7B_217/2022 09.10.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_217/2022  
 
 
Urteil vom 9. Oktober 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Hofmann, 
Gerichtsschreiber Caprara. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gregor Benisowitsch, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, Hermann-Götz-Strasse 24, Postfach, 8401 Winterthur, 
2. B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Weber, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Nichtanhandnahme (Nötigung, Freiheitsberaubung), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 16. Februar 2022 (UE210174-O/U/HON > HEI). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ erstattete am 2. Februar 2021 Strafanzeige gegen B.________ wegen Nötigung, eventuell Freiheitsberaubung. Dieser soll ihr an ihrem Wohnort in U.________ am 19. September 2020, zwischen 11.00 Uhr und 11.30 Uhr, nach Beendigung eines Gesprächs über hausinterne Probleme in den Lift gefolgt sein. Um sich der bedrohlichen Nähe von B.________ zu entziehen, habe A.________ den Türöffnungsknopf drücken wollen. Dies habe B.________ aber verhindert, indem er ihr den Zugang zur Liftsteuerung und zum Liftausgang verwehrt habe. B.________ sei mit ausgebreiteten Armen auf sie zugegangen und habe sich in eine drohende Position gebracht. Hierauf habe sie ihn aufgefordert, zur Seite zu gehen, und habe ihn gleichzeitig mit den Händen gegen den Brustbereich gestossen, damit er den Weg freigebe. Ihre Intervention habe indessen keinerlei Wirkung gezeigt, weil er als deutlich grössere und stärkere Person in seiner Position verharrt habe. 
Gemäss Strafanzeige soll zudem B.________ am 30. November 2020 am Zugang zum gemeinschaftlich genutzten Dach ein Vorhängeschloss angebracht und auf diese Weise verhindert haben, dass ein von A.________ mit der Wohnungssanierung beauftragter Fachmann Zugang zum Dach erhalte. Der avisierte Verwalter habe B.________ dazu gebracht, das Vorhängeschloss zu öffnen. Anschliessend sei A.________ gemeinsam mit dem Fachmann und B.________ auf das Dach gestiegen. Nachdem die beiden Männer das Dach wieder verlassen hätten und A.________ sich noch oben aufgehalten habe, soll B.________ ihr mitgeteilt haben, er werde das Dach wieder abschliessen, wenn sie nicht innert nützlicher Frist hinunterkäme. Weil sie befürchtet habe, auf dem Dach ausgesperrt zu werden, sei sie sofort nach unten gestiegen. 
 
B.  
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland erliess am 26. Mai 2021 eine Nichtanhandnahme- und Überweisungsverfügung. Darin hielt sie unter anderem fest, dass der Tatbestand der Nötigung zum Nachteil von A.________ weder im Zusammenhang mit dem Vorfall im Lift noch demjenigen auf dem Dach erfüllt worden sei und bezüglich des Geschehensablaufs ohnehin unüberwindbare Divergenzen in den Aussagen der Parteien vorlägen. Aus diesem Grund sei gegen B.________ keine Strafuntersuchung zu eröffnen. 
Eine dagegen gerichtete Beschwerde von A.________ wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 16. Februar 2022 ab. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 16. Februar 2022 sei unter Neuregelung der Kosten- sowie Entschädigungsfolgen aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland sei zu verpflichten, ein Strafverfahren gegen B.________ zu eröffnen. Die Gerichtskosten vor Bundesgericht seien gemäss Ausgang des Verfahrens zu verlegen und ihr sei eine angemessene Entschädigung für den Aufwand ihrer Rechtsvertretung zuzusprechen. 
Das Obergericht des Kantons Zürich hat mit Eingabe vom 25. August 2023 auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet. Die Staatsanwaltschaft lässt sich mit Eingabe vom 28. August 2023 vernehmen und beantragt die Abweisung der Beschwerde, unter Kostenfolgen zulasten der Beschwerdeführerin. Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen in der Nichtanhandnahmeverfügung vom 26. Mai 2021 und im angefochtenen Beschluss. B.________ reicht am 5. September 2023 eine Beschwerdeantwort ein. Er beantragt, die Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Die Verfahrenskosten seien der Beschwerdeführerin aufzuerlegen. Ihm sei eine angemessene, bundesgerichtlich festzusetzende Parteientschädigung (inkl. MWST) zuzusprechen. A.________ wurden am 11. September 2023 die eingegangenen Vernehmlassungen zur Kenntnisnahme zugestellt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG ist die Privatklägerschaft zur Beschwerde in Strafsachen nur berechtigt, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann. Als Zivilansprüche im Sinne der genannten Bestimmung gelten solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. In erster Linie handelt es sich um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR (BGE 146 IV 76 E. 3.1; 141 IV 1 E. 1.1; je mit Hinweisen).  
Richtet sich die Beschwerde gegen die Einstellung oder Nichtanhandnahme eines Verfahrens, hat die Privatklägerschaft nicht notwendigerweise bereits vor den kantonalen Behörden eine Zivilforderung geltend gemacht. Die Privatklägerschaft muss vor Bundesgericht in jedem Fall darlegen, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderung auswirken kann. Das Bundesgericht stellt an die Begründung der Legitimation strenge Anforderungen. Genügt die Beschwerde diesen Begründungsanforderungen nicht, kann auf sie nur eingetreten werden, wenn aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um welche Zivilforderungen es geht (BGE 141 IV 1 E. 1.1; 138 IV 186 E. 1.4.1; je mit Hinweisen). 
 
1.2. Eine Genugtuung nach Art. 49 OR ist nur geschuldet, sofern die Schwere der Persönlichkeitsverletzung dies rechtfertigt. Der Eingriff muss aussergewöhnlich schwer sein und in seinen Auswirkungen das Mass einer Aufregung oder einer alltäglichen Sorge klar übersteigen. Leichte Persönlichkeitsverletzungen, wie beispielsweise unbedeutende Ehrverletzungen, rechtfertigen deshalb von vornherein keine finanzielle Genugtuung (Urteile 6B_1302/2022 vom 3. April 2023 E. 1.3; 6B_869/2022 vom 22. März 2023 E. 1.3.2; je mit Hinweisen). Inwiefern die Persönlichkeitsverletzung objektiv und subjektiv schwer wiegt, ist in der Beschwerde an das Bundesgericht darzulegen (Urteile 6B_807/2022 vom 2. August 2022 E. 2; 6B_559/2021 vom 29. Juni 2021 E. 1.4; 6B_736/2020 vom 28. Mai 2021 E. 1.2; je mit Hinweisen).  
 
1.3. Die Beschwerdeführerin macht gegen den Beschwerdegegner 2 Zivilansprüche unter dem Titel Genugtuung und Schadenersatz geltend. Sie bringt betreffend Genugtuung zur Begründung vor, sie sei durch das Ereignis der vom Beschwerdegegner 2 erzwungenen Liftfahrt in den Keller in ihrem Sicherheitsempfinden nachhaltig erschüttert worden. Die Höhe einer angemessenen Genugtuung müsse vom urteilenden Gericht festgelegt werden. Betreffend Schadenersatz macht sie die Deckung der vom Beschwerdegegner 2 verursachten Therapiekosten im Umfang von Fr. 600.-- geltend. Als Beleg reicht sie eine Quittung einer Praxis für Traumatherapie ein (Beschwerde S. 3, S. 11).  
 
1.4.  
 
1.4.1. Die subjektive Wahrnehmung der Beschwerdeführerin, wonach sie in ihrem Sicherheitsgefühl erschüttert worden sei (vgl. E. 1.3 hiervor), reicht nicht aus zur Annahme einer schweren Verletzung, die eine Genugtuung rechtfertigen würde. Es genügt nämlich nicht, dass die Folgen des Ereignisses aus Sicht der Betroffenen (d.h. subjektiv) schwer wiegen. Vielmehr muss die Persönlichkeitsverletzung auch objektiv als schwer qualifiziert werden können (vgl. Urteile 6B_1302/2022 vom 3. April 2023 E. 1.3; 6B_810/2020 vom 14. September 2020 E. 1.3; vgl. oben E. 1.2). Weshalb eine "erzwungene Liftfahrt", die gemäss Angaben der Beschwerdeführerin lediglich ca. 30 Sekunden gedauert habe (vgl. pol. Einvernahmeprotokoll S. 5), generell (d.h. objektiv) geeignet sein soll, eine schwere seelische Unbill im Sinne der dargelegten bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu bewirken, legt die Beschwerdeführerin nicht hinreichend dar und ist im Übrigen nicht ohne Weiteres ersichtlich. Damit einhergehend vermag die Beschwerdeführerin nicht darzulegen, inwiefern ihr vorliegend eine Genugtuung zustehen könnte.  
 
1.4.2. Dass aufgrund der angezeigten "erzwungenen Liftfahrt" zivilrechtliche Schadenersatzansprüche der Beschwerdeführerin bestehen könnten, ist in Anbetracht des Deliktssachverhalts ebenfalls nicht ohne Weiteres ersichtlich (vgl. Urteil 6B_419/2022 vom 8. Juni 2022 E. 3). Es ist nämlich nicht leicht erkennbar und wird in der Beschwerde nicht näher erläutert, warum die Beschwerdeführerin nach dem 30-sekündigen Vorfall eine Praxis für Traumatherapie hätte aufsuchen müssen. Als Beleg für ihre Zivilforderung reicht sie eine Quittung einer Praxis für Traumatherapie betreffend Therapiekosten im Umfang von Fr. 600.-- ein; hingegen macht sie in ihrer Beschwerde nicht etwa geltend, dass diese Kosten von ihrer Krankenversicherung nicht (vollständig) gedeckt worden seien (vgl. Urteile 6B_1058/2020 vom 1. April 2021 E. 1.2; 6B_810/2020 vom 14. September 2020 E. 1.3; 6B_1035/2018 vom 21. November 2018 E. 2.2). Auch insofern ist nicht ersichtlich, inwiefern sie einen Vermögensschaden unmittelbar aus den angezeigten Straftaten erlitten hätte.  
 
1.4.3. Insgesamt fehlt es angesichts des Deliktssachverhalts - und nicht nur in der Beschwerde - an einer überzeugenden Begründung einer Zivilforderung. Auf die Beschwerde kann folglich in der Sache nicht eingetreten werden.  
 
2.  
 
2.1. Die Privatklägerschaft kann ungeachtet der fehlenden Legitimation in der Sache selbst vor Bundesgericht die Verletzung von Verfahrensrechten rügen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Zulässig sind Rügen, die formeller Natur sind und von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Nicht zu hören sind Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen (sog. "Star-Praxis"; BGE 146 IV 76 E. 2; 141 IV 1 E. 1.1; je mit Hinweisen). Eine in der Sache nicht legitimierte beschwerdeführende Partei kann deshalb weder die Beweiswürdigung kritisieren noch kann sie geltend machen, die Begründung sei materiell unzutreffend. Die Beurteilung dieser Fragen lässt sich nämlich regelmässig nicht von der Prüfung in der Sache selbst trennen (vgl. BGE 126 I 81 E. 7b; 118 Ia 232 E. 1a; Urteil 7B_129/2022 vom 19. Juli 2023 E. 1.3.2; je mit Hinweisen).  
 
2.2. Solche formellen Rügen erhebt die Beschwerdeführerin nicht. Sie macht in ihrer Beschwerde zwar eine Verletzung der Verfahrensfairness und des rechtlichen Gehörs geltend, da die Vorinstanz übersehen habe, dass bei den Akten nicht bloss eine Strafanzeige liege, sondern zusätzlich am 25. Februar 2021 ihre polizeiliche Befragung durchgeführt worden sei, anlässlich welcher sie den exakten Sachverhalt mit eigenen Worten geschildert habe (Beschwerde S. 7 f.). Indes zielt dieses Vorbringen auf eine unzulässige Überprüfung in der Sache selbst ab, da die Beschwerdeführerin ihre Rügen letztlich mit der ihres Erachtens unzulässigen Nichtanhandnahme begründet (vgl. Urteil 7B_217/2023 vom 10. Juli 2023 E. 5). Eine formelle Rechtsverweigerung im Sinne der "Star-Praxis" ist damit nicht dargetan.  
 
3.  
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Staatsanwaltschaft hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner 2 eine Entschädigung von Fr. 200.-- auszurichten. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Caprara