1B_500/2022 21.02.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_500/2022  
 
 
Urteil vom 21. Februar 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Müller, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, Kölz, 
Gerichtsschreiber Baur. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Fürsprecher Patrik Kneubühl, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg, Postfach 1638, 1701 Freiburg. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg, Strafkammer, vom 17. August 2022 (502 2022 76). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ ist praktizierende Hausärztin im Kanton Freiburg. Aufgrund eines Medienberichts, wonach sie an Patienten gegen Covid-19 Chlordioxid abgegeben habe, das nicht als Heilmittel zugelassen ist, nahm die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg Abklärungen vor und eröffnete am 18. Februar 2022 ein Strafverfahren wegen Verstosses gegen das Heilmittelgesetz. Am 8. März 2022 wurde A.________ im Auftrag der Staatsanwaltschaft durch die Kantonspolizei Freiburg einvernommen. Im Verlauf der Einvernahme wurde ihr ein von der zuständigen Staatsanwältin verfasstes Schreiben mit folgendem Wortlaut abgegeben: " In Bezug auf Ihre Anfrage kann ich Ihnen mitteilen, dass Sie als beschuldigte Person die Aussage verweigern können (Art. 158 StPO). Des Weiteren teile ich Ihnen mit, dass sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft der Arzt, gegen welchen sich ein Strafverfahren richtet, nicht auf das Berufsgeheimnis berufen kann. So können zum Beispiel auch unter das Berufsgeheimnis fallende Aufzeichnungen beschlagnahmt werden (ATF 141 IV 77). Schliesslich kann ich Ihnen empfehlen, mit Ihrem Anwalt Rücksprache zu nehmen. " In der Folge wurde die Befragung fortgesetzt. 
 
B.  
Am 25. März 2022 erhob A.________ beim Kantonsgericht des Kantons Freiburg Beschwerde mit dem Antrag, das Protokoll der polizeilichen Einvernahme vom 8. März 2022 als nichtig zu bezeichnen und aus den Akten zu entfernen. Mit Urteil vom 17. August 2022 wies das Kantonsgericht das Rechtsmittel ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 21. September 2022 an das Bundesgericht beantragt A.________, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben sowie das Protokoll der polizeilichen Einvernahme vom 8. März 2022 als nichtig zu bezeichnen und aus den Akten des Strafverfahrens zu entfernen. Eventualiter sei das Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. 
Die Staatsanwaltschaft und das Kantonsgericht haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. A.________ hat sich nicht mehr geäussert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Fristgerecht (vgl. Art. 100 Abs. 1 BGG) angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid eines oberen Gerichts über die Verwertbarkeit eines Beweismittels in einem Strafverfahren (vgl. Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG). Der Entscheid schliesst das Strafverfahren nicht ab. Es handelt sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG, gegen den die Beschwerde nach lit. a dieser Bestimmung nur zulässig ist, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann; Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG kommt nicht zur Anwendung.  
 
1.2. Im Bereich der Beschwerde in Strafsachen setzt Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur voraus. Der alleinige Umstand, dass ein Beweismittel, dessen Verwertbarkeit die beschwerdeführende Partei bestreitet, in den Akten bleibt, ist grundsätzlich kein derartiger Nachteil, da die beschwerdeführende Partei ihren Einwand bis zum Abschluss des Strafverfahrens erneut vorbringen kann. Sie kann die Frage der Verwertbarkeit des Beweismittels namentlich dem Sachgericht unterbreiten (vgl. Art. 339 Abs. 2 lit. d StPO), von dem erwartet werden kann, dass es in der Lage ist, die unzulässigen Beweise von den zulässigen zu unterscheiden und sich bei der Würdigung ausschliesslich auf Letztere zu stützen. Sie kann das Urteil des Sachgerichts in der Folge mit Berufung anfechten (vgl. Art. 398 StPO) und die Angelegenheit schliesslich an das Bundesgericht weiterziehen (zum Ganzen: BGE 141 IV 284 E. 2.2, 289 E. 1.2; je mit Hinweisen).  
 
1.3. Von dieser Regel bestehen jedoch Ausnahmen. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn das Gesetz ausdrücklich die sofortige Rückgabe aus den Akten bzw. Vernichtung rechtswidriger Beweise vorsieht (vgl. z.B. Art. 248, Art. 271 Abs. 3, Art. 277 und Art. 289 Abs. 6 StPO). Ebenso verhält es sich, wenn aufgrund des Gesetzes oder der Umstände des Einzelfalls die Rechtswidrigkeit des Beweismittels ohne Weiteres feststeht. Derartige Umstände können nur angenommen werden, wenn die betroffene Person ein besonders gewichtiges rechtlich geschütztes Interesse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des Beweises geltend macht (zum Ganzen: BGE 141 IV 284 E. 2.3, 289 E. 1.3).  
Nach Art. 42 Abs. 1 BGG muss die beschwerdeführende Partei die Tatsachen darlegen, aus denen sich ihre Beschwerdeberechtigung und der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben sollen, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 141 IV 284 E. 2.3, 289 E. 1.2; je mit Hinweisen). 
 
2.  
Die Beschwerdeführerin erachtet die Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Eintreten auf die Beschwerde gegen den angefochtenen Zwischenentscheid als erfüllt. Das Protokoll der polizeilichen Einvernahme vom 8. März 2022 sei nach Art. 141 Abs. 1 StPO offensichtlich nicht verwertbar, da ihre Aussagen durch täuschendes Verhalten und damit eine verbotene Beweiserhebungsmethode gemäss Art. 140 Abs. 1 StPO erschlichen worden seien. Ausserdem bestehe die Gefahr der Verletzung gesetzlich geschützter Privatgeheimnisse, namentlich von Informationen, die im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses ausgetauscht worden seien, wodurch auch ihre Reputation und ihr weiteres berufliches Fortkommen gefährdet seien. 
 
2.1. Die Beschwerdeführerin beruft sich somit auf eine Ausnahme im Sinne der zweiten Fallgruppe der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Dass ihr durch den angefochtenen Zwischenentscheid im Sinne der ersten Fallgruppe ausnahmsweise ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG drohe, macht sie hingegen zu Recht nicht geltend (vgl. Urteil 1B_439/2015 vom 20. Januar 2016 E. 2.4). Damit stellt sich als Erstes die Frage, ob die geltend gemachte Unverwertbarkeit des streitbetroffenen Einvernahmeprotokolls aufgrund des Gesetzes oder der Umstände des Einzelfalls ohne Weiteres feststeht.  
 
2.1.1. Die Beschwerdeführerin begründet den Vorwurf der Täuschung im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO im Wesentlichen mit dem ihr im Verlauf der Einvernahme vom 8. März 2022 abgegebenen Schreiben der zuständigen Staatsanwältin (vgl. vorne Sachverhalt Bst. A). Ihrer Ansicht nach ist dieses Schreiben unzutreffend, da das Berufsgeheimnis absolut gelte und sich auch Ärztinnen und Ärzte, die im Strafverfahren beschuldigt würden, darauf berufen könnten. Auch gehe aus dem Schreiben nicht klar hervor, dass das Berufsgeheimnis nur so weit nicht gelten solle, als ein enger Sachzusammenhang zum Gegenstand der Strafuntersuchung bestehe bzw. die Tatsachen und Beweismittel für die angestrebten Untersuchungszwecke unentbehrlich seien. Das Schreiben sei weiter insofern irreführend, als dessen zweiter Satz betreffend das Berufsgeheimnis aus der Laienperspektive den ersten Satz betreffend das Aussageverweigerungsrecht relativiere. Da sie damals einzig auf das Berufsgeheimnis konzentriert gewesen sei, habe sie deshalb angenommen, das Schreiben betreffe ein und dasselbe Verweigerungsrecht und dieses stehe ihr nicht zu. Die einvernehmenden Polizisten hätten dies bemerkt und bewusst ausgenutzt. Um eine Irreführung zu vermeiden, hätte im Schreiben einzig auf ihr Aussageverweigerungsrecht als beschuldigte Person hingewiesen werden dürfen. Durch das täuschende Verhalten der einvernehmenden Polizisten und der zuständigen Staatsanwältin sei sie von der Wahrnehmung ihrer Rechte abgebracht worden.  
 
2.1.2. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Urteil festgehalten, es liege kein Fall gemäss Art. 171 Abs. 2 StPO vor. Als beschuldigte Person könne sich die Beschwerdeführerin jedoch nicht auf das Berufsgeheimnis berufen, soweit ihre Aussagen in einem engen Sachzusammenhang zum Gegenstand der Strafuntersuchung stünden bzw. für die angestrebten Untersuchungszwecke unentbehrlich seien. Zwar sei aus dem Schreiben der Staatsanwältin nicht klar hervorgegangen, dass das Berufsgeheimnis nur in dieser Hinsicht nicht gelte. Es sei jedoch nicht ersichtlich, inwiefern die Beschwerdeführerin dadurch getäuscht worden sein solle. Zum einen hätten die einvernehmenden Polizisten bereits vor der Abgabe des Schreibens präzisiert, inwieweit sie sich nicht auf das Berufsgeheimnis berufen könne. Zum anderen stünden alle von ihr getätigten Aussagen in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem Strafverfahren bzw. seien für dieses unentbehrlich.  
Die Vorinstanz hat zudem ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei zu Beginn der Einvernahme auf ihr Aussageverweigerungsrecht hingewiesen worden. Dennoch habe sie zahlreiche Aussagen gemacht. Namentlich habe sie sich zum klinischen Bild sowie zum Namen und Wohnort des Patienten geäussert, an den sie, neben einer Patientin und drei Freunden/Bekannten, gemäss eigener Darstellung Chlordioxid abgegeben habe. Auch habe sie sich eingehend zu den Umständen der Behandlung der fraglichen Patientin geäussert. Erst danach habe sie sich hinsichtlich deren Namens auf das Berufsgeheimnis berufen und sei ihr das Schreiben der Staatsanwältin ausgehändigt worden, worauf sie auch den Namen und den Wohnort dieser Patientin bekanntgegeben habe. Sämtliche Aussagen, welche die Beschwerdeführerin vor der Abgabe des Schreibens gemacht habe, könnten von vornherein nicht auf eine Täuschung durch die Staatsanwaltschaft oder die Polizei zurückzuführen sein. Die Beschwerdeführerin sei sich weiter offensichtlich bewusst gewesen, dass es sich beim Aussageverweigerungsrecht und beim Berufsgeheimnis nicht um das Gleiche handle, dies auch nach Erhalt des Schreibens, wie sich aus ihrem Aussageverhalten in der fortgesetzten Einvernahme ergebe. 
 
2.1.3. Die Beschwerdeführerin setzt sich mit den vorinstanzlichen Erwägungen weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht näher auseinander. Sie begnügt sich vielmehr im Wesentlichen damit, der Sachverhaltsfeststellung und der rechtlichen Beurteilung der Vorinstanz ihre eigene Darstellung der Umstände sowie ihre eigene Rechtsauffassung gegenüberzustellen. Die vorinstanzliche Rechtsauffassung bezüglich der Geltung des Berufsgeheimnisses ist sodann (vgl. BGE 144 V 388 E.2) auch nicht offensichtlich unzutreffend (vgl. BGE 141 IV 77 E. 5.2; NIKLAUS OBERHOLZER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, 4. Aufl. 2019, N. 25 zu Art. 321 StGB; STEFAN TRECHSEL/HANS VEST, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N. 36 zu Art. 321 StGB; BENOÎT CHAPPUIS, Commentaire Romand, Code pénal II, 2017, N. 132 f. zu Art. 321 StGB). Damit steht - ohne dass im vorliegenden Zusammenhang weiter auf die Frage einzugehen ist - ein täuschendes Verhalten der einvernehmenden Polizisten und der zuständigen Staatsanwältin im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO nicht ohne Weiteres fest. Dasselbe gilt dementsprechend auch für die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Unverwertbarkeit des Einvernahmeprotokolls gemäss Art. 141 Abs. 1 StPO. Ein Fall im Sinne der zweiten Fallgruppe der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in dem ausnahmsweise auf die Beschwerde gegen den angefochtenen Zwischenentscheid einzutreten wäre, liegt demnach bereits aus diesem Grund nicht vor.  
 
2.2. Hinzu kommt, dass ein solcher Fall nur angenommen werden dürfte, wenn die Beschwerdeführerin ein besonders gewichtiges rechtlich geschütztes Interesse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des fraglichen Beweises geltend machen und substanziieren würde (vgl. vorne E. 1.3). Die Beschwerdeführerin macht zwar geltend, es bestehe die Gefahr der Verletzung gesetzlich geschützter Privatgeheimnisse, namentlich von Informationen, die im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses ausgetauscht worden seien. Sie legt jedoch weder dar, inwiefern eigene Privatgeheimnisse betroffen sein sollen, noch äussert sie sich weiter zu den angeblich gefährdeten Daten. Auch sonst zeigt sie kein Interesse im erwähnten Sinn auf. Ein Fall der genannten Art, der ausnahmsweise ein Eintreten auf den angefochtenen Zwischenentscheid rechtfertigen würde, liegt deshalb auch insofern nicht vor.  
 
3.  
Nach dem Dargelegten ist die Beschwerde gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht zulässig, weshalb nicht auf sie eingetreten werden kann. 
Bei diesem Verfahrensausgang ist die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg und dem Kantonsgericht Freiburg, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. Februar 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Müller 
 
Der Gerichtsschreiber: Baur