7B_21/2022 21.03.2024
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_21/2022  
 
 
Urteil vom 21. März 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Lustenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Kenad Melunovic Marini, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, 
Postfach 157, 4502 Solothurn, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Entschädigung nach Einstellung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts 
des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, 
vom 8. Juni 2022 (BKBES.2022.46). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Am 27. Mai 2021 fand in einem Zug der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) auf der Strecke Zürich-Altstetten eine Kontrolle der Fahrausweise statt. Dabei konnte festgestellt werden, dass B.________ ein nicht auf ihn, sondern auf A.________ lautendes Ersatz-Generalabonnement (GA) mit einer gefälschten Unterschrift vorzeigte.  
Gestützt auf diesen Sachverhalt erstattete die SBB Transportpolizei am 18. Juni 2021 Strafanzeige gegen B.________ wegen Urkundenfälschung, Fälschung von Ausweisen, geringfügigen Erschleichens einer Leistung sowie Benützen eines Fahrzeuges ohne gültigen Fahrausweis oder andere Berechtigungen. Gegen A.________ reichte sie wegen "Mittäterschaft bzgl. Urkundenfälschung und Fälschung von Ausweisen" Strafanzeige ein. 
 
A.b. Am 22. Juli 2021 eröffnete die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen des Verdachts der Fälschung von Ausweisen (Art. 252 StGB), evtl. der Gehilfenschaft dazu (Art. 252 i.V.m. Art. 25 StGB).  
Mit Strafbefehl vom 17. Dezember 2021 wurde A.________ der Gehilfenschaft zur Fälschung von Ausweisen schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je Fr. 160.-- sowie zur Tragung der Verfahrenskosten von Fr. 400.-- verurteilt. 
 
A.c. Der zwischenzeitlich mandatierte Rechtsanwalt Kenad Melunovic Marini erhob am 21. Dezember 2021 namens und im Auftrag von A.________ Einsprache gegen den Strafbefehl.  
Gestützt auf die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 13. Januar 2021, wonach die Einsprache zu begründen sei, reichte Rechtsanwalt Melunovic Marini am 26. Januar 2022 die Einsprachebegründung ein. Zusammengefasst machte er geltend, B.________ habe das Ersatz-GA ohne Wissen und Wollen von A.________ verwendet. Von einer Gehilfenschaft könne nicht ausgegangen werden. 
 
A.d. Mit Verfügung vom 10. März 2022 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen A.________ wegen des Verdachts der Gehilfenschaft zur Fälschung von Ausweisen vollumfänglich ein. Es wurde keine Entschädigung oder Genugtuung ausgerichtet und die Verfahrenskosten gingen zu Lasten des Kantons Solothurn.  
 
B.  
A.________ erhob am 25. März 2022 insoweit Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung, als er die Ausrichtung einer Entschädigung verlangte. 
Mit Verfügung vom 8. Juni 2022 wies das Obergericht des Kantons Solothurn die Beschwerde ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________ dem Bundesgericht, der Beschwerdeentscheid sei aufzuheben und ihm sei eine Parteientschädigung vom Fr. 733.45 (inkl. Auslagen und 7.7 % MWST) zuzusprechen. 
Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassung verzichtet. 
Die Akten des vorinstanzlichen Verfahrens wurden wie beantragt beigezogen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über die Entschädigungsfolgen eines Strafverfahrens. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offen. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer moniert, die Vorinstanz habe ihm zu Unrecht eine Entschädigung nach Art. 429 Abs. 1 StPO verweigert. 
 
2.1. Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO insbesondere Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte. Nach Abs. 2 desselben Artikels prüft die Strafbehörde den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldigte Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen.  
Zu den Aufwendungen im Sinne von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO zählen in erster Linie die Kosten der frei gewählten Verteidigung, wenn der Beistand angesichts der tatsächlichen oder rechtlichen Komplexität wie auch die Höhe des Arbeitsaufwands gerechtfertigt sind (BGE 142 IV 45 E. 2.1; Urteile 7B_12/2021 vom 11. September 2023 E. 3.1.1; 6B_1282/2021 vom 7. September 2022 E. 4.3.1; 6B_380/2021 vom 21. Juni 2022 E. 2.2.1). Einer beschuldigten Person wird in der Regel der Beizug eines Anwalts zugebilligt, wenn dem Deliktsvorwurf eine bestimmte Schwere zukommt. Deshalb wird bei Verbrechen und Vergehen nur in Ausnahmefällen schon der Beizug eines Anwalts an sich als nicht angemessene Ausübung der Verfahrensrechte bezeichnet werden können (BGE 138 IV 197 E. 2.3.5; Urteile 6B_1282/2021 vom 7. September 2022 E. 4.3.1; 6B_73/2021 vom 28. Februar 2022 E. 3.3.1). Zu beachten ist, dass es im Rahmen von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO um die Verteidigung einer vom Staat zu Unrecht beschuldigten und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren einbezogenen Person geht. Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht sind zudem komplex und stellen insbesondere für Personen, die das Prozessieren nicht gewohnt sind, eine Belastung und eine grosse Herausforderung dar. Wer sich selbst verteidigt, dürfte deshalb prinzipiell schlechter gestellt sein. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Schwere des Deliktsvorwurfs. Selbst bei blossen Übertretungen darf deshalb nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigungskosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat. Beim Entscheid über die Angemessenheit des Beizugs eines Verteidigers sind sodann neben der Schwere des Tatvorwurfs und der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Falls insbesondere auch die Dauer des Verfahrens und dessen Auswirkungen auf die persönlichen und beruflichen Verhältnisse der beschuldigten Person zu berücksichtigen (BGE 142 IV 45 E. 2.1; 138 IV 197 E. 2.3.5; Urteile 6B_1282/2021 vom 7. September 2022 E. 4.3.1; 6B_73/2021 vom 28. Februar 2022 E. 3.3.1; je mit Hinweisen). 
Ob der Beizug eines Anwalts und der von diesem betriebene Aufwand eine angemessene Ausübung der Verfahrensrechte darstellt und ob dem Beschuldigten folglich eine Entschädigung für die Verteidigungskosten gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO zugesprochen werden kann, ist eine Frage des Bundesrechts, die das Bundesgericht frei überprüft. Es auferlegt sich jedoch eine gewisse Zurückhaltung bei der Überprüfung der vorinstanzlichen Beurteilung, insbesondere der Frage, ob der geltend gemachte Aufwand vernünftig erscheint (BGE 142 IV 163 E. 3.2.1; 138 IV 197 E. 2.3.6; Urteile 7B_12/2021 vom 11. September 2023 E. 3.1.1; 6B_380/2021 vom 21. Juni 2022 E. 2.2.1). Massgebend für die Beurteilung der Angemessenheit des Beizugs einer Verteidigung sind die Umstände, die im Zeitpunkt der Mandatierung bekannt waren (Urteile 6B_1282/2021 vom 7. September 2022 E. 4.3.1; 6B_73/2021 vom 28. Februar 2022 E. 3.3.1; je mit Hinweisen). 
 
2.2. Gemäss Art. 354 Abs. 2 StPO sind Einsprachen gegen Strafbefehle zwar zu begründen; ausgenommen ist jedoch gerade die Einsprache der beschuldigten Person. Die Einsprachemöglichkeit soll der beschuldigten Person nicht durch das Erfordernis einer Begründung erschwert werden (Michael Daphinoff, in: Basler Kommentar, 3. Aufl., 2023, N. 36 zu Art. 354 StPO; Gilliéron/Killias, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl., 2019, N. 6 zu Art. 354 StPO; je unter Hinweis auf die Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1291).  
 
2.3. Die Vorinstanz erwägt, für den Beschwerdeführer habe sich für das gesamte Verfahren von Anfang an einzig die Frage gestellt, ob er an der Tat von B.________ beteiligt gewesen sei oder nicht. Mit Blick darauf, dass der Beschwerdeführer konstant jegliche Schuld von sich gewiesen habe, sei die Frage, wie durch die Staatsanwaltschaft ein allfälliger Schuldspruch rechtlich qualifiziert werden würde (Urkundenfälschung, Fälschung von Ausweisen in Mittäterschaft oder Gehilfenschaft zur Fälschung von Ausweisen), für den Beschwerdeführer nicht von Bedeutung gewesen. Es hätten sich zu keinem Zeitpunkt komplexe tatsächliche oder rechtliche Fragen gestellt, die zwingend den Beizug eines Verteidigers erfordert hätten. Auch sei nicht von einer langen Verfahrensdauer auszugehen, welche Auswirkungen auf die beruflichen oder persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers gehabt hätte. Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass sich der Sachverhalt objektiv überschaubar präsentiert habe und ohne weitergehende Beweismassnahmen sowie ohne grösseren Aufwand habe geklärt werden können, sei nicht zu beanstanden. Daran ändere auch nichts, dass der Beschwerdeführer mit Strafbefehl der Gehilfenschaft zur Fälschung von Ausweisen schuldig gesprochen worden sei: Er sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass eine Einsprache bei der Staatsanwaltschaft erfolgen könne. Damit hätte er ohne Weiteres mit einem einfachen Schreiben mitteilen können, dass er mit der Ausfällung eines Strafbefehls nicht einverstanden sei. Dass sich keine besonderen rechtlichen Fragen gestellt hätten, lasse sich auch der Einsprachebegründung des Verteidigers vom 26. Januar 2022 entnehmen, beschränke sich diese doch einzig darauf, anzuführen, dass das streitige Ersatz-GA vom Täter ohne Wissen und Wollen des Beschwerdeführers verwendet worden sei.  
 
2.4. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Nachdem der Beschwerdeführer zunächst einen verurteilenden Strafbefehl erhalten hat, in dem ihm Gehilfenschaft zur Fälschung von Ausweisen vorgeworfen worden ist, mandatierte er einen Rechtsanwalt. Auf dessen Einsprache hin forderte die Staatsanwaltschaft den Beschwerdeführer bzw. den Rechtsanwalt auf, die Einsprache entgegen der Bestimmung von Art. 354 Abs. 2 StPO und damit ausserhalb der gesetzlich vorgesehenen Abläufe zu begründen. Die Staatsanwaltschaft konnte in der Folge bei ihrem Einstellungsentscheid auf die geordnete und auf den konkreten Deliktsvorwurf fokussierte Tatsachendarstellung abstellen, die ein professioneller Rechtsvertreter in der staatsanwaltlich eingeforderten Einsprachebegründung vorgenommen hat. Dem Beschwerdeführer unter diesen Umständen vorzuwerfen, die Sache sei klar bzw. wenig komplex, weshalb sich die Ausrichtung einer Parteientschädigung erübrige, hat etwas in sich Widersprüchliches, ist doch die Klarheit gerade dem Umstand zu verdanken, dass sich ein professioneller Verteidiger des Falles angenommen hat. Das gilt umso mehr, als Tatbestände wie namentlich Urkundenfälschung und Figuren wie Mittäterschaft und Gehilfenschaft im Raum standen. Damit kann aber dem Beschwerdeführer eine Entschädigung für die Ausübung seiner Verfahrensrechte nach Treu und Glauben nicht verweigert werden.  
 
3.  
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als begründet und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zuspricht und die Kosten des Beschwerdeverfahrens neu regelt. 
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Solothurn hat den obsiegenden Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 8. Juni 2022 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Solothurn hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. März 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lustenberger