7B_127/2023 14.08.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_127/2023  
 
 
Urteil vom 14. August 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Nico Gächter, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 2 Emmen, 
Rüeggisingerstrasse 29, 6020 Emmenbrücke, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung und Durchsuchung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Luzern, Einzelrichterin, vom 16. Februar 2022 (ZMG 23 23). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen (LU) führt gegen diverse bekannte und unbekannte Personen ein Strafverfahren wegen (Gehilfenschaft zu) Freiheitsberaubung und Entführung, versuchter schwerer Körperverletzung, einfacher Körperverletzung, Sachentziehung, sexueller Nötigung sowie Drohung, wobei A.________ in diesem Verfahren als Opfer der aufgeführten Delikte gilt. Am 3. Januar 2023 wurde am Wohnort von A.________ an der B.________strasse xx in U.________ (SG) eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Dabei konnten zwei Mobiltelefone (iPhone, weiss, und iPhone, grau) sichergestellt werden. A.________ verlangte sofort deren Siegelung. Am 4. Januar 2023 wurde er durch die Kantonspolizei St. Gallen rechtshilfeweise einvernommen. Anlässlich dieser Einvernahme hielt er an seinem Siegelungsgesuch fest. 
 
B.  
Mit Antrag vom 11. Januar 2023 beantragte die Staatsanwaltschaft die Entsiegelung und Durchsuchung der sichergestellten und versiegelten Mobiltelefone. Zur Begründung führte sie zusammengefasst aus, auf den beschlagnahmten Mobiltelefonen seien zentrale Beweismittel zu erwarten, so insbesondere Videoaufnahmen der Tat vom 8. Dezember 2022, da diese nach den Angaben eines Beschuldigten mit dem Mobiltelefon von A.________ gefilmt worden sei. Mit Verfügung vom 16. Februar 2023 trat das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Luzern auf den Antrag nicht ein (Dispositiv-Ziffer 1) und stellte fest, "dass die Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen befugt ist, die Mobiltelefone des Gesuchsgegners (iPhone, weiss, HD-Pos. A.1.1 und iPhone, grau, HD-Pos. B 1.1) zu durchsuchen". Es begründete dies damit, A.________ habe zwar die Siegelung verlangt, aber trotz vorhandener Rechtsvertretung keinen Siegelungsgrund genannt. Damit sei der Siegelungsantrag nicht rechtsgültig gestellt worden. 
 
C.  
A.________ verlangt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts sei aufzuheben, das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft sei abzuweisen und die sichergestellten Mobiltelefone seien ihm herauszugeben. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er für das bundesgerichtliche Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung. 
Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Vernehmlassung Antrag gestellt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Zwangsmassnahmengericht verweist auf die angefochtene Verfügung, mit einem ergänzenden Hinweis. A.________ hat repliziert. 
Mit Verfügung des präsidierenden Mitglieds der - damals noch für dieses Verfahren zuständigen - I. öffentlich-rechtlichen Abteilung vom 17. April 2023 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein nach Art. 248 Abs. 3 lit. a StPO kantonal letztinstanzlicher Entscheid eines Zwangsmassnahmengerichts. Dagegen steht gemäss Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BGG die Beschwerde in Straf-sachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offen. 
 
2.  
 
2.1. Der angefochtene Entsiegelungsentscheid schliesst die Strafuntersuchung nicht ab und betrifft weder die Zuständigkeit noch ein Ausstandsbegehren im Sinne von Art. 92 BGG. Demnach ist er gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur dann unmittelbar mit Beschwerde an das Bundesgericht anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Beim drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne dieser Bestimmung muss es sich um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Nicht wieder gutzumachend bedeutet, dass er auch mit einem für die beschwerdeführende Person günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behoben werden kann. Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 144 IV 321 E. 2.3; je mit Hinweisen). Woraus sich der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben soll, ist in der Beschwerdeschrift darzulegen, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 141 IV 284 E. 2.3, 289 E. 1.3, je mit Hinweisen).  
 
2.2. Wird im Entsiegelungsverfahren ausreichend substanziiert geltend gemacht, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die Offenbarung eines Geheimnisses nicht rückgängig gemacht werden kann. Werden dagegen (lediglich) andere Beschlagnahmehindernisse wie insbesondere ein mangelnder Deliktskonnex geltend gemacht, fehlt es grundsätzlich am nicht wieder gutzumachenden Nachteil (Urteile 7B_58/2023 vom 10. Juli 2023 E. 2.1; 1B_155/2023 vom 10. Mai 2023 E. 1.2; 1B_591/2022 vom 21. Dezember 2022 E. 4.1; 1B_40/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 2.1; teilweise mit weiteren Hinweisen). Dies muss auch gelten, wenn das Zwangsmassnahmengericht - wie hier mangels hinreichenden Siegelungsbegehrens - gar nicht auf das Entsiegelungsbegehren eintritt, sondern den/die Datenträger ohne Prüfung der Entsiegelungsvoraussetzungen zur Durchsuchung freigibt (vgl. zu dieser Konstellation Urteil 1B_273/2021 vom 2. März 2022).  
 
2.3. Der Beschwerdeführer macht unter dem Gesichtspunkt des Eintretens auf die Beschwerde bloss geltend, der angefochtene Entscheid führe "zur Offenlegung der [von ihm] angerufenen Geheimnisse". Im materiellen Teil der Beschwerde führt er aus, er habe als Siegelungsgrund vorgebracht, dass sich auf dem Mobiltelefon schützenswerte "persönliche Inhalte von sich und einer Partnerin" respektive "seiner Partnerin" befänden. Solche allgemeinen Ausführungen vermögen jedoch nicht zu belegen, dass ihm durch die Entsiegelung - bzw. durch die Freigabe zur Durchsuchung - ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG droht (Urteile 1B_603/2022 vom 22. Februar 2023 E. 1.3.3; 1B_2/2019 vom 11. Juli 2019 E. 2.4). Die Beschwerde erweist sich aus diesem Grund als unzulässig und es ist nicht auf sie einzutreten.  
 
2.4. Im Übrigen ist zu beachten, dass sich mit derartigen Ausführungen auch im Verfahren vor dem kantonalen Zwangsmassnahmengericht keine schutzwürdigen Geheimnisinteressen begründen lassen, die der Entsiegelung nach Art. 248 Abs. 1 StPO entgegenstehen würden (so etwa Urteile 1B_40/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 2.2; 1B_427/2021 vom 21. Januar 2022 E. 6.5; 1B_78/2021 vom 11. November 2021 E. 3.2; 1B_564/2019 vom 17. Juni 2020 E. 6.2). Der vom Beschwerdeführer ins Feld geführte Art. 169 Abs. 4 StPO gibt einem mutmasslichen Opfer einer Straftat gegen seine sexuelle Integrität zwar das Recht, die Aussage auf intime Fragen zu verweigern. Daraus folgt jedoch nicht, dass zum Vornherein keine untersuchungsrelevanten Aufzeichnungen auf seinem sichergestellten Mobiltelefon als Beweismittel erhoben werden dürften (Urteil 1B_399/2022 vom 22. Februar 2023 E. 4.3 mit Hinweisen).  
 
 
3.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, da sich die Beschwerde als aussichtslos erweist (Art. 64 BGG). Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Luzern, Einzelrichterin, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. August 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger