9C_540/2022 05.06.2023
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_540/2022  
 
 
Urteil vom 5. Juni 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichterinnen Moser-Szeless, Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Ausfeld, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Schwyz, 
Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz 
vom 10. November 2022 (I 2022 42). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1977 geborene A.________ war zuletzt als Fensterservice-Monteur erwerbstätig gewesen, als er sich am 21. September 2016 unter Hinweis auf einen am 1. März 2016 erlittenen Unfall bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug anmeldete. Die IV-Stelle Schwyz tätigte verschiedene Abklärungen, insbesondere holte sie eine bidisziplinäre (neuropsychologische/psychiatrische) Expertise ein (interdisziplinäre Gesamtbeurteilung vom 28. Juli 2021). Nachdem der psychiatrische Teilgutachter am 9. Februar und 3. Mai 2022 Rückfragen der IV-Stelle beantwortet hatte, sprach die IV-Stelle A.________ mit Verfügung vom 16. August 2022 mit Wirkung ab 1. Januar 2018 bei einem Invaliditätsgrad von 44 % eine Viertelsrente der Invalidenversicherung zu. 
 
B.  
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 10. November 2022 in dem Sinne teilweise gut, als es dem Versicherten ab 1. Januar 2018 bei einem Invaliditätsgrad von 52 % ein halbe Rente der Invalidenversicherung zusprach. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, ihm sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides eine ganze Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen, eventuell sei die Sache zum Einholen eines Gutachtens an die Vorinstanz oder die IV-Stelle zurückzuweisen. Gleichzeitig stellt A.________ ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Als Rechtsfrage gilt, ob die rechtserheblichen Tatsachen vollständig festgestellt und ob der Untersuchungsgrundsatz bzw. die Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG beachtet wurden. Gleiches gilt für die Frage, ob den medizinischen Gutachten und Arztberichten im Lichte der praxisgemässen Anforderungen Beweiswert zukommt (BGE 134 V 231 E. 5.1). Bei den aufgrund dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um Sachverhaltsfragen (Urteil 8C_676/2015 vom 7. Juli 2016 E. 1, nicht publ. in: BGE 142 V 342, veröffentlicht in SVR 2016 IV Nr. 41 S. 131).  
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es für die Zeit ab 1. Januar 2018 einen Anspruch des Versicherten auf eine höhere als eine halbe Rente der Invalidenversicherung verneinte. 
 
3.  
 
3.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535).  
Entsprechend den allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGE 144 V 210 E. 4.3.1) ist nach der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Rechtslage zu beurteilen, ob bis zu diesem Zeitpunkt ein Rentenanspruch entstanden ist. Trifft dies zu, so erfolgt ein allfälliger Wechsel zum neuen stufenlosen Rentensystem je nach Alter der Rentenbezügerin oder des Rentenbezügers gemäss lit. b und c der Übergangsbestimmungen des IVG zur Änderung vom 19. Juni 2020. Gemäss lit. b Abs. 1 bleibt für Rentenbezügerinnen und -bezüger, deren Rentenanspruch vor Inkrafttreten dieser Änderung entstanden ist und die bei Inkrafttreten der Änderung zwar das 30., aber noch nicht das 55. Altersjahr noch nicht vollendet haben, der bisherige Rentenanspruch solange bestehen, bis sich der Invaliditätsgrad nach Art. 17 Abs. 1 ATSG ändert. 
Zwar erging die dem hier angefochtenen Entscheid zugrunde liegende Verfügung erst nach dem 1. Januar 2022. Vorliegend steht indessen die Höhe des per 1. Januar 2018 entstandenen Rentenanspruchs zur Diskussion. Damit beurteilt sich die vorliegende Streitigkeit allein nach der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Rechtslage. Da der Beschwerdeführer zudem am 1. Januar 2022 zwar das 30., aber noch nicht das 55. Altersjahr vollendet hatte, bleibt dieser Anspruch so lange bestehen, bis ein Revisionsgrund nach Art. 17 Abs. 1 ATSG eintritt. 
 
3.2. Im angefochtenen Urteil wurden die massgebenden rechtlichen Grundlagen wiedergegeben. Dies betrifft insbesondere Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 ATSG, Art. 28 Abs. 2 IVG, Art. 16 ATSG und Art. 61 lit. c ATSG (vgl. E. 1.1.1 - 1.5.2 des angefochtenen Urteils),  
 
4.  
 
4.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherte aufgrund seines Rückenleidens nicht mehr in der Lage ist, seiner angestammten Tätigkeit als Fensterservice-Monteur nachzugehen, er aber aus rein somatischer Sicht einer angepassten Tätigkeit vollzeitlich nachgehen könnte. Streitig ist demgegenüber, inwieweit die Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit aufgrund eines psychischen Leidens eingeschränkt ist. Das kantonale Gericht hat hierzu in umfassender Würdigung der medizinischen Akten, insbesondere aber gestützt auf das (Teil-) Gutachten des Dr. med. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 28. Juni 2021 (sowie der ergänzenden Stellungnahmen vom 9. Februar und 3. Mai 2022) für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, dass der Versicherte aufgrund einer Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 68.8) auch eine optimal angepasste Tätigkeit nur zu 60 % ausüben kann.  
 
4.2. Was der Beschwerdeführer gegen diese Feststellung vorbringt, vermag sie nicht als willkürlich oder sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Auf im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholte Gutachten ist rechtsprechungsgemäss abzustellen, wenn nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 135 V 465 E. 4.4). Entgegen den Vorbringen des Versicherten sind - wie nachstehende Erwägungen zeigen - vorliegend keine solchen Indizien ersichtlich.  
 
4.2.1. Offenkundig kein hinreichendes Indiz gegen die Zuverlässigkeit der Expertise stellt der blosse Umstand dar, dass der Versicherte mit deren Ergebnissen nicht einverstanden ist. Soweit sich die Ausführungen des Beschwerdeführers darin erschöpfen, die Aussagen des Teilgutachters in rein appellatorischer Weise zu bestreiten und dem Gutachter Befangenheit vorzuwerfen, ist darauf nicht weiter einzugehen. Da zudem auch das kantonale Gericht sich nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen muss (BGE 142 II 49 E. 9.2; 137 II 266 E. 3.2; 136 I 184 E. 2.2.1; vgl. auch Urteil 9C_293/2022 vom 1. März 2023 E. 3.1), stellte es auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, dass bereits die Vorinstanz entsprechend vorgegangen ist.  
 
4.2.2. Soweit sich der Beschwerdeführer darauf beruft, sich entgegen den Ausführungen im Gutachten bereits vor dem Unfall im Jahre 2016 in psychiatrischer Behandlung befunden zu haben, räumt er selber ein, dieser Umstand nicht nur gegenüber dem psychiatrischen Teilgutachter, sondern auch gegenüber den Ärzten der Klinik C.________ verschwiegen zu haben. Auch wenn somit die Annahme des Teilgutachters, psychische Probleme seien erst nach dem Unfall aktenkundig, objektiv falsch sein mag, so spricht dieser Umstand damit jedenfalls nicht gegen die Zuverlässigkeit des Gutachters. Da zudem vorliegend die Höhe des Rentenanspruchs ab dem 1. Januar 2018 im Streit liegt und der Teilgutachter in der Herleitung seiner Beurteilung nicht wesentlich auf den Beginn der psychischen Beschwerden abgestellt hat, ist auch der Zusammenhang zwischen der psychiatrischen Behandlung im Jahre 2015 und den vorliegend streitigen Belangen nicht offensichtlich.  
 
4.2.3. Der Teilgutachter erwähnte in seiner Beurteilung, dass über den Versicherten keine vormundschaftlichen Massnahmen angeordnet worden sind. Wie der Versicherte selber einräumt, war dies im Zeitpunkt der Exploration richtig. Selbst wenn sich dieser Umstand in der Folge geändert haben sollte, spricht dieser somit nicht gegen die Zuverlässigkeit des Gutachters. Da der Teilgutachter im Übrigen das Fehlen vormundschaftlicher Massnahmen lediglich erwähnte, daraus jedoch keine entscheidenden Folgerungen ableitete, erübrigen sich Weiterungen zu diesem Punkt.  
 
4.2.4. Es trifft im Weiteren bei einer rein formalen Betrachtungsweise zu, dass sich der Teilgutachter nicht vertieft mit den einzelnen Berichten der behandelnden Psychiater auseinandergesetzt hat. Entgegen der Darstellung in der Beschwerde hat er jedoch ausführlich und nachvollziehbar begründet, weshalb er die von diesen gestellten Diagnosen (und die daraus abgeleiteten bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten) nicht bestätigen kann. Damit fand eine hinreichende inhaltliche Auseinandersetzung mit den vom Gutachter abweichenden Meinungen anderer psychiatrischer Fachpersonen statt (vgl. auch Urteil 9C_288/2020 vom 10. März 2021 E. 2.3).  
 
4.2.5. Der Teilgutachter bestätigte insbesondere die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung nicht, da er das Diagnosekriterium "wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherung der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründbar seien" jedenfalls im Explorationszeitpunkt als nicht (mehr) erfüllt ansah. In diesem Zusammenhang macht er darauf aufmerksam, dass sich das Rückenleiden des Versicherten mindestens teilweise somatisch erklären lasse; entsprechend sei auch eine vollständige Arbeitsunfähigkeit des Versicherten in der angestammten Tätigkeit anerkannt. Entgegen der Darstellung in der Beschwerde hat er damit gerade nicht behauptet, dass der Versicherte nicht länger unter Schmerzen im Rücken leide, womit sich Weiterungen hiezu erübrigen.  
 
4.3. Demnach verletzte das kantonale Gericht kein Bundesrecht, als es zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht auf das Teilgutachten des Dr. med. B.________ vom 28. Juni 2021 abstellte. Da die übrigen Punkte der Invaliditätsbemessung, insbesondere der vorinstanzliche Einkommensvergleich, unbestritten geblieben sind, ist die Beschwerde ohne Weiterungen abzuweisen.  
 
5.  
 
5.1. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist.  
 
5.2. Mit Eingabe vom 4. April 2023 machte der Rechtsvertreter aufgrund eines Arbeitsaufwands von 20 Stunden à Fr. 300.- pro Stunde, zuzüglich Auslagen und Mehrwertsteuer, ein Gesamthonorar von Fr. 6'844.34 geltend. Nach Art. 68 BGG und Art. 2 und Art. 10 des Reglements über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht vom 31. März 2006 (SR 173.110.210.3) umfasst die Entschädigung des amtlichen Anwaltes die Anwaltskosten und die notwendigen Auslagen für die Prozessführung, wobei sich die Anwaltskosten aus dem Anwaltshonorar und dem Auslagenersatz zusammensetzen. Praxisgemäss werden für einen Normalfall Fr. 2'800.- zugesprochen, einschliesslich Auslagen und Mehrwertsteuer (Urteile 9C_219/2022 vom 2. März 2023 E. 6.1; 9C_12/2021 vom 11. Oktober 2021 E. 7.2.1 und E. 7.2.2; 8C_398/2018 vom 5. Dezember 2018 E. 6.2). Davon abzuweichen besteht hier kein Anlass, erscheint doch das geltend gemachte, jedoch nicht näher begründete, Honorar angesichts der Wichtigkeit und Schwierigkeit der Streitsache sowie des Arbeitsaufwands als unangemessen hoch.  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwalt Michael Ausfeld wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 5. Juni 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold