1C_191/2022 16.05.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_191/2022  
 
 
Urteil vom 16. Mai 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Müller, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Walter Locher, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. B.________, 
2. C.________, 
3. E.D.________ und F.D.________, 
4. H.G.________ und I.G.________, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Michael Nagel, 
5. J.________, 
6. K.________, 
Beschwerdegegnerschaft, 
 
Politische Gemeinde Wildhaus-Alt St. Johann, Gemeinderat, Hauptstrasse 40, 9656 Alt St. Johann, 
Bau- und Umweltdepartement des Kantons St. Gallen, Lämmlisbrunnenstrasse 54, 9001 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Teilstrassenplan Rietstrasse, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen, Abteilung I, vom 13. Februar 2022 (B 2021/45). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
L.________ ist Eigentümer der Parzelle Nr. 424W in Wildhaus-Alt St. Johann. Das Grundstück ist unüberbaut und liegt teils in der Wohnzone, teils in der Wohn- und Gewerbezone sowie in der Landwirtschaftszone. Im Süden grenzt es an die Kantonsstrasse. Sein nördlicher Teil besitzt keine Anbindung an eine öffentliche Strasse.  
Am 9. März 2017 erliess der Gemeinderat Wildhaus-Alt St. Johann auf Antrag der A.________ AG den Teilstrassenplan Rietstrasse mit Strassenprojekt. Der Teilstrassenplan sieht die Umklassierung der Rietstrasse von einer Gemeindestrasse dritter Klasse in eine Gemeindestrasse zweiter Klasse vor. Weiter soll die Privatstrasse auf Grundstück Nr. 2575W neu als Gemeindestrasse dritter Klasse eingeteilt werden. Zudem ist vorgesehen, die Rietstrasse um ca. 90 cm bis direkt an die Grenze des Grundstücks Nr. 424W zu verlängern. 
Während der öffentlichen Auflage des Teilstrassenplans Rietstrasse erhoben H.G.________ und I.G.________, B.________, C.________, F.D.________ und E.D.________, J.________ und K.________ Einsprachen. Nachdem er das Verfahren zunächst sistiert hatte, hiess der Gemeinderat die Einsprachen mit Beschluss vom 14. April 2020 gut und hob den Teilstrassenplan Rietstrasse auf. 
Einen von der A.________ AG gegen den Beschluss des Gemeinderats erhobenen Rekurs wies das Baudepartement des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 12. Februar 2021 ab. In der Folge erhob die A.________ AG Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen. Mit Entscheid vom 13. Februar 2022 wies dieses ihr Rechtsmittel ebenfalls ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt die A.________ AG dem Bundesgericht, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Sache zum neuen Entscheid an dieses zurückzuweisen. 
Das Verwaltungsgericht, das Baudepartement sowie H.G.________ und I.G.________ beantragen die Abweisung der Beschwerde, die Gemeinde deren Gutheissung. Die weiteren Verfahrensbeteiligten haben sich nicht vernehmen lassen. Die Beschwerdeführerin hat eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Die Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und hat zudem gemäss dem angefochtenen Entscheid bereits wiederholt Baugesuche für die Parzelle Nr. 424W eingereicht. Sie ist deshalb von der Aufhebung des Teilstrassenplans, welcher der Erschliessung dieses Grundstücks dient, beschwert und hat damit ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des Entscheids des Verwaltungsgerichts (Art. 89 Ab. 1 BGG). Da die weiteren Voraussetzungen für die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erfüllt sind, ist auf dieses Rechtsmittel einzutreten. Für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde bleibt dagegen kein Raum (Art. 113 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt zunächst, dass das Verwaltungsgericht die Verletzung ihres Replikrechts durch das Baudepartement nicht anerkannt habe. Aus ihren Vorbringen, dem angefochtenen Entscheid und den Akten ergibt sich insofern, dass das Baudepartement der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 3. Februar 2021 zwei Stellungnahmen zur Kenntnis (das heisst ohne Frist zur Replik) zustellte. Es handelt sich dabei zum einen um die Stellungnahme von B.________ sowie von F.D.________ und E.D.________ vom 1. Februar 2021 und zum andern um diejenige von H.G.________ und I.G.________ vom 3. Februar 2021. Die Beschwerdeführerin erhielt das Schreiben des Baudepartements mit den Beilagen am 4. Februar 2021. Der Rekursentscheid des Baudepartements datiert vom 12. Februar 2021 und traf bei der Beschwerdeführerin am 15. Februar 2021 ein. Gleichentags schickte diese ihre Stellungnahme zu den beiden erwähnten Eingaben ans Baudepartement.  
 
2.2. Das Verwaltungsgericht verneinte eine Verletzung des Replikrechts. Es erwog, das Baudepartement habe mit seinem Schreiben zu verstehen gegeben, dass die Sache aus seiner Sicht spruchreif sei. In dieser Situation hätte sich die Beschwerdeführerin umgehend äussern oder die Ansetzung einer Nachfrist verlangen müssen. H.G.________ und I.G.________ hätten zudem mit ihrer Eingabe lediglich den Verzicht auf eine Stellungnahme mitgeteilt. Die Stellungnahme von B.________ sowie von F.D.________ und E.D.________ habe das Baudepartement in seinem Entscheid nicht berücksichtigt. Sie sei somit nicht geeignet gewesen, sich auf den Entscheid auszuwirken. Somit sei sie auch nicht Gegenstand eines vorgängigen Akteneinsichts- und Äusserungsrechts gewesen.  
 
2.3. Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Aus dieser Garantie folgt unter anderem das Recht einer Partei, sich im Rahmen eines Verfahrens zu den Stellungnahmen der anderen Verfahrensbeteiligten zu äussern (BGE 133 I 98 E. 2.1 mit Hinweisen). Dieses Äusserungsrecht steht einer Prozesspartei - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - unabhängig davon zu, ob die eingereichte Eingabe neue Tatsachen oder rechtliche Argumente enthält und ob sie im Einzelfall geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Es ist Sache der Parteien und nicht des Gerichts zu beurteilen, ob eine neue Eingabe oder ein neues Beweismittel Bemerkungen erfordert (BGE 146 III 97 E. 3.4.1; 138 I 484 E. 2.1; je mit Hinweisen).  
 
2.4. Die Wahrnehmung des Replikrechts setzt voraus, dass die fragliche Eingabe der Partei vor Erlass des Entscheids zugestellt wird, damit sie entscheiden kann, ob sie sich dazu äussern will (BGE 137 I 195 E. 2.3.1 mit Hinweisen). Es genügt grundsätzlich, ihr die Eingabe zur Information ("zur Kenntnisnahme") zuzustellen (BGE 138 I 484 E. 2.4; Urteil 8C_710/2022 vom 6. März 2023 E. 3.1; je mit Hinweisen).  
Soll die Partei ihr Replikrecht effektiv wahrnehmen können, muss ihr die Behörde ausreichend Zeit für eine Stellungnahme lassen. Allerdings muss die Behörde mit der Entscheidfällung auch nur so lange zuwarten, bis sie annehmen darf, dass die Partei auf eine weitere Eingabe verzichtet habe. Welche Wartezeit ausreichend ist, hängt vom Einzelfall ab. Das Bundesgericht hielt in allgemeiner Weise fest, dass jedenfalls vor Ablauf von zehn Tagen nicht, hingegen nach zwanzig Tagen schon von einem Verzicht auf das Replikrecht ausgegangen werden dürfe (Urteil 8C_710/2022 vom 6. März 2023 E. 3.1 mit Hinweisen). Allerdings ist in Haftverfahren aufgrund des besonderen Beschleunigungsgebots zulässig, die Wartezeit von zehn Tagen zu unterschreiten (Urteil 1B_595/2022 vom 23. Dezember 2022 E. 2.6). Die Frist beginnt praxisgemäss am Tag der Zustellung (d.h. des Empfangs) der fraglichen Eingabe durch die betroffene Partei (vgl. Urteile 1B_595/2022 vom 23. Dezember 2022 E. 2.4 und 2.6; 1C_338/2020 vom 19. Januar 2021 E. 2.5). Das bedeutet, dass die Behörde nach Ablauf der zehn Tage, das heisst vom elften Tag an, ihr Urteil fällen darf (Urteil 5D_81/2015 vom 4. April 2016 E. 2.3.4, in: FamPra.ch 2016 S. 739). Will eine Partei sicherstellen, dass ihre Replik berücksichtigt werden kann, so ist es also an ihr, dafür zu sorgen, dass die Eingabe bis spätestens am zehnten Tag bei der Behörde eintrifft (a.a.O.).  
Hier besteht kein Grund, vom Regelfall der 10-tägigen Wartefrist abzuweichen. Da die Beschwerdeführerin das Schreiben des Baudepartements am 4. Februar 2021 erhielt, hätte dieses seinen Rekursentscheid somit nicht vor dem 15. Februar 2021 fällen dürfen. Der Rekursentscheid vom 12. Februar 2021 erging somit in Verletzung des Replikrechts. 
 
2.5. Indem es den Rekursentscheid des Baudepartements bestätigte, verletzte auch das Verwaltungsgericht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör. Selbst wenn es den Verfahrensmangel anerkannt hätte, hätte es ihn im Übrigen nicht heilen können, da gemäss kantonalem Recht mit der Beschwerde an das Verwaltungsgericht nur Rechtsverletzungen geltend gemacht werden können (Art. 61 des Gesetzes des Kantons St. Gallen vom 16. Mai 1965 über die Verwaltungsrechtspflege [sGS 951.1; im Folgenden: VRG]). Vor dem Baudepartement stellt dagegen - unter Vorbehalt der Gemeindeautonomie - auch die Unangemessenheit einen zulässigen Rügegrund dar (Art. 46 VRG; vgl. auch Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG [SR 700]). Die Heilung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine Behörde setzt indessen voraus, dass sie hinsichtlich der bei ihr erhobenen Rügen über die gleiche Prüfungsbefugnis verfügt wie ihre Vorinstanz (BGE 147 IV 340 E. 4.11.3; 126 I 68 E. 2; Urteil 1C_539/2021 vom 15. November 2022 E. 4.3.2; je mit Hinweisen).  
 
2.6. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur, womit seine Verletzung (soweit sie, wie hier, nicht geheilt wird) ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führt (BGE 144 I 11 E. 5.3 mit Hinweis). Es erübrigt sich somit, auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin einzugehen.  
 
3.  
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist somit nicht einzutreten, während die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gutzuheissen ist. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung ans Baudepartement zurückzuweisen. 
Die Rückweisung zu erneutem Entscheid mit offenem Ausgang gilt hinsichtlich der Prozesskosten als Obsiegen der beschwerdeführenden Partei (BGE 141 V 281 E. 11.1 mit Hinweis). Die Gerichtskosten sind deshalb der Beschwerdegegnerschaft aufzuerlegen, die solidarisch haftet (Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG). Die Beschwerdegegnerschaft hat die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin, ebenfalls unter solidarischer Haftung, angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 und 4 i.V.m. Art. 66 Abs. 5 BGG). 
Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerdeführerin die Verfahrenskosten auferlegt und sie verpflichtet, die Beschwerdegegnerschaft, soweit anwaltlich vertreten, angemessen zu entschädigen (Art. 95 Abs. 1, Art. 98 Abs. 1 und Art. 98bis VRP). Da die Beschwerde hätte gutheissen werden müssen, erscheint gerechtfertigt, die verwaltungsgerichtlichen Verfahrenskosten der Beschwerdegegnerschaft aufzuerlegen und diese zu verpflichten, der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor Verwaltungsgericht eine angemessene Entschädigung zuzusprechen (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 13. Februar 2022 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an das Baudepartement zurückgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdegegnerschaft auferlegt. 
 
4.  
Die Beschwerdegegnerschaft hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
5.  
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht von Fr. 3'500.-- werden der Beschwerdegegnerschaft auferlegt. Die Beschwerdegegnerschaft hat der Beschwerdeführerin für das verwaltungsgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 4'000.-- zu bezahlen. 
 
6.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Politischen Gemeinde Wildhaus-Alt St. Johann, dem Bau- und Umweltdepartement des Kantons St. Gallen und dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Mai 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold