6B_824/2023 29.08.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_824/2023  
 
 
Urteil vom 29. August 2023  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Muschietti, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung besondere Lage, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 15. Mai 2023 
(SK 22 655). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
In Bestätigung des Urteils des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom 21. September 2022 verurteilte das Obergericht des Kantons Bern den Beschwerdeführer am 15. Mai 2023 wegen Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung besondere Lage durch Nichttragen einer Gesichtsmaske, begangen am 27. Februar 2021 in Bern, zu einer Übertretungsbusse von Fr. 100.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag) und zur Bezahlung der erst- und zweitinstanzlichen Verfahrenskosten. 
 
2.  
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung der Verurteilung und die Zusprechung einer Entschädigung. Er anerkennt den ihm zur Last gelegten Sachverhalt, macht vor Bundesgericht, wie bereits zuvor im kantonalen Verfahren, jedoch - stark zusammengefasst - geltend, die bundesrätliche Notrechtskompetenz sei zu Unrecht in Anspruch genommen worden. Der Bundesrat habe seine "Beweislast" für das Vorliegen der Voraussetzungen einer besonderen Lage im Sinne des Epidemiegesetzes (EpG) nicht wahrgenommen. Die deshalb vorzunehmende Normenkontrolle müsse dazu führen, die in der Covid-19-Verordnung enthaltenen Strafbestimmungen wegen Verfassungswidrigkeit und Überschreitens der bundesrätlichen Verordnungskompetenz für nicht anwendbar zu erklären. Die Bedingungen für die Annahme einer besonderen Lage hätten auch nicht vorgelegen. Die Gefährlichkeit der Covid-19-Erkrankung habe im unteren Bereich der saisonalen Grippeerkrankung gelegen. Dieser Erkenntnis entgegenstehende Gerichtsurteile könnten nicht aufrechterhalten werden. Die Voraussetzungen für eine Anwendung des EpG hätten nie vorgelegen und Art. 83 EpG sowie dessen Art. 40 hätten den Bundesrat nicht dazu ermächtigt, neue Strafrechtstatbestände zu schaffen. Es liege ein Verstoss gegen das Legalitätsprinzip und den Grundsatz der "lex mitior" vor, zumal die angesprochenen Verordnungen zum Zeitpunkt der vorinstanzlichen Urteile nicht mehr bestanden hätten. 
 
3.  
Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Die beschwerdeführende Partei kann in der Beschwerdeschrift nicht bloss erneut die Rechtsstandpunkte bekräftigen, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, sondern muss mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 148 IV 205 E. 2.6 mit Hinweis). Die Bestimmungen von Art. 95 ff. BGG nennen die vor Bundesgericht zulässigen Beschwerdegründe. Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der Anfechtung des Sachverhalts wegen Willkür; vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) besteht eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2). 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz setzt sich in ihrem Urteil mit sämtlichen Kritikpunkten eingehend auseinander. Sie stützt sich hierbei namentlich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, die sich mit den in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen bereits vertieft befasst hat, so z.B. mit der Frage der Ermächtigung des Bundesrats zur Anordnung von Massnahmen gegenüber der Bevölkerung bei Vorliegen einer besonderen Lage, der gesetzlichen Grundlage der Verhaltensnormen, u.a. der Maskentragpflicht, und der Strafnormen/Sanktionen, dem Legalitätsprinzip, der Rechts- und Verhältnismässigkeit der Maskentragpflicht sowie der Beurteilung der Covid-19-Krankheit als Pandemie (siehe u.a. BGE 148 I 33 E. 5; 148 I 19 E. 4; 147 I 450 E. 3; 147 I 393 E. 4 und 5 [betreffend Maskentragpflicht in Geschäften]; Urteile 2C_183/2021 vom 23. November 2021 E. 3.3 f.; 6B_324/2022 vom 16. Dezember 2022 E. 2.3.2 und 6B_1433/2021 vom 3. März 2022 E. 3.3). Darauf ist nicht zurückzukommen. Folglich kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz in Anwendung von Art. 109 Abs. 3 BGG vollumfänglich verwiesen werden, ohne dass ihnen etwas beizufügen und auf die in der Beschwerde erhobene Kritik ein weiteres Mal einzugehen wäre. Das Vorbringen, die Covid-19-Verordnung besondere Lage generell für nicht anwendbar zu erklären, kommt davon abgesehen einer abstrakten Normenkontrolle gleich und ist bzw. wäre damit ohnehin unzulässig (Art. 189 Abs. 4 BV). Dass und inwiefern der Beschwerdeführer durch die Verpflichtung, eine Gesichtsmaske zu tragen, und durch die ihm auferlegte Busse konkret in seinen verfassungsmässigen Rechten verletzt worden wäre, legt er im Übrigen in seiner Beschwerde nicht dar (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) und ist auch nicht ersichtlich.  
 
4.2. Soweit sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt stellt, die Covid-19-Verordnung besondere Lage sei zum Zeitpunkt der vorinstanzlichen Verurteilungen nicht mehr in Kraft gewesen mit der Folge, dass seine Strafbarkeit in Anwendung der "lex mitior-Regel" entfalle, bleibt Folgendes festzuhalten:  
 
4.2.1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 StGB wird nach diesem Gesetz bestraft, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder ein Vergehen begeht. Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist (Art. 2 Abs. 2 StGB). Der Grundsatz der "lex mitior" gilt auch bei Übertretungen (siehe Art. 104 StGB) und im Nebenstrafrecht (vgl. Art. 333 Abs. 1 StGB), jedoch nicht für Zeitgesetze, d.h. nicht für Erlasse, deren Geltung ausdrücklich oder gemäss der Funktion des Erlasses von vornherein zeitlich beschränkt ist (vgl. BGE 116 IV 258 E. 4; 105 IV 1 E. 1; 102 IV 198 E. 2b mit Hinweisen). Späteres milderes Recht (einschliesslich der Suspendierung oder der ersatzlosen Aufhebung des Zeitgesetzes) wirkt somit nicht auf die Beurteilung der während der Geltungsdauer eines Zeitgesetzes begangenen Handlungen zurück (BGE 105 IV 1 E. 1). Die Aufhebung eines Zeitgesetzes beruht in der Regel nicht auf geänderter Rechtsanschauung, sondern auf geänderten tatsächlichen Verhältnissen (BGE 89 IV 113 E. 1a).  
 
4.2.2. Zum Zeitpunkt des dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Sachverhalts vom 27. Februar 2021 war die Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19. Juni 2020 (SR 818.101.26) mit Stand vom 8. Februar 2021 in Kraft. Es handelt sich dabei um ein Zeitgesetz im oben dargelegten Sinn, da die Verordnung von Anfang an auf die Dauer der besonderen Lage im Sinne von Art. 6 EpG und damit von vornherein zeitlich auf die Ausnahmesituation begrenzt war. Die besondere Lage und damit die letzten Massnahmen in der Covid-19-Verordung wurden per 1. April 2022 aufgehoben; die Rückkehr in die normale Lage erfolgte wegen der hohen Immunisierung der Bevölkerung und folglich geringen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Gesundheit (vgl. Medienmitteilung des Bundesrats vom 30. März 2020 "Coronavirus: Rückkehr in die normale Lage und Planung der Übergangsphase bis Frühling 2023") und war damit den geänderten tatsächlichen Verhältnissen geschuldet.  
 
4.2.3. Der Umstand, dass die Covid-19-Verordnung besondere Lage zum Zeitpunkt der vorinstanzlichen Urteile bereits nicht mehr in Kraft war, ändert an der Strafbarkeit der vom Beschwerdeführer während der Geltung der Verordnung begangenen Straftaten folglich nichts.  
 
5.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1, Art. 65 BGG). In Berücksichtigung des relativ geringen Aufwands ist eine reduzierte Entscheidgebühr angemessen (Art. 65 Abs. 2 BGG). Ausgangsgemäss besteht kein Anspruch auf eine Entschädigung. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 29. August 2023 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill