn er dem Obergericht im von ihm selbst eingeleiteten Berufungsverfahren die während des hängigen Verfahrens eingetretenen neuen Sachverhaltselemente - welche das Obergericht bis zum Schluss hätte berücksichtigen können und müssen, weil in Kindesbelangen die Novenschranken von Art. 317 ZPO nicht gelten (BGE 144 III 349 E. 4.2.1) und neue Tatsachen bis zum Beginn der oberinstanzlichen Beratungsphase vorgebracht werden können (BGE 142 III 413 E. 2.2.5 und 2.2.6; 143 III 272 E. 2.3.2) - vorenthalten hat und gestützt auf diese im Nachhinein die Nichtigkeit des nicht zu seinen Gunsten ausgefallenen Entscheides behaupten will, in welchem sich das Obergericht auf 45 Seiten einlässlich mit allen Vorbringen der Parteien auseinandergesetzt hat. Vor diesem Hintergrund sind die neuen Behauptungen im Zusammenhang mit dem Aufenthaltswechsel und die hierfür vorgelegten Beweismittel unechte Noven, die vor Bundesgericht unzulässig sind, da nicht erst das angefochtene Urteil Anlass gegeben hat, sie vorzubringen (Art. 99 Abs. 1 BGG). 
 
4.  
Im Eventualstandpunkt verlangt der Beschwerdeführer, das angefochtene Urteil sei in Bezug auf die Obhutsfrage aufzuheben und an das Obergericht zurückzuweisen. Indes bleibt das Eventualbegehren, indem sich der Beschwerdeführer ausschliesslich zum Hauptstandpunkt der Entscheidnichtigkeit äussert, gänzlich unbegründet, obwohl es begründungspflichtig (Art. 42 Abs. 2 BGG) in dem Sinn wäre, dass mit substanziierten Rügen aufgezeigt werden müsste, welche verfassungsmässigen Rechte und inwiefern diese verletzt sein sollen (vgl. E. 1). 
 
5.  
Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, konnte der Beschwerde von Anfang an kein Erfolg beschieden sein, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das entsprechende Gesuch abzuweisen ist. 
 
6.  
Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf diese einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 18. April 2024 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli