6B_1453/2022 08.06.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1453/2022  
 
 
Urteil vom 8. Juni 2023  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiberin Andres. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Johannes Michael Helbling, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 lit. c StGB), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 2. September 2022 (SB210455-O/U/ad). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte A.________ am 27. Mai 2021 wegen gewerbsmässigen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten, deren Vollzug es im Umfang von 18 Monaten aufschob, verwies ihn für sechs Jahre des Landes und ordnete die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem an. Ferner traf es die notwendigen Verfügungen, urteilte über die Zivilforderung und regelte die Kosten- sowie Entschädigungsfolgen. 
Gegen dieses Urteil erhob unter anderen A.________ Berufung. 
 
B.  
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte am 2. September 2022 zunächst fest, dass das bezirksgerichtliche Urteil teilweise in Rechtskraft erwachsen sei, und sprach A.________ des gewerbsmässigen Diebstahls schuldig. Von der Anordnung einer Landesverweisung sah es ab. Es traf die weiteren Verfügungen und regelte die Kosten- sowie Entschädigungsfolgen. 
 
C.  
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei teilweise aufzuheben, A.________ sei für die Dauer von sechs Jahren des Landes zu verweisen und es sei die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem anzuordnen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. 
 
D.  
Während das Obergericht auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet, lässt sich A.________ vernehmen, beantragt die Abweisung der Beschwerde und ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz stelle den Sachverhalt hinsichtlich der Landesverweisung unvollständig fest und verletze Art. 66a StGB, indem sie von einer Landesverweisung des Beschwerdegegners absehe. Sie anerkenne zwar, dass die Anordnung einer Landesverweisung einschneidend in die Lebensgestaltung und die familiären Verhältnisse des Beschwerdegegners eingreifen würde, weshalb ein persönlicher Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB vorliege. Jedoch könne der Vorinstanz nicht gefolgt werden, wenn sie die höhere Gewichtung der öffentlichen Interessen an einer Landesverweisung verneine. Die Vorinstanz weise zutreffend darauf hin, dass die öffentlichen Interessen an der Anordnung einer Landesverweisung gegenüber dem Beschwerdegegner erheblich seien und diesem die Rückkehr in sein Heimatland auch zumutbar sei. Jedoch gewichte sie die persönlichen Interessen des Beschwerdegegners zu Unrecht bzw. übermässig zu dessen Gunsten mit der Folge, dass sie die Verhältnismässigkeit einer Landesverweisung in Verletzung von Art. 66a Abs. 2 StGB verneine.  
 
1.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdegegner sei sri-lankischer Staatsangehöriger und habe zum Tatzeitpunkt über eine Aufenthaltsbewilligung B für die Schweiz verfügt. Der von ihm begangene gewerbsmässige Diebstahl stelle eine Katalogtat im Sinne von Art. 66a Abs. 1 lit. c StGB dar. Damit sei er grundsätzlich obligatorisch des Landes zu verweisen. Sie prüft in der Folge ausführlich, ob beim Beschwerdegegner von einem schweren persönlichen Härtefall auszugehen sei, was sie bejaht. Zudem geht sie davon aus, dass eine Landesverweisung des Beschwerdegegners ohne Weiteres den Schutzbereich von Art. 13 BV bzw. Art. 8 EMRK hinsichtlich seiner Beziehung zur Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern tangieren würde. Schliesslich wägt sie die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung und die persönlichen Interessen des Beschwerdegegners an einem weiteren Verbleib in der Schweiz eingehend gegeneinander ab und gelangt zum Schluss, dass sich die privaten Interessen des Beschwerdegegners und die öffentlichen Interessen im Grunde die Waage hielten, womit es sich um einen Grenzfall handle. Sie erwägt abschliessend, die lange Anwesenheitsdauer und die stabilen familiären Beziehungen des Beschwerdegegners in der Schweiz, seine Bemühungen zur Begleichung des verursachten Schadens und die sich abzeichnende positive Entwicklung in seinen Lebensverhältnissen seit der Haftentlassung erlaubten es vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise in Sri Lanka gerade noch, von der Anordnung einer Landesverweisung abzusehen (Urteil S. 15 ff.).  
 
1.3.  
 
1.3.1. Gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. c StGB verweist das Gericht den Ausländer, der wegen gewerbsmässigen Diebstahls (Art. 139 Ziff. 2 StGB) verurteilt wird, unabhängig von der Höhe der Strafe für 5-15 Jahre aus der Schweiz. Die obligatorische Landesverweisung wegen einer Katalogtat im Sinne von Art. 66a Abs. 1 StGB greift grundsätzlich unabhängig von der konkreten Tatschwere (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1; 144 IV 332 E. 3.1.3; Urteil 6B_33/2022 vom 9. Dezember 2022 E. 3.2.1).  
 
1.3.2. Von der Anordnung der Landesverweisung kann nur "ausnahmsweise" unter den kumulativen Voraussetzungen abgesehen werden, dass sie (1.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen (Art. 66a Abs. 2 Satz 1 StGB; sog. Härtefallklausel). Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind (Art. 66a Abs. 2 Satz 2 StGB). Die Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV; BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.1.2 und E. 3.3.1). Sie ist restriktiv anzuwenden (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.1 mit Hinweis).  
 
1.3.3. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich zur kriteriengeleiteten Prüfung des Härtefalls im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB der Kriterienkatalog der Bestimmung über den "schwerwiegenden persönlichen Härtefall" in Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) heranziehen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteil 6B_33/2022 vom 9. Dezember 2022 E. 3.2.3). Zu berücksichtigen sind namentlich der Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration, einschliesslich familiärer Bindungen des Ausländers in der Schweiz bzw. in der Heimat, die Aufenthaltsdauer, der Gesundheitszustand und die Resozialisierungschancen (BGE 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteile 6B_33/2022 vom 9. Dezember 2022 E. 3.2.3; 6B_1439/2021 vom 28. November 2022 E. 3.3.2; je mit Hinweisen). Bei der Härtefallprüfung ist nicht schematisch ab einer gewissen Aufenthaltsdauer eine Verwurzelung in der Schweiz anzunehmen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.4). Erforderlich sind besonders intensive, über eine normale Integration hinausgehende private Beziehungen beruflicher oder gesellschaftlicher Natur (vgl. BGE 144 II 1 E. 6.1; Urteil 6B_33/2022 vom 9. Dezember 2022 E. 3.2.3; je mit Hinweisen).  
Von einem schweren persönlichen Härtefall ist in der Regel bei einem Eingriff von einer gewissen Tragweite in den Anspruch des Ausländers auf das in Art. 13 BV und Art. 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auszugehen (Urteil 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.3.5 mit Hinweisen). Das durch Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ist berührt, wenn eine staatliche Entfernungs- oder Fernhaltemassnahme eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz gefestigt anwesenheitsberechtigten Person beeinträchtigt, ohne dass es dieser ohne Weiteres möglich bzw. zumutbar wäre, ihr Familienleben andernorts zu pflegen (BGE 144 I 266 E. 3.3; 144 II 1 E. 6.1; je mit Hinweisen; Urteile 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.4.1; 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.1). Zum geschützten Familienkreis gehört in erster Linie die Kernfamilie, d.h. die Gemeinschaft der Ehegatten mit ihren minderjährigen Kindern (BGE 147 I 268 E. 1.2.3; 145 I 227 E. 5.3 mit Hinweisen). 
 
1.3.4. Wird ein schwerer persönlicher Härtefall bejaht, entscheidet sich die Sachfrage in einer Interessenabwägung nach Massgabe der "öffentlichen Interessen an der Landesverweisung". Nach der gesetzlichen Systematik ist die obligatorische Landesverweisung anzuordnen, wenn die Katalogtaten einen Schweregrad erreichen, bei welchem die Landesverweisung zur Wahrung der inneren Sicherheit als notwendig erscheint. Diese Beurteilung lässt sich strafrechtlich nur in der Weise vornehmen, dass massgebend auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und auf die Legalprognose abgestellt wird (Urteile 6B_992/2022 vom 17. Februar 2023 E. 3.3.5; 6B_33/2022 vom 9. Dezember 2022 E. 3.2.4; 6B_1439/2021 vom 28. November 2022 E. 3.3.2; je mit Hinweisen).  
Berührt die Landesverweisung Gewährleistungen von Art. 8 Ziff. 1 EMRK, sind die Voraussetzungen von Art. 8 Ziff. 2 EMRK, insbesondere die Verhältnismässigkeit der Massnahme, zu prüfen (BGE 146 IV 105 E. 4.2 mit Hinweis). Art. 66a StGB ist EMRK-konform auszulegen. Die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB hat sich daher an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren (BGE 145 IV 161 E. 3.4; Urteile 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.3.6; 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.2.4; je mit Hinweisen). 
 
1.3.5. Für die Frage, ob der Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens "notwendig" im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK ist, sind nach der Rechtsprechung des EGMR insbesondere Natur und Schwere der Straftaten, die Dauer des Aufenthalts im Lande, die seit der Begehung der Straftaten verstrichene Zeit, das Verhalten des Betroffenen in dieser Zeit, die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufnahme- und im Heimatstaat, die Staatsangehörigkeit der betroffenen Familienmitglieder, die familiäre Situation des von der Massnahme Betroffenen, wie etwa die Dauer der Ehe oder andere Faktoren, welche für ein effektives Familienleben sprechen, eine allfällige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat zu Beginn der familiären Bindung, ob Kinder aus der Ehe hervorgingen und falls ja, deren Alter, sowie die Schwierigkeiten, mit welchen der Ehegatte im Heimatland des anderen konfrontiert sein könnte, zu berücksichtigen (Urteile 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.4.1 und 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.1 je mit Hinweis auf die Urteile des EGMR Z. gegen Schweiz vom 22. Dezember 2020 [Nr. 6325/15], § 57; I.M. gegen Schweiz vom 9. April 2019 [Nr. 23887/16], § 69; Kissiwa Koffi gegen Schweiz vom 15. November 2012 [Nr. 38005/07], § 63; Üner gegen Niederlande vom 18. Oktober 2006 [Nr. 46410/99], Recueil CourEDH 2006-XII S. 159 §§ 57 f.; Sezen gegen Niederlande vom 31. Januar 2006 [Nr. 50252/99], § 42; Boultif gegen Schweiz vom 2. August 2001 [Nr. 54273/00], Recueil CourEDH 2001-IX S. 137 § 48).  
Sind Kinder involviert, ist bei der Interessenabwägung als wesentliches Element zudem den Kindesinteressen und dem Kindeswohl Rechnung zu tragen (BGE 143 I 21 E. 5.5.1; Urteile des EGMR Usmanov gegen Russland vom 22. Dezember 2020 [Nr. 43936/18], § 56; Üner gegen Niederlande, a.a.O., § 58). In Bezug auf die Kinder des von der Landesverweisung betroffenen Elternteils berücksichtigt die Rechtsprechung insbesondere, ob die Eltern des Kindes zusammenleben und ein gemeinsames Sorge- und Obhutsrecht haben oder ob der von der Landesverweisung betroffene Elternteil das alleinige Sorge- und Obhutsrecht hat bzw. ob er gar nicht sorge- und obhutsberechtigt ist und seine Kontakte zum Kind daher nur im Rahmen eines Besuchsrechts pflegt (Urteile 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.4.2; 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.2).  
Minderjährige Kinder teilen das ausländerrechtliche Schicksal des obhutsberechtigten Elternteils (BGE 143 I 21 E. 5.4 mit Hinweisen). Die Landesverweisung des Elternteils, welcher die elterliche Sorge und alleinige Obhut über das Kind hat, führt daher dazu, dass das Kind faktisch gezwungen ist, die Schweiz zu verlassen (BGE 143 I 21 E. 5.4; 140 I 145 E. 3.3). Im Falle eines Schweizer Kindes steht die Wegweisung des Elternteils im Widerspruch zu den Rechten des Kindes, die diesem aufgrund von dessen Staatsangehörigkeit zustehen, wie die Niederlassungsfreiheit, das Rückschiebeverbot und das spätere Rückkehrrecht. Für diese Konstellation sieht die Rechtsprechung vor, dass im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK lediglich eine Widerhandlung gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit von einer gewissen Schwere das Recht des Schweizer Kindes, in der Schweiz aufzuwachsen, überwiegen kann (vgl. BGE 140 I 145 E. 3.3; 135 I 153 E. 2.2.2). Sind Kinder von der Landesverweisung mitbetroffen, sind insbesondere auch die Schwierigkeiten zu berücksichtigen, auf welche diese im Zielland treffen könnten (Urteil des EGMR Üner gegen Niederlande, a.a.O., § 58), wobei Kindern im anpassungsfähigen Alter der Umzug in das Heimatland nach der Rechtsprechung grundsätzlich zumutbar ist (BGE 143 I 21 E. 5.4; zum Ganzen: Urteile 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.4.2; 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.2; vgl. auch Urteil des EGMR Üner gegen Niederlande, a.a.O., § 64).  
Bei intakten familiären Verhältnissen mit gemeinsamem Sorge- und Obhutsrecht der Eltern führt die Landesverweisung zum Abbruch der eng gelebten Beziehung des Kindes zu einem Elternteil, wenn den übrigen Familienmitgliedern und insbesondere dem anderen, ebenfalls sorge- und obhutsberechtigten Elternteil ein Wegzug in das Heimatland des anderen Elternteils nicht zumutbar ist. Dies ist nicht im Interesse des Kindeswohls und spricht daher grundsätzlich gegen eine Landesverweisung. Eine Landesverweisung, die zu einer Trennung der vormals intakten Familiengemeinschaft von Eltern und Kindern führt, bildet einen Eingriff in das durch Art. 8 Ziff. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens (vgl. Urteile des EGMR Sezen gegen Niederlande, a.a.O., § 49; Mehemi gegen Frankreich [Nr. 2] vom 10. April 2003 [Nr. 53470/99], Recueil CourEDH 2003-IV S. 291 § 45), welcher im Interesse des Kindes nur nach einer eingehenden und umfassenden Interessenabwägung und nur aus ausreichend soliden und gewichtigen Überlegungen ("sufficiently sound and weighty considerations") erfolgen darf (vgl. Urteil des EGMR Olsson gegen Schweden [Nr. 1] vom 24. März 1988 [Nr. 10465/83], Serie A Bd. 130 § 72, zitiert im Urteil des EGMR Mehemi gegen Frankreich, a.a.O., § 45; zum Ganzen und mit Beispielen aus der Rechtsprechung des EGMR: Urteile 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.4.2 und E. 2.7.1; 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.2 und 3.3.3).  
 
1.3.6. Der EGMR verlangt, dass die nationalen Gerichte den Sachverhalt sorgfältig prüfen, eine ausreichende Interessenabwägung vornehmen und ihren Entscheid eingehend begründen (vgl. Urteile des EGMR E.V. gegen Schweiz vom 18. Mai 2021 [Nr. 77220/16], § 37 und 39; M.M. gegen Schweiz vom 8. Dezember 2020 [Nr. 59006/18], §§ 52 f.; je mit Hinweisen). Das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK gilt - in seiner verfahrensrechtlichen Tragweite - als verletzt, wenn keine umfassende, faire Interessenabwägung erfolgt (Urteile des EGMR I.M. gegen Schweiz, a.a.O., §§ 77 ff.; El Ghatet gegen Schweiz vom 8. November 2016 [Nr. 56971/10], §§ 52 ff.; Urteile 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.4.3; 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.4 mit Hinweisen).  
 
1.4.  
 
1.4.1. Der Beschwerdegegner, der aufgrund des damals in Sri Lanka herrschenden Bürgerkriegs im Alter von 14 Jahren mit seiner Familie in die Schweiz kam, in der Folge hier die Realschule besuchte, keine Berufsausbildung absolvierte, am 1. Oktober 2019 eine Schweizer Staatsangehörige mit sri-lankischen Wurzeln heiratete, mit dieser ein Kind hat und das zweite Kind im Frühjahr 2023 erwartet, ist ein Ausländer, der mit dem gewerbsmässigen Diebstahl eine Katalogtat gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. c StGB begangen hat, womit er grundsätzlich des Landes zu verweisen ist. Die Vorinstanz hat mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass die Landesverweisung für den Beschwerdegegner einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde. Da hiervon auch die Beschwerdeführerin ausgeht, kann diesbezüglich vollumfänglich auf die vorinstanzlichen Ausführungen verwiesen werden (vgl. Urteil S. 17 ff.). Umstritten und zu prüfen ist vorliegend, ob die öffentlichen Interessen an einer Landesverweisung des Beschwerdegegners dessen Interessen am weiteren Verbleib in der Schweiz überwiegen.  
 
1.4.2. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin vermögen die umfassende, sorgfältige und faire Interessenabwägung der Vorinstanz nicht zu erschüttern. Soweit die Beschwerdeführerin die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen beanstandet, ohne jedoch substanziiert Willkür aufzuzeigen, geschweige denn zu rügen, ist darauf mangels hinreichender Begründung nicht einzugehen (Art. 97 Abs. 1 und 106 Abs. 2 BGG; BGE 146 IV 88 E. 1.3.1).  
 
1.4.3. Mit der Vorinstanz ist hinsichtlich der öffentlichen Interessen zunächst festzustellen, dass der Beschwerdegegner innert eines relativ kurzen Deliktszeitraums von zweieinhalb Monaten insgesamt 14'089 Zigarettenstangen im Wert von knapp Fr. 1.2 Mio. zum Nachteil seiner (ehemaligen) Arbeitgeberin entwendete, wobei er direktvorsätzlich und nicht aus einer eigentlichen finanziellen Notlage heraus handelte, unter welchen Umständen sein Verschulden als erheblich zu werten ist (vgl. Urteil S. 22). In diesem Zusammenhang berücksichtigt die Vorinstanz zu Recht und ausreichend zu Lasten des Beschwerdegegners, dass ihn die bereits im Februar 2020 bestehenden stabilen familiären Beziehungen nicht vom Delinquieren abzuhalten vermochten (vgl. Urteil S. 23). Leicht zu Gunsten des Beschwerdegegners ist zu gewichten, dass er sich ab der dritten Einvernahme geständig zeigte und sich seit der Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug am 28. Oktober 2021 wohl verhielt. Die Legalprognose des Beschwerdegegners wird jedoch durch seine zahlreichen Vorstrafen erheblich belastet. Dabei weist die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass der Beschwerdegegner während knapp der Hälfte seiner 14-jährigen Anwesenheit in der Schweiz (von 2014 bis 2020) wiederholt delinquierte und weitere eineinhalb Jahre in Haft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug verbrachte, was auch die Vorinstanz berücksichtigt. So gelangt die Vorinstanz übereinstimmend mit der Beschwerdeführerin denn auch zu Recht zum Schluss, dass die wiederholte Delinquenz des Beschwerdegegners auf eine erhebliche Unbelehrbarkeit, Renitenz und Gleichgültigkeit schliessen lasse (Urteil S. 23; Beschwerde S. 6). Ebenso zutreffend führt die Vorinstanz aus, es sei davon auszugehen, dass der erstmalige Strafvollzug deutlichen Eindruck auf den Beschwerdegegner gemacht und einen gewissen Lerneffekt herbeigeführt habe, auf welches Argument die Beschwerdeführerin nicht eingeht (vgl. Urteil S. 23 und 25; Beschwerde S. 6). In gleichem Zusammenhang weist die Vorinstanz ergänzend darauf hin, das vorliegende Strafverfahren werde dem Beschwerdegegner vor Augen geführt haben, dass ihm als Ausländer im Falle einer Verurteilung wegen einer Katalogtat eine mehrjährige Landesverweisung drohe. Diese Einschätzung, wonach der ausgestandene Freiheitsentzug und die drohende Landesverweisung einen abschreckenden Einfluss auf den Beschwerdegegner gehabt haben dürften, ist nicht zu beanstanden. Damit braucht auf die Kritik der Beschwerdeführerin, wonach die Vorinstanz den Sachverhalt betreffend die Frage, was der Beschwerdegegner zum Tatzeitpunkt über die Landesverweisung gewusst habe, unvollständig abgeklärt habe, nicht näher eingegangen zu werden, zumal fraglich erscheint, ob diesbezüglich die qualifizierten Begründungsanforderungen erfüllt sind, da sich die Beschwerdeführerin nicht mit den Ausführungen der Vorinstanz, die sich auf die Aussagen des Beschwerdegegners stützen, auseinandersetzt (vgl. Urteil S. 23 f.; Beschwerde S. 6 f.).  
Mit der Vorinstanz ist hinsichtlich der Legalprognose sodann zu berücksichtigen, dass sich beim Beschwerdegegner bzw. in dessen Leben eine positive Entwicklung abzeichnet. Diesbezüglich mag es zwar mit der Beschwerdeführerin zutreffen, dass sich die Lebensverhältnisse des Beschwerdegegners zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils nicht wesentlich anders darstellten als zum Tatzeitpunkt (Beschwerde S. 5). Nichtsdestotrotz berücksichtigt die Vorinstanz bei der Interessenabwägung zu Recht, dass sich die Lebenssituation des Beschwerdegegners nach seiner Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug insofern positiv veränderte, als er erfolgreich eine Ausbildung zum Filialleiter abschloss und es ihm trotz seiner (selbstverschuldeten) geringen Chancen auf eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gelang, in der Gastonomiebranche eine Festanstellung zu einem Vollzeitpensum zu finden. Dabei übersieht die Vorinstanz jedoch nicht, dass es sich bei letzterem um eine "Notlösung" im Hinblick auf die Berufungsverhandlung gehandelt haben dürfte (vgl. Urteil S. 24). Ebenso wenig blendet die Vorinstanz aus, dass der Abschluss des Arbeitsvertrags, die Einigung mit der Privatklägerin über die Abzahlung des anerkannten Schadenersatzes und die Überweisung der ersten Rate nur zwei Wochen vor der Berufungsverhandlung und wohl im Hinblick auf die drohende Landesverweisung erfolgten. Sie hält zutreffend fest, dass dieser Umstand Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen des Beschwerdegegners aufkommen lasse, und bewertet die Bewährungsaussichten unter anderem gestützt darauf als zweifelhaft (vgl. Urteil S. 24; Beschwerde S. 5). Schliesslich ist betreffend die Legalprognose festzuhalten, dass sich der Beschwerdegegner seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug zwar wohl verhalten hat, die Bewährungszeit allerdings zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils erst zehn Monate betrug, was keine besondere Leistung darstellt. 
Angesichts des erheblichen Verschuldens, der zahlreichen Vorstrafen des Beschwerdegegners und der noch bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Bewährungsaussichten ist mit der Vorinstanz von erheblichen öffentlichen Interessen an der Anordnung der Landesverweisung auszugehen. Diesen stehen jedoch ebenso erhebliche private Interessen des Beschwerdegegners gegenüber. 
 
1.4.4. Gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen befindet sich der Lebensmittelpunkt des Beschwerdegegners seit seiner Ankunft im Jahr 2008 in der Schweiz. Hier lebt er mit seiner zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils schwangeren Frau und der gemeinsamen Tochter, die beide die schweizerische Staatsbügerschaft besitzen, zusammen und pflegt intensiven Kontakt zu seinen Eltern, den beiden Brüdern sowie seinem Freundes- bzw. Kollegenkreis in der Schweiz. Mit der Vorinstanz sind die persönlichen Beziehungen, welche den Beschwerdegegner mit der Schweiz verbinden, stark zu gewichten. Der Umstand, dass das zweite Kind erst nach dem erstinstanzlichen Urteil und damit im Wissen um die drohende Landesverweisung gezeugt wurde, führt entgegen der Beschwerdeführerin zu keiner von der vorinstanzlichen Würdigung abweichenden Bewertung der familiären Beziehungen des Beschwerdegegners (Beschwerde S. 4). Auch übersieht weder die Vorinstanz noch das Bundesgericht, dass der Beschwerdegegner nur wenige Monate nach seiner Heirat und der Geburt der gemeinsamen Tochter delinquierte und anschliessend 18 Monaten von ihnen getrennt war. Jedoch scheint seine Ehefrau während der langen Trennungszeit weiterhin zum Beschwerdegegner gehalten zu haben, hat ihm geschrieben und ihn über die Entwicklung der Tochter auf dem Laufenden gehalten sowie ihn regelmässig besucht. Mit der Vorinstanz spricht dies für die Tragfähigkeit der familiären Beziehung und der Verbundenheit des Beschwerdegegners mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter (vgl. Urteil S. 20). Gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen ist der Beschwerdegegner seit seiner Entlassung aus dem Freiheitsentzug stark in die Betreuung der Tochter eingebunden und kümmert sich insbesondere jeden zweiten Samstag alleine um diese, wenn seine Ehefrau Wochenenddienst leisten muss (vgl. Urteil S. 20). Hingegen scheint der Beschwerdegegner gemäss der vorinstanzlichen Einschätzung kein besonderes Bedürfnis oder Interesse daran gehabt zu haben, sich in der Schweiz ein soziales Umfeld ausserhalb der sri-lankischen Diasporagemeinschaft aufzubauen.  
Die Wiedereingliederung und Resozialisierung des Beschwerdegegners in seinem Heimatland dürfte mangels enger sozialer Beziehungen unbestrittenermassen schwierig werden. Gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen tauscht sich der Beschwerdegegner mit seinen Verwandten in Sri Lanka bloss sporadisch via Skype aus und hat seit seiner Ankunft in der Schweiz keinen persönlichen Kontakt mehr zu diesen gehabt. Er ist aufgrund seines Wegzugs im Alter von 14 Jahren nur noch bedingt mit den dortigen Lebens- und Arbeitsverhältnissen vertraut. Er hat angegeben, seit dem Jahr 2008 nie wieder für einen Kurzaufenthalt oder längere Ferien in Sri Lanka gewesen zu sein, womit seine Kenntnisse bzw. Erinnerungen an seine Heimat inzwischen nicht mehr den aktuellen Verhältnissen entsprechen dürften. Die Vorinstanz gelangt zutreffend zu der Erkenntnis, dass sich der Beschwerdegegner in seinem Heimatland eine gänzlich neue wirtschaftliche Existenz aufbauen müsste, was jedoch in Anbetracht seiner intakten Sprachkenntnisse und seines noch jungen Alters nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Mit der Vorinstanz lassen die zu erwartenden Schwierigkeiten des Beschwerdegegners bei der sozialen und beruflichen Integration im Heimatland die Anordnung einer Landesverweisung nicht unverhältnismässig erscheinen (vgl. Urteil S. 26). Auch erachtet die Vorinstanz eine Rückkehr des Beschwerdegegners in die Nordprovinz von Sri Lanka zutreffend als zumutbar (vgl. Urteil S. 28 f.). 
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Landesverweisung des Beschwerdegegners nicht im Interesse des Wohls seiner Kinder wäre. Gestützt auf die vorinstanzlichen Feststellungen ist von intakten familiären Verhältnissen mit gemeinsamem Sorge- sowie Obhutsrecht des Beschwerdegegners und seiner Ehefrau auszugehen. Die Vorinstanz führt aus, dass der Ehefrau, der Tochter und des zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils noch ungeborenen Kindes eine Übersiedlung nach Sri Lanka nicht zumutbar sei (Urteil S. 21 f.), was die Beschwerdeführerin nicht bestreitet. Damit würde die Anordnung der Landesverweisung unweigerlich zum Abbruch der eng gelebten Beziehung der Tochter zum Beschwerdegegner führen und mit seinem zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils noch ungeborenen Kind könnte der Beschwerdegegner aus der Ferne gar nicht erst eine tragfähige Beziehung aufbauen. Damit spricht auch das gewichtige Interesse des Kindeswohls vorliegend gegen die Anordnung der Landesverweisung. 
 
1.4.5. Nach Würdigung aller massgebenden Umstände ist mit der Vorinstanz festzuhalten, dass sich erhebliche öffentliche Interessen an der Anordnung der Landesverweisung des Beschwerdegegners und ebenso erhebliche private Interessen des Beschwerdegegners am weiteren Verbleib in der Schweiz gegenüber stehen und sich die Waage halten. Folglich überwiegen die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung die privaten Interessen des Beschwerdegegners am weiteren Verbleib in der Schweiz im Ergebnis gerade noch nicht, womit die Voraussetzungen gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB für ein Absehen von einer Landesverweisung erfüllt sind. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass bei dieser Beurteilung entgegen der Einschätzung der Vorinstanz nicht massgebend auf die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise in Sri Lanka abgestellt werden darf. Dass die Wirtschaftslage in Sri Lanka schwieriger als in der Schweiz ist, vermag eine Landesverweisung nicht zu verhindern (vgl. Urteile 6B_1372/2021 vom 3. März 2022 E. 2.2.5; 6B_759/2021 vom 16. Dezember 2021 E. 4.3.3; 6B_118/2020 vom 2. September 2020 E. 1.4). Da die Vorinstanz ohne Rechtsverletzung von der Anordnung einer Landesverweisung absieht, erübrigt es sich, auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Dauer der Landesverweisung und der Ausschreibung im Schengener Informationssystem einzugehen.  
 
2.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Beschwerdegegner obsiegt mit seinem Antrag auf Abweisung der Beschwerde, weshalb er vom Kanton Zürich für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen ist (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Damit wird sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos. Die Parteientschädigung ist praxisgemäss dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners auszurichten. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners, Rechtsanwalt Johannes Helbling, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. Juni 2023 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres